Direkt zum Seiteninhalt springen

Zuse-Rechner

Gedenken an den Erfinder des Computers

Nachbau der Z1.

Rechenhilfsmittel gibt es seit Jahrtausenden. Doch erst vor 75 Jahren entwickelte der Ingenieur Konrad Zuse den ersten universell einsetzbaren Rechner – den Vorläufer moderner Computer.

Als Student stieß Roland Vollmar zum ersten Mal auf Konrad Zuse, wenn auch nicht persönlich. 1960 war das und Vollmar, ein angehender Mathematiker, arbeitete an der Uni mit einer Z22 – einem der ersten in Serie hergestellten Computer Zuses. „Das war für heutige Begriffe eine winzige Maschine“, erinnert sich Vollmar: Die Rechenleistung war niedrig, der Speicher ziemlich mickrig. Aber: Die Maschine war robust und tat, was sie sollte. Dass er später eng mit Konrad Zuse zusammenarbeiten sollte, ahnte Roland Vollmar damals noch nicht.

Ein paar Jahre später traf Vollmar, inzwischen wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zuse erstmals persönlich. Auf den ersten Blick habe Zuse verschlossen und streng gewirkt, erinnert sich Roland Vollmar. Vom Gegenteil wird er erst ein paar Jahre später überzeugt. Da ist Vollmar bereits selbst ein renommierter Wissenschaftler. Er hatte in seiner Karriere lange den Lehrstuhl für Theoretische Informatik an der TU Braunschweig inne und war später an der Universität Karlsruhe tätig. „Zuse war ein äußerst humorvoller Mensch“, sagt er heute, nachdem er lange Jahre eng mit ihm zusammengearbeitet hat. Dass sie kooperierten, lag an Vollmars Spezialgebiet, den sogenannten Zellularautomaten. Das sind komplexe Modelle in der theoretischen Informatik, und mit ihnen wollte Konrad Zuse seinen „rechnenden Raum“ weiter durchdringen. Diese Theorie hat es Zuse zeitlebens angetan: Das Universum ist darin eine Art riesiger Rechner.

Der rechnende Raum – eine rechnende Welt

Konrad Zuse stellte sich vor, dass das gesamte Universum als ein riesiger Rechner gesehen werden kann. Dieser sogenannte rechenende Raum besteht in Zuses Konzept aus vielen kleinen und kleinsten Rechnern, die wie Bausteinchen kombiniert sind, sich gegenseitig beeinflussen und miteinander interagieren. Egal ob Planetenbewegung oder Sand am Meeresstrand, über den eine Welle rollt: „Alles wird berechnet, was im Universum geschieht“, beschreibt Roland Vollmar die Idee. Der rechnende Raum wurde in der Wissenschaft zunächst sehr zwiespältig aufgenommen und erfuhr im wesentlichen Ablehnung. Heute ist der Ansatz anerkannt und Basis weiterer Konzepte.

Zuse stellte sich in seinem rechnenden Raum vor, dass Kleinstrechner in einer sehr regelmäßigen Weise angeordnet sind wie in einem Zellularautomaten, einem komplexen Berechnungsmodell in der Informatik. Stark vereinfacht besteht ein Zellularautomat aus einem zum Beispiel dreidimensionalen Gitter. In dessen Knotenpunkten ist jeweils ein sogenannter Automat angebracht. Roland Vollmar: „Er nimmt die Informationen der mit ihm direkt verbundenen Automaten auf und verarbeitet sie dann.“ Kräfte werden zu Informationen. Interaktionen zu Berechnungen. In Physik und Informatik befruchteten diese Ideen später Konzepte zu Quanten und Quantencomputing.

In seinem Ansatz ähnelt Zuses rechnender Raum einem ganz aktuellen und deutlich greifbarerem Konzept, das derzeit die Welt erobert: das Internet der Dinge. Auch dieses ist gekennzeichnet von einer riesigen Zahl kleinster Rechner, zum Teil nur Sensoren, die miteinander vernetzt sind, Daten und Informationen austauschen und sich gegenseitig beeinflussen. Damit wird die Welt sozusagen „computerisiert“, statt selbst ein Computer zu sein.

