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Energiewende

Forscher fordern mutigere Vorgaben von der Politik

Bild: denisismagilov/Fotolia

Die Energiewende kommt nicht so schnell voran, wie die von der Bundesregierung gesteckten Ziele es erfordern. Wissenschaftler haben untersucht, wo Handlungsbedarf besteht. Sie fordern unter anderem eine Steuer auf CO2.

Auch wenn die bisher geltenden Klimaziele der Bundesregierung teilweise wieder in der Diskussion sind, an dem grundsätzlichen Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2050 gegenüber 1990 um bis zu 95 Prozent zu reduzieren, ändert sich nichts. Gleichzeitig ist der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossene Sache. 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz. . Wir befinden uns also auf dem Weg zu einem Energiesystem, dass fast ausschließlich von Erneuerbare Energien getragen wird. Im Projekt "Energiesysteme der Zukunft (ESYS)", einer Initiative der Wissenschaftsakademien, erarbeiten rund 100 Fachleute Handlungsoptionen: Wie können wir die Ziele der Energiewende erreichen? Was bleibt zu erforschen? Und wie bezahlen wir den Übergang zu einer nachhaltigeren Energieversorgung? Ihre Bilanz lautet derzeit: Ein erster Schritt ist getan. Es gibt noch viel zu tun und die Politik sollte mutigere Vorgaben auf den Weg bringen, damit die Energiewende in eine neue Phase eintreten kann.

"Wir werden schon sehr bald Diskussionen über die Ziele der Energiewende führen müssen, auch über die, die für das Jahr 2020 gesteckt worden sind", betont Eberhard Umbach, Mitglied des ESYS-Direktoriums und des Präsidiums der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). "Denn es dürfte nicht möglich sein, sie bis dahin zu erreichen - und die Zeit wird knapp." Lediglich die Erneuerbaren Energien seien bislang im wünschenswerten Umfang ausgebaut worden. Das jedoch ist kein Ziel der Energiewende, sondern eine ihrer Maßnahmen. Und bis 2050 müssten die Erneuerbaren immerhin noch auf ein Fünf- bis Siebenfaches der heutigen Kapazität ausgebaut werden. Gelöst ist dabei noch nicht, wie man Stromkapazitäten, die nicht sofort verbraucht werden, in ausreichendem Maße speichern kann.

Sektorenkopplung als Schlüssel der Energiewende

"Nachdem in den vergangenen 30 Jahren Windkraft- und Photovoltaikanlagen, aber auch Biomassetechnologien entwickelt, ausgebaut und die Kosten signifikant gesenkt wurden, stehen nun Basistechnologien für eine umfassende Systemintegration zur Verfügung", erläutert Umbach. "Von nun an geht es darum, Technologien der Sektorkopplung zu fördern und das Energiesystem ganzheitlich zu betrachten und nachhaltig umzubauen." Das heißt konkret: Ein intelligentes System bringt unter einen Hut, wie, wo und wann Energie erzeugt, gespeichert und verbraucht wird. Dabei können auch die Bereiche Wohnen und Produktion miteinander vernetzt werden. Strom wird überall dort direkt genutzt, wo es am effizientesten ist - etwa in Elektroautos und Wärmepumpen. Batterien fungieren als Kurzzeitspeicher. Dafür müssen digitale Modelle der Stromnutzung entwickelt werden, die das Ganze flexibel steuern. "Damit Marktakteure überhaupt in klimafreundliche Technologien investieren, brauchen sie Planungssicherheit", betont ESYS in einer Stellungnahme. Voraussetzung dafür sei unter anderem eine Selbstverpflichtung der Politik zum Klimaschutz.

