Invasive Arten
„Gekommen, um zu bleiben“
Invasive Arten sind auf dem Vormarsch. Über 1000 Tier- und rund 1000 Pflanzenarten, die hier nicht vorkamen, sind inzwischen in Deutschland heimisch. Ein Gebiet, das besonders davon betroffen ist, ist das Wattenmeer.
Die Pazifische Auster, der Japanische Beerentang und die Asiatische Felsenkrabbe haben einiges gemeinsam: Sie sind neu und fremd im Wattenmeer und gekommen, um zu bleiben. Solche Arten nennt man Neobiota oder auch invasive Arten. „Das Wattenmeer ist erst nach der letzten Eiszeit entstanden und damit ein relativ junger Lebensraum, der noch sehr offen für neue Arten ist. Je älter ein Lebensraum, desto mehr Arten haben ihn für sich erobert und desto weniger Platz ist für neue“; sagt Christian Buschbaum, der am Alfred-Wegner-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Ozeanforschung auf Sylt forscht. „Insgesamt ist das Wattenmeer also sehr immigrationsfreundlich.“
Derzeit verändert sich das Wattenmeer wahrscheinlich so schnell wie nie zuvor. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass sich derzeit pro Jahr ein bis zwei neue Arten im Wattenmeer ansiedeln“, sagt Buschbaum. Sie kommen als blinde Passagiere an der Außenhaut beziehungsweise im Ballastwasser großer Schiffe aus Übersee oder werden zusammen mit Aquakulturorganismen eingeschleppt und finden im Wattenmeer eine neue Heimat. Schuld ist zum einen der vermehrte Handel, wie Hanno Seebens am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt Main mit Hilfe von mathematischen Modellen zeigen konnte. Zum anderen aber auch die wärmer werdende Nordsee. Durch diese fühlen sich auch Arten in der Nordsee wohl, die sonst wärmere Gefilde bevorzugen.
„Die neuen Arten, die wir im Wattenmeer entdecken, kommen vor allem aus Regionen, die ähnliche oder wärmere Umweltbedingung haben wie die Nordseeküste und mit denen wir viel Handel treiben wie beispielsweise Japan, China oder die Ostküste der USA“, sagt Seebens. Einmal da, suchen sich die Arten in ihrer neuen Heimat einen Lebensraum und breiten sich aus. Wie schnell es ihnen gelingt, sich zu etablieren hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einige der Arten finden ideale Bedingungen vor, da sie keine Fressfeinde haben oder ihre ideale Lebensumgebung noch nicht von einem Konkurrenten besetzt ist.
Während die Arten ihren neuen Zuhause Stück für Stück und in unterschiedlicher Geschwindigkeit erobern, verändern sie ihn. Besonders eindrucksvoll wird diese Veränderung im Fall der Pazifischen Auster und des Japanischen Beerentang sichtbar.
Veränderung des Lebensraums
Ursprünglich wurden die Austern 1986 im nördlichen Wattenmeer eingeführt, um sie in Kultur zu züchten und in den Restaurants zu verkaufen. Doch bereits 1991 wurde die erste Auster auch außerhalb der Kultur bei Sylt entdeckt. Seitdem verbreiten sich die Tiere und erreichen nun Dichten von bis zu 2000 Individuen pro Quadratmeter und verändern das Wattenmeer nachhaltig. „Die planktischen Austern Larven brauchen eine harte Unterlage, auf der sie sich festsetzen können, um zu wachsen. Im Wattenmeer ist der Boden aber eigentlich sandig und instabil“, sagt Buschbaum. Deshalb nutzten die Austern anfangs vorwiegend die harten Schalen der auf dem Boden wachsenden Miesmuschel Mytilus edulis.