Gemeinsam stellten Zuse und Vollmar dazu Simulationen an: „Zuse hat früher alle diese Interaktionen der einzelnen Zellen von Hand berechnet und er war natürlich interessiert zu sehen, wie sich das auf einem Bildschirm auswirkt“, sagt Vollmar. Nun konnte Zuse mit Vollmars Hilfe auch Ausschnitte des „rechnenden Raumes“ darstellen: Zusammen konnten sie Parameter und Umgebungsgrößen des in Formeln gefassten theoretischen Modells ändern und direkt die Auswirkungen sehen. Ein riesiger Schritt weg vom Papier war das, aber trotzdem: „Wir konnten nur ganz kleine Ausschnitte simulieren.“ Mehr schafften die Computer damals einfach nicht.

Und wie war er, der Mensch Konrad Zuse? Sollte er ihn in einem Wort beschrieben, sagt Roland Vollmar, träfe es „Ingenieur“ am besten: „Ein Ingenieur, der stark visuell geprägt war.“ In Zuse kämpften zeitlebens zwei Leidenschaften, die für die Technik und die für die Kunst. Schon zu Schul- und Studienzeiten betätigte er sich als Maler, Karikaturist und Schauspieler. Am Ende seiner Berufslaufbahn griff er diese Anfänge wieder auf und schuf Dutzende expressionistische, stark farbige, futuristische Kunstwerke, die er erst unter seinem Pseudonym „Kuno See“ veröffentlichte und später unter seinem richtigen Namen.

Dass seine Leistungen auf dem Gebiet der Computer lange nicht gewürdigt wurden, damit musste der Pionier Zuse leben. So wurde ihm in der wissenschaftlichen Welt viele Jahre lang die Anerkennung als Erfinder des ersten frei programmierbaren Computers versagt. Ebenso wenig wurde die von ihm entworfene Programmiersprache „Plankalkül“ als erste höhere Programmiersprache erkannt. Beides habe Zuse weggesteckt, erzählt Vollmar. Dass ihm allerdings auch das deutsche Patentamt das Patent für den ersten richtigen Computer verweigerte, das, so Vollmar, enttäuschte Zuse bis an sein Lebensende. Das Patentamt hielt ihm vor, schon andere hätten Ideen für Rechner gehabt. 1967 wurde sein 26 Jahre zuvor eingereichter Antrag endgültig abgelehnt.

Eine gewisse Enttäuschung sei auch erkennbar gewesen, wenn Zuse über sein Schaffen als Firmengründer redete. „Er hat sich auch als Unternehmer als gescheitert betrachtet“, erzählt Vollmar. Dabei hat Zuse schon vor dem Krieg erste Mitarbeiter beschäftigt und es selbst in den Wirren des Krieges geschafft, ein Ingenieurbüro mit Dutzenden Beschäftigten aufzubauen. Nach dem Krieg konnte das Unternehmen Zuse KG große Erfolge verbuchen, bis ein technischer Planungsfehler die Firma an den Rand des Ruins brachte. Der Konkurrent Siemens übernahm den ersten deutschen Computerhersteller und Zuse ging in verfrühten Ruhestand.

Trotz der Rückschläge habe er Konrad Zuse nie als verbittert wahrgenommen, sagt Roland Vollmar. Er habe weitergemacht und neue Computer sowie weitere Maschinen konstruiert. Außerdem sei er ein sehr guter Chef gewesen, was sich in einem sehr guten Betriebsklima der Zuse KG gezeigt habe: „Er war ein ausgesprochen freundlicher Mensch.“ Der Kontakt zwischen Zuse und Vollmar hielt bis zu Zuses Tod 1995. Nicht zuletzt, da Vollmar als Präsident der Gesellschaft für Informatik auch zuständig war für den Arbeitskreis „Geschichte der Informatik“ – und wer hätte ihm da besser zur Seite gestanden als Konrad Zuse persönlich? Da beide einander auch privat schätzten, entdeckte Vollmar noch eine weitere Seite Zuses. „Er war kinderlieb.“ Das, erinnert sich Roland Vollmar, zeigte sich zum Beispiel eines Abends, als der Ingenieur beim Informatiker daheim zu Besuch war: „Da hat er sich bei unserem Sohn ans Bett gesetzt und ihm eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt.“

Leser:innenkommentare