Grafik: acatech/Leopoldina/Akademieunion

Die Stromversorgung macht lediglich rund ein Fünftel der in Deutschland verbrauchten Gesamtenergie aus. Deutlich größere Baustellen - die bislang zu wenig Aufmerksamkeit finden - sind der Wärme- und der Verkehrssektor. "Hierbei wird Wasserstoff künftig eine wichtige Rolle spielen", sagt Umbach, "entweder direkt oder in Verbindung mit einer weiteren Umwandlung in synthetische Brenn- und Kraftstoffe". Eine große Herausforderung stellt die Langzeitspeicherung großer Energiekapazitäten dar, um einen saisonalen Energieausgleich bewerkstelligen zu können. Im Gegensatz zum Stromsektor ist die Wärmeerzeugung im Gebäudebereich bislang deutlich dezentraler strukturiert: Heizwärme und Warmwasser werden zum größten Teil in den Häusern erzeugt, durch die Verbrennung von Erdgas oder Heizöl. Von den erneuerbaren Energien wird bisher hauptsächlich Biomasse zur Wärmeerzeugung genutzt, sie deckt etwa 13 Prozent des Bedarfs. Sollen Gebäudeheizungen auf andere Energieträger wie zum Beispiel Strom in Verbindung mit Wärmepumpen umgestellt werden, müssen viele Hausbesitzer in neue Anlagen investieren. Heizungsanlagen werden typischerweise nur alle 25 bis 30 Jahre ausgetauscht, sodass Anlagen, die in den nächsten zehn bis 15 Jahren errichtet werden, über das Jahr 2050 hinaus in Betrieb bleiben werden. Wenn in diesem Bereich zu?gig umgesteuert werden soll, so eine ESYS-Analyse, sei es wichtig, die Sanitär- und Heizungsunternehmen sowie die Schornsteinfegerunternehmen fru?hzeitig einzubeziehen, da diese in der Regel direkten Zugang zu Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer haben und diese beraten.

"Bei einem Preis von beispielsweise 30 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2 schaffen die Kohlekraftwerke sich wie von selbst ab." 

Insbesondere beim Verkehr steht eine konsequente Wende noch ganz am Anfang. Anders als bei Wohnhäusern oder in der industriellen Produktion steigen dort bislang sowohl der Verbrauch fossiler Energieträger - sprich: Öl -, als auch der Ausstoß von CO2. "Wir brauchen ein viel größeres und kreativeres Angebot an Verkehrsmitteln und -dienstleistungen, damit Mobilität sich vom der Besitz eines eigenen Automobils löst", sagt Almut Kirchner. "Das bedeutet zum Beispiel eine enge und flächendeckende Verzahnung von Bus, Bahn, Car- und Bike-Sharing-Angeboten." Die Autorin eines Monitorings der Energiewende leitet im Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos den Bereich Energie- und Klimaschutzpolitik. "Außerdem braucht es eine schnellere Umsetzung der im Grundsatz bereits bekannten neuen Fahrzeug- und Antriebsformen." Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung werden die Mobilität schon in naher Zukunft umkrempeln. "Bisherige politische Instrumente, etwa in Form von CO2-Vorgaben, greifen bisher nicht wie es nötig wäre." Um den Wandel zu beschleunigen müssten diese klarer, strenger und verbindlicher werden: etwa in Form schlupflochfreier Flottengrenzwerte, also Richtwerten, wie viel Gramm CO2 pro Kilometer die gesamte verkaufte Pkw-Neuwagenflotte eines Autoherstellers im Schnitt in die Luft blasen darf. "Eine weitere hilfreiche Möglichkeit wäre es, die Preisrelationen zwischen fossilen Treibstoffen und - nicht zuletzt erneuerbarem - Strom zu verändern, etwa durch spürbare Bepreisung von CO2 auch im Verkehrssektor", so Kirchner, "damit E-Autos den Verbrennungsmotor schneller ablösen".

Umbach plädiert dafür, einen flächendeckenden Mindestpreis für CO2-Emissionen einzuführen. "Wir könnten andererseits die heutigen komplexen Regularien stark vereinfachen, etwa Strom- und Energiesteuer abschaffen." Ein Preis von beispielsweise 30 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2 wäre ein ausreichender Anreiz, effizienter und ökologischer zu agieren: "Dann schaffen die Kohlekraftwerke sich wie von selbst ab." Beide Experten sind sich einig: Was es nun vor allem brauche, sei politischer Mut, die Energiewende umfassend anzugehen - denn das sei eine Aufgabe, bei der alle mitmachen müssen. Sie erfordert Veränderungen, führt zu Be- und Entlastungen und braucht politische Eingriffe, die in offenen Diskussionen ausgehandelt werden müssen.

Zur Studie der ESYS-Arbeitsgruppe

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