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Kommentar

„Ein wichtiger Impuls zur richtigen Zeit“

Foto: Jorisvo/istockphoto

Eine hochrangige Expertenkommission hat Empfehlungen für das kommende EU-Forschungsrahmenprogramm vorgestellt. Sie fordert unter anderem, das Budget zu verdoppeln, um im Wettbewerb mit China und den USA nicht an Boden zu verlieren. Ein Kommentar aus dem Helmholtz-Büro Brüssel.

Wenn wir unseren Lebensstil erhalten wollen, müssen wir in Europa deutlich mehr in Forschung und Innovation investieren. So lautet der Grundtenor eines Berichts, den eine hochrangige Expertengruppe dem EU-Forschungskommissar Carlos Moedas am 3. Juli 2017 vorgelegt hat. Die mit Spannung erwarteten Empfehlungen zur künftigen Entwicklung der europäischen Forschungsförderung ab 2021 können als ehrgeizig gelten. Die von der EU-Kommission eingesetzte Gruppe unter Vorsitz von Pascal Lamy, dem ehemaligen Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) sowie EU- Kommissar für Außenhandel, fordert unter anderem eine Verdoppelung des EU-Forschungsbudgets. Europa sei stark in Forschung und Entwicklung, so Lamy, aber viele exzellente Projektvorschläge würden gegen eine Budget-Mauer rennen, was die Zukunft Europas im Wettbewerb mit den USA und China gefährde. 

Ziel des Berichts ist es, auf Ebene der Staats- und Regierungschefs eine Debatte über die Wichtigkeit der Forschung zu lancieren. Schließlich läuft das derzeitige Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ allmählich dem Ende entgegen.

Die elf Empfehlungen stehen unter der kryptischen Überschrift „LAB – FAB – APP - Investing in the European future we want“. Für diese Kürzel braucht es wohl zunächst  eine Übersetzungshilfe: Gemeint ist, dass Europa seine wissenschaftliche Stärke in den Labors (LAB) erhalten und ausbauen muss, da nur so Lösungen für die Probleme von übermorgen entwickelt werden können. Gleichzeitig sei es eine Schwäche Europas, dass die exzellente Forschung noch nicht umfassend genug in wettbewerbsfähige Produktion (oder „FABrication“) mündet – hier sieht die Gruppe deutlichen Handlungsbedarf.

Darüber hinaus verlangen die Experten, dass die Gesellschaft mehr von konkreten Anwendungen der Forschung profitieren soll (APPlications). Um dafür gemeinsam zu definieren, welche globalen Herausforderungen die Forschung primär angehen sollte,  sei ein intensiverer Dialog mit der Gesellschaft nötig. Wie ist dies einzuschätzen?

Die ambitionierten Empfehlungen der hochrangigen Experten aus Industrie und Forschung, darunter Martin Brudermüller, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BASF SE, kommen zur richtigen Zeit. In der politischen Debatte um die Zukunft Europas ist jetzt zu klären, wo die EU künftig ihre Schwerpunkte setzen soll, und wie man auf dieser Basis das EU-Budget neu ausrichtet. Dafür braucht es ein klares Bekenntnis auf Ebene der Staats- und Regierungschefs zur Wichtigkeit von Forschung und Innovation für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Und zwar auch noch dann, wenn es an die Budget-Verteilung geht. Die Analysen der Experten zeigen sehr deutlich, wie stark Investitionen hier ihre Wirkung entfalten. Die Empfehlung, das künftige Rahmenprogramm mit einem Budget von 160 Milliarden Euro  auszustatten, ist zwar nur schwierig durchzusetzen, aber angesichts des immer schnelleren Innovationstempos gerade in Asien und den USA überzeugend. Die USA investieren 2,79% ihres BIP in Forschung und Innovation, Südkorea sogar 4,23 %, mit stetig steigender Tendenz, während die EU 28 bei 2,03 % stagnieren.

Die einzelnen Empfehlungen wird man im Detail noch genauer diskutieren müssen. Das hohe Abstraktionsniveau des Berichts lässt (bewusst) noch etliche Fragen offen – die Arbeit fängt also gerade erst an. Die Forderung nach „globalen Forschungsmissionen“ die helfen sollen, große Herausforderungen der Gesellschaft zu lösen, wie z.B. den ersten Quanten-Computer in Europa zu bauen oder bis 2034 ¾ aller Krebspatienten heilen zu können, ist richtig. Gleichzeitig wird man jedoch der Versuchung widerstehen müssen, sich im Bereich dieser gesellschaftlichen Herausforderungen weiterhin, wie bei „Horizon 2020“, zu sehr auf die Anwendungen von morgen zu fokussieren – und darüber die gemeinsame Forschung an den Lösungen für übermorgen aus dem Blick zu verlieren. Auch eine bessere europäische Zusammenarbeit im Bereich der Forschungsinfrastrukturen kommt im Bericht nur in Ansätzen vor und verdient viel mehr Aufmerksamkeit. 

Als Aufschlag für eine Debatte der Regierungschefs aber ist der Bericht der unabhängigen Experten ein wichtiger Impuls, und es ist zu hoffen, dass er auf rege Resonanz trifft, gerade auch in Deutschland: Wenn es am Ende um die Entscheidung geht, Landwirtschaftssubventionen oder Investition in Forschung und Innovation zu priorisieren, dann wird Deutschland, neben Frankreich, eine entscheidende Rolle zukommen. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesrepublik dann ihrer zukunftsorientierten Politik treu bleibt. 

Helmholtz-Büro Brüssel

Die Empfehlungen der Expertengruppe im Einzelnen:

1. Forschung und Innovation in den Budgets der EU und Mitgliedstaaten priorisieren, Verdoppelung des Budgets des nächsten Rahmenprogramms für Forschung und Innovation

2. Eine wirkliche EU Innovationspolitik aufbauen, die zukünftige Märkte schafft

3. Für die Zukunft ausbilden und in Menschen investieren, die Wandel herbeiführen

4. Das Forschungs- und Innovationsprogramm der EU auf größeren "Impact" ausrichten

5. Einen Missions-orientierten und an "Impact" ausgerichteten Ansatz verfolgen, um globale Herausforderungen anzugehen

6. Die EU Förderlandschaft rationalisieren und Synergien mit den Strukturfonds herstellen

7. Weiter vereinfachen, den "Impact" höher priorisieren als den Prozess

8. Die Bürgerinnen und Bürger mobilisieren und involvieren

9. Investitionen in Forschung und Innovation von EU und Mitgliedstaaten besser aufeinander abstimmen

10. Internationale Kooperationen zu einem Markenzeichen der Europäischen Forschung und Innovation machen

11. "Impact" besser erfassen und kommunizieren 

Bericht der Expertenkommission

Interview mit Pascal Lamy (Horizon - The EU Research & Innovation Magazine)

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