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Interview

„In den nächsten 20 Jahren wird der Quantencomputer Realität werden“

Wolfgang Marquardt leitet das Forschungszentrum Jülich und vertritt als Koordinator für den Forschungsbereich Information die Forschung zu Quantentechnologien im Präsidium der Helmholtz-Gemeinschaft. Bild: Forschungszentrum Jülich

Quantentechnologie wird unseren Alltag verändern. Doch viele Anwendungen stecken noch in den Kinderschuhen. Wir sprachen mit Wolfgang Marquardt, dem Leiter des Forschungszentrum Jülich darüber, was zu erwarten ist und wie sich die Forschung in diesem Bereich aufstellt. 

Herr Marquardt, Sie haben gesagt: „Quantentechnologie wird unsere Welt verändern – in Wissenschaft, Industrie, Wirtschaft und Alltag“. Versetzen wir uns ins Jahr 2040. Wie zeigen sich die Quantentechniken im Leben?

Die Zukunft ist natürlich offen. Aber die Perspektiven sind enorm. Ein Beispiel wäre ein autonomes Fahrzeug, das ohne Kontakt zu einem Satelliten zentimetergenau navigiert. Dafür sorgt ein Quantensensor, der äußerst exakt die Beschleunigung misst und daher immer weiß, wo sich der Wagen relativ zum Startpunkt befindet. Aber das ist nur eines von vielen Beispielen. Wir werden viele andere Messgrößen in höchster Präzision und extrem miniaturisiert erfassen können. Das wird eine Fülle neuer Anwendungen eröffnen. In der medizinischen Bildgebung wird man viel höhere Bildqualitäten und mehr Einsatzmöglichkeiten erreichen, in der Kernspintomographie etwa. Firmen haben das erkannt: Bosch etwa ist im Bereich der Sensorik sehr aktiv. In den nächsten 20 Jahren wird auch der Quantencomputer Schritt für Schritt zur Realität werden, zunächst für spezielle Anwendungen. Dann mit etablierten Höchstleistungsrechnern mit einem zunehmend breiteren Einsatzspektrum. Damit wird man Rechenprobleme lösen können, die man heute schlichtweg nicht lösen kann. Das wird zum Beispiel helfen, die Wirkstoffsuche der Pharmaindustrie zu beschleunigen, hochkomplexe Verkehrssysteme in Echtzeit zu optimieren oder auch sehr große Datensätze mit effizient auswerten zu können.

Sprechen wir bei der Quantentechnologie ausschließlich von der Zukunft, oder gibt es sie bereits heute?

Sie ist schon da. Es gibt Quantensensoren für kleinste Magnetfelder, mit denen beispielsweise eine nächste Generation von MRT-Geräten für die medizinische Bildgebung möglich wird. Auch die abhörsichere Quantenverschlüsselung ist hier zu nennen. Einige kleine Unternehmen bieten darauf basierende Kommunikationstechnik, die auf kurzen Strecken funktioniert, etwa zwischen Bankfilialen in einer Stadt. Es gibt in Europa und in Deutschland Projekte, um ein solches Quantenkommunikationsnetzwerk auch über weitere Strecken aufzubauen, sogar über Kontinente hinweg.

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat gerade eine eigene Quantenstrategie erstellt. Warum?

Helmholtz beschäftigt sich in allen seinen sechs Forschungsbereichen mit Aspekten der Quantentechnologie. Wir haben ausgewiesene Schwerpunkte, in der wir über Zentren und Forschungsbereichsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Der größte ist das Quantencomputing. Das passt sehr gut zu unserer Mission, weil es ein langfristiges Projekt ist und idealerweise dem Bild der Vorsorgeforschung für die Gesellschaft genügt. Wir sind hier breit aufgestellt. Es ist noch offen, welche Materialien und Konzepte sich für den Bau von Qubits – den kleinsten Speicherelementen eines Quantenrechners - am besten eignen und am Ende durchsetzen werden. Wir sind in mehreren dieser Technologielinien aktiv, etwa bei den schon weit entwickelten supraleitenden Qubits, wie sie auch Google für seinen Quantenchip nutzt. Wir wollen aber auch neue Arten von Qubits mit Hilfe anderer Materialsysteme entwickeln, die insbesondere im Hinblick auf die Fehlerrate und die Skalierbarkeit vorteilhaftere Eigenschaften haben. Darüber hinaus entwickeln wir auch ganze Systeme, am Forschungszentrum Jülich etwa einen Quantencomputer mit supraleitenden Chips gemeinsam mit deutschen und europäischen Partnern. Der zweite Schwerpunkt ist die oben erwähnte Quantenkommunikation. Hier arbeiten wir hauptsächlich an satellitengestützten Verbindungen. Vor allem in diesen beiden Schwerpunkten wollen wir uns als Leuchtturm etablieren und als zukunftsorientiertes Forschungsunternehmen eine Wirkung in der Gesellschaft erreichen.

