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Interview

Kann man mit Hirnscans die politische Einstellung erkennen?

Hirnmodell. Bild: FZJ

Einer neuen Studie zufolge gehen politische Ideologien mit bestimmten Mustern in Hirnscans einher. Aber was zeigen diese Muster wirklich? Ein Gespräch mit Simon Eickhoff vom Forschungszentrum Jülich.

Herr Prof. Eickhoff, aus MRT-Bilduntersuchungen des Gehirns soll man auf die politische Einstellung eines Menschen schließen können. So lautet zumindest der Befund einer kürzlich erschienenen Studie von Wissenschaftlern der Ohio State University. Sie forschen auch in diesem Bereich. Wie sind die Kollegen vorgegangen?

Sie haben sogenannte funktionelle MRT benutzt: Dabei sieht man, welche Regionen im Gehirn aktiv sind. Die Prozesse im Hirn wurden über eine gewisse Zeit aufgenommen, während die Probanden – von denen man vorher durch Fragebögen und Selbsteinschätzungen die politische Gesinnung identifiziert hatte – verschiedene Aufgaben lösten, die unter anderem mit Empathie und Emotionen verbunden waren. Mittels Algorithmen hat man die Hirnscans anschließend auf Muster durchsucht. An der Studie nahmen 170 Probanden teil, das ist für eine derartige Untersuchung schon eine ordentliche Zahl. Aber eine hohe statistische Aussagekraft sind das immer noch viel zu wenige Probanden.

Trotzdem wurden in der Studie ja Hinweise auf Muster gefunden, die bei Menschen mit bestimmten politischen Gesinnungen signifikant häufiger auftraten. Heißt dies, dass manche Muster sich in eine politische Einstellung „übersetzen“ lassen können?

Tatsächlich scheinen sich die Muster von Menschen mit bestimmten politischen Einstellungen zu ähneln. Aber das bedeutet nicht, dass es ausgerechnet die politische Einstellung ist, die die jeweiligen Muster erzeugt.

Bitte erklären Sie das genauer.

Die meisten unserer Eigenschaften hängen mit vielen anderen Faktoren zusammen – gerade bei einem komplexen Konstrukt wie der politischen Einstellung. Deshalb ist es schwierig und verengend, ein Muster – auch wenn es bei bestimmten politischen Einstellungen häufiger auftaucht – spezifisch einer bestimmten politischen Ideologie zuzuschreiben. Denn es gibt zahlreiche Faktoren, von denen wir wissen, dass sie die politische Einstellung und wahrscheinlich auch Gehirnscans maßgeblich beeinflussen. Und wir wissen nicht, ob die gefundenen Muster nicht eher charakteristisch sind für bestimmte dieser Faktoren, und die Tendenz der politischen Gesinnung dann nur eine Folge davon ist. 

Simon Eickhoff. Direktor des Institutes Brain and Behaviour am Forschungszentrum Jülich. Bild FZJ

Welche Faktoren beeinflussen die politische Gesinnung besonders stark?

Studien zeigen, dass insbesondere die Kindheit und die Familie einen großen Einfluss haben: Ob man eher in einem konservativen, religiös geprägten Elternhaus aufgewachsen ist, ob man streng oder weniger streng erzogen wurde, ob man auf dem Land oder in der Stadt groß geworden ist – auch all dies hinterlässt Spuren im Gehirn und prägt die politische Einstellung. Auch das soziale Umfeld außerhalb der Familie – sowohl in der Kindheit, als auch im Beruf später – spielt eine große Rolle, ebenso der sozioökonomische Hintergrund. Und aus zahlreichen Studien in den USA wissen wir, dass Ethnizität und Diskriminierungserfahrungen sich sowohl prägend auf das Gehirn als auch auf die politische Gesinnung auswirken können.

Aber im Gehirn sind ja trotzdem Muster zu sehen, trotz der vielschichtigen Einflussfaktoren.

Es scheint so zu sein, dass es gewisse Archetypen gibt, also Biographien, die sich untereinander ähneln, und womöglich im Laufe der Zeit die Tendenz haben, gewisse Muster hervorzubringen. Die politische Einstellung ist davon aber nur ein kleiner Teil – auf den man die gefundenen Muster nicht verengen sollte. Sonst wäre es, als würden wir die Silhouette eines Menschen sehen, und sagen: „Hier ist eindeutig eine Hand zu sehen.“ Dabei ist eine Hand zwar auch zu sehen, aber es handelt sich eben um einen ganzen Menschen. Eine Beobachtung, die auf einer solchen Art von Schlussfolgerung aufbaut, ist immer fehleranfällig. Auch, weil es sich eben nur Tendenzen handelt, nicht um feststehende Eigenschaften wie etwa die Haarfarbe. Und es gibt in jedem Fall deutlich mehr Faktoren der Varianz in der Biographie und Neurobiologie, als es Farben oder politische Gesinnungen gibt.

Wie aussagekräftig können dann überhaupt Rückschlüsse von gefundenen Mustern im Gehirn auf die politische Gesinnung sein?

In jedem Fall lassen sie keine verbindliche Aussage zu – aber gewisse Tendenzen gibt es eben schon, die man im Gehirn finden kann, auch bei komplexen Eigenschaften wie der Persönlichkeit oder eben der politischen Gesinnung. Die Kollegen der Ohio State University haben ja durch die gefundene Korrelation gewissermaßen eine Art Indikator der politischen Gesinnung im Gehirn offengelegt, nur dass dieser eben nicht spezifisch für die politische Einstellung sein muss, sondern viele andere Faktoren abbilden könnte. Ich denke, genauso muss man Ergebnisse aus Hirnscans in Bezug auf komplexe Eigenschaften auch in der mittelfristigen Zukunft behandeln: Sie liefern keine zuverlässigen Ergebnisse, aber sie lassen Richtungen erkennen. Und das kann in Zukunft vielerlei Nutzen haben.

Wo zum Beispiel?

Immer dann, wenn es darum geht, einen besseren Einblick in die „inneren Eigenschaften“ einer person zu bekommen. Beim Arzt, vor Gericht oder z.B. bei Rentenbegehren wegen chronischer Schmerzen. Aber, wichtig: Die Interpretationen der Hirnscans sind eben nur Tendenzen, die in eine komplexe Bewertung einfließen können. Ein Urteil, das alleine auf den Ergebnissen der Analyse von Hirnscans basiert, wird in absehbarer Zeit nicht möglich sein.

Sehen Sie nicht auch Gefahren, wenn man sich vorstellt, dass dieses Instrument etwas ausgefeilter in den Händen eines autoritären Staates landet?

Nun, das Instrument selbst ist noch viel zu aufwändig und auch zu ungenau, um es im großen Stil einzusetzen. Und wenn es nur darum geht, bestimmte Leute aus dem Verkehr zu ziehen, dann braucht es bei autoritären Staaten ja eigentlich auch keine solche komplexe Begründung.

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