Das Problem: Austern wachsen schneller als Miesmuscheln und werden größer. So mussten sich die Miesmuscheln an die neue Art anpassen und ihren alten Lebensraum auf neue Weise nutzen. Gleiches gilt für die Arten, wie kleine Schnecken, Fische oder Vögel, die bisher eng verknüpft mit den Miesmuscheln lebten. „Die Anpassung ist aber gelungen“, sagt Buschbaum. Zwar hat sich die Häufigkeit der Arten teilweise verschoben, die Zusammensetzung ist aber weitgehend die gleiche geblieben. Auch die Miesmuscheln sind nicht verschwunden, sondern kommen in ähnlich hohen Dichten vor, wie vorm Einführen der Austern. Allerdings werden sie im Mittel kleiner, als vorher, da sie mit den Austern um Nahrung konkurrieren, sind aber andererseits zwischen den Austern besser vor Räubern geschützt. Insgesamt haben die Austern das Wattenmeer also verändert, die Anpassung an die Veränderung ist der Natur aber gelungen.
Eng mit der Einführung der Auster hängt auch die des Japanischen Beerentangs Sargassum muticum zusammen. Einige der eingeführten Austern waren mit der Alge bewachsen, die so in die Nordsee gelangte und sich fortan ausbreitete. Ähnlich wie andere Algenarten an Felsküsten bildet der Japanische Beerentang dichte Wälder unter Wasser und dient weiteren Arten als Lebensraum. In der Nordsee profitieren beispielsweise der Seestichling und die Schlangennadel, eng verwandt mit dem Seepferdchen, von der neuen Algenart. „Der Beerentang ist ein schönes Beispiel dafür, dass fremde Arten nicht zwangsweise Schaden anrichten“, sagt Buschbaum. Insgesamt nimmt die Arten- und Habitatvielfalt im Wattenmeer durch die Einschleppung gebietsfremder Arten eher zu als ab.
Er und seine Kollegen untersuchen deshalb vor allem, wie sich die heimischen und die eingeschleppten Arten dann aneinander und an den Lebensraum anpassen. Betrachtet man das Thema invasive Arten global und nicht auf den maritimen Bereich beschränkt, wird deutlich, warum es in den Medien oft problematisiert wird. „Lokal oder regional kann es durch die invasiven Arten zu einem Anstieg der Artenvielfalt kommen. Global beobachten wir das Gegenteil. Dort nimmt die Diversität ab, da es die neuen Arten ja anderswo bereits gibt und sie im globalen Maßstab also nicht neu sind“, sagt Seebens.
Unnatürliche Prozesse verlangsamen
Weil einige der gebietsfremden Arten großen finanziellen Schaden anrichten und die Einwanderung ein unnatürlicher Prozess ist, gibt es internationale Bestrebungen, sie zukünftig einzuschränken. Politisch wird das Thema durch die Meeresstrategie Rahmenrichtlinie der EU, die es sich zum Ziel gemacht hat, alle europäischen Meeresgewässer in guten ökologischen Zustand zu halten beziehungsweise zu überführen. Neobiota sind einer der elf Kriterien für den Zustand der Gewässer. Das derzeit international favorisierte und entscheidende Bewertungskriterium ist allerdings der Trend der Einschleppung und nicht der Bestand an eingewanderten Arten. „Je weniger Arten wir auf unnatürliche Art und Weise neu hinzubekommen, desto besser“, sagt Buschbaum. Es geht also darum, den unnatürlichen Prozess der Einschleppung kleinzuhalten und die künstlichen Brücken, die der Mensch den Arten gebaut hat zu minimieren.
Ein erster Schritt dazu ist eine Verordnung, die die Behandlung des Ballastwassers der Schiffe vorschreibt, die „blinden Passagieren“ das Leben schwer machen soll. Darüber hinaus gibt es Bestrebungen die Außenseite der Schiffe so zu bearbeiten, dass sich keine Organismen mehr an sie heften. „Derzeit wird hier beispielsweise mit UV-Strahlung zur Behandlung des Ballastwassers experimentiert und immer wieder verbesserte Farben zur Bewuchsminderung der Rümpfe getestet“, sagt Buschbaum. Die Industrie investiert viel auf diesem Gebiet, da sie selbst davon profitiert: Je weniger Organismen sich an ein Schiff anheften, desto weniger Reibungswiderstand wird verursacht und desto weniger Sprit verbraucht es.
Eine einfache Rechnung, die dabei helfen könnte, das Eindringen gebietsfremder Arten etwas einzudämmen und so die rasanten Veränderungen des Wattenmeeres zumindest zu verlangsamen.
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