Wie organisieren sich die verschiedenen Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft bei der Umsetzung der Strategie?

Zunächst haben wir gemeinsam den Ist-Zustand analysiert. Wir haben gesehen, dass wir überall bei Helmholtz sehr viel Kompetenz in der Quantentechnologie haben. Um die Kräfte zu bündeln, haben wir uns auf ausgewählte Ziele geeinigt. Denn man kann aus den Kompetenzen mehr herausholen, wenn man die Aktivitäten vernetzt. Wir haben sortiert, strukturiert, Beziehungen zwischen den Aktivitäten herausgearbeitet und gewichtet, welche wir stärken wollen. Danach haben wir unsere Forschungsaktivitäten für sieben Jahre konzipiert und einem Gremium von Gutachtern vorgestellt. Insgesamt ist unsere umfassende, systemisch angesetzte Strategie dort sehr gelobt worden. Wir haben nun einen Plan, der sich weltweit sehen lassen kann und in der globalen Community Aufmerksamkeit erreichen wird.

Der Quantencomputer ist ein Jahrhundertprojekt, das internationale Kooperation erfordert. Sind Ihre Aktivitäten hier auch auf EU-Ebene organisiert?

Ja. Es gibt in der EU ein Flaggschiff-Projekt für Quantentechnologie mit einem Budget von einer Milliarde Euro. In diesem Großprojekt wird auch Forschung an Quantencomputern gefördert. Da sind wir schon beteiligt, in den Forschungsprojekten wie auch in der Koordination. Die Konkurrenz sitzt in Nordamerika und zunehmend im asiatischen Raum. Um mitzuhalten müssen wir unbedingt europäisch denken und uns vernetzen. Wir wissen aber auch, dass die Organisationsfähigkeit in Europa eine Herausforderung ist. Man kann nur gewinnen, wenn man die starken nationalen Spieler koordiniert vorantreibt. Eines der Ziele von Helmholtz ist es, diesen Prozess zu treiben. Dafür sind wir durch unsere breit aufgestellte Kompetenz und hohe Forschungskapazität in diesem Bereich gut aufgestellt. Durch unsere Strategie sind wir auch in der Lage, systemisch und langfristig orientiert zu agieren. Also nicht nur Einzelaspekte zu betrachten, auch nicht nur grundlagenorientiert oder nur anwendungsorientiert zu forschen. Dennoch sind wir auch national nur einer von vielen Akteuren. Es gilt es nun die je spezifischen Stärken des vielfältigen deutschen Wissenschaftssystems zusammenbringen. Helmholtz, Fraunhofer, Max-Planck-Gesellschaft und die Universitäten müssen jetzt in einem organisierten Prozess zusammenfinden, ihre jeweiligen Aktivitäten in der Quantenpyhsik und –technologie bündeln und lösungsorientiert aufstellen, um mit beschränkten Ressourcen im globalen Wettbewerb auch bestehen zu können. Da ist Helmholtz-Gemeinschaft bereit, sich ganz stark einzubringen, um eine übergreifende, gemeinsam getragene nationale Initiative auf den Weg zu bringen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Helmholtz Quantum

Die Entwicklung und Nutzung  der Quantentechnologie ist eines der ambitioniertesten technologischen Ziele der heutigen Wissenschaft. Die Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft sind heute kaum absehbar. Die Mission der Helmholtz-Gemeinschaft ist es, zur Lösung bedeutender und drängender Fragen sozialer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Natur beizutragen. Im Bereich der Quantentechnologieforschung ist Helmholtz ein nationaler und europäischer Treiber und wissenschaftlich-technischer Wegbereiter. Gemeinsam mit Partnern an Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Industrie will die Gemeinschaft die Entwicklung der Quantentechnologien von der Grundlagenforschung über die Systementwicklung bis hin zur Anwendung vorantreiben.

Einen Überblick finden Sie auf der Website Helmholtz Quantum

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