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Fehlbildungen

Ein Virus unter Verdacht

Die Tigermücke ist Überträgerin des Zika-Virus. Bild: James Gathany/CDC/dpa

In Brasilien häufen sich Fälle von Mikrozephalie. Der Zusammenhang mit dem erst 2014 eingeschleppten Zika-Virus, das über Tiger-Mücken übertragen wird, liegt nahe. Doch noch ist viel zu wenig bekannt über ein Virus, das weltweit auf dem Vormarsch ist.

Im Jahr 2015 wurde in Brasilien erstmals das von Mücken übertragene Zika-Virus nachgewiesen. Seitdem häufen sich die Fälle von Mikrozephalie, einer Fehlentwicklung des Gehirns, die durch den viel zu frühen Verschluss der Schädelnähte beim Embryo verursacht wird. Dadurch liegt der Kopfumfang der Kinder bei der Geburt unter 32 Zentimetern. Frauen in Zika-Gebieten wird darum dringend von einer Schwangerschaft abgeraten. Wie sicher ist der Zusammenhang zwischen Zika-Epidemie und Mikrozephalie? Und was bedeutet die Zika-Epidemie für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro? Wir sprachen mit Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.
Offenbar treten in Brasilien jetzt gehäuft Zika-Virus-Infektionen auf. Vor einem Jahr wurde das Virus dort erstmals nachgewiesen, inzwischen wird es mit rund 3.000 Fällen von Mikrozephalie in Zusammenhang gebracht. Was braut sich da zusammen?
Das Virus wurde mutmaßlich mit der Fußball-WM 2014 nach Südamerika eingeschleppt. Vermutlich geschah das über infizierte Stechmücken, deren Larven oder Eier, die durch Menschen, deren Kleidung oder Gepäck eingeschleppt wurden. Es kann aber auch sein, dass das Virus vorher schon einige Jahre zirkuliert ist, ohne dass man das mitbekommen hat.
Ist der Zusammenhang zwischen einer Zika-Virus-Infektion und der Häufung von Mikrozephalie-Fällen bei Schwangeren eindeutig?
Der Zusammenhang drängt sich auf, ist aber noch nicht bewiesen. Das liegt an der mangelhaften Möglichkeiten der Diagnostik ähnlich wie bei Ebola: Brasilien hat nur ein Referenzzentrum, das eine Zika-Virus-Infektion serologisch - also auch nach der akuten Infektion aufgrund der gebildeten Antikörper - halbwegs diagnostizieren kann. In der Vergangenheit gab es überhaupt nur drei spezialisierte Labore weltweit.
Warum so wenig?

Das Zika-Virus hat bis vor kurzem niemanden groß interessiert. Es gibt hunderte Viren, die von Stechmücken übertragen werden, von denen noch nie jemand gehört hat und von denen doch mal irgendeins in den Fokus rücken könnte. Und gerade in solchen Ländern sind die diagnostischen Kapazitäten begrenzt. Darum dauert es, etwaige Zusammenhänge eindeutig nachzuweisen.

Ist der Zusammenhang zwischen einer Zika-Virus-Infektion und Mikrozephalie denn aus den Ursprungsgebieten bekannt?

Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Aus Afrika ist dieser Zusammenhang nicht bekannt, aber ob er dort entdeckt worden wäre oder in der allgemeinen höheren Kindersterblichkeit untergeht, weiß niemand. In Französisch-Polynesien sind die Missbildungen in Zusammenhang mit Zika-Infektionen aber auch beschrieben worden. 

Bild: Alex Tomazatos

Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.

Was wäre der wissenschaftlich korrekte Weg für den Nachweis?

Der Virus-Direktnachweis ist zwar einfacher Standard, das können auch fast alle Länder. Doch das Zika-Virus ist nur sehr kurz und sehr schwach bei kranken Patienten nachweisbar. Oft kann man nur noch die Antikörper nachweisen und dieser spezifische Antikörper-Test ist sehr kompliziert. Man müsste bei einer großen Anzahl schwangerer Frauen mit normal entwickelten und missgebildeten Föten die spezifischen Antikörper gegen das Zika-Virus nachweisen. Ein Hauptproblem dabei ist eine serologische Kreuzreaktivität mit Antikörpern die gegen das Dengue-Virus gerichtet sind. 

Was bedeutet das?
Der Antikörper-Test ist nicht sehr spezifisch. Wenn er anschlägt, kann das auch eine Dengue-Infektion gewesen sein oder Gelbfieber. Hinter vielen vermeintlichen Dengue-Virus-Infektionen wird sich wahrscheinlich das Zika-Virus verbergen. Das macht die ganze Sache kompliziert. Der Schlüssel, um alles weitere angehen zu können, ist erst einmal eine gute Diagnostik. Damit man überhaupt mal weiß, wie viele Leute das Virus krank macht und wen es betrifft. Auch der eindeutige Nachweis des Zusammenhangs zwischen Virus-Infektion und einer anderen neurologischen Schädigung – dem Guillain-Barré-Syndrom – fehlt noch.

Was kann man denn den Frauen in dieser Situation raten?

Wie gesagt: Es deutet sehr viel darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Infektion und Mikrozephalie gibt. Nur: Den endgültigen Beweis gibt es noch nicht. Erst wenn man den hat, kann man den Frauen eindeutig sagen: Wenn sie schwanger werden wollen, müssen sie sich auf Zika-Virus-Antikörper testen lassen. Ähnlich wie bei Röteln gibt es einen Immunschutz, wenn man die Infektion schon einmal durchgemacht hat.

Vor Röteln kann man sich durch einen Impfung schützen – und vor Zika?

Eine Zika-Virus-Impfung gibt es noch nicht, man wird so schnell auch keinen Impfstoff entwickeln können. Bis es soweit ist, gelten die üblichen Sicherheitsmaßnahmen: Betroffene Regionen meiden oder sich mit den klassischen Maßnahmen schützen: Kleidung tragen, die möglichst viel vom Körper bedeckt, mückenabweisende Sprays oder Cremes verwenden, sich möglichst in klimatisierten Räumen aufhalten… 
Wie unterscheiden sich die Krankheitsverläufe von Zika und Dengue?
Gar nicht. Beide Viren verursachen ein wenig Fieber und Hautausschlag. Und in der Vielzahl der Fälle machen sie sich gar nicht bemerkbar. Bei Dengue merken mehr als 50 Prozent gar nicht, dass sie infiziert sind. Zika kann aber auch zu schweren neurologischen Schäden führen, dem Guillain-Barré-Syndrom, das dauerhafte Lähmungen verursachen kann. Das war bei einem großen Zika-Virus-Ausbruch auf Französisch-Polynesien vor zwei Jahren der Fall. 
Es heißt, dass das Klimaphänomen El Niño die Ausbreitung der Überträgermücken und damit der Zika-Viren begünstigt …

Da wäre ich extrem vorsichtig. Alle Modelle, die Vorhersagen machen wollen, wann es zu einem Dengue- oder Zika-Virus-Ausbruch kommt, funktionieren nicht. Es sind einfach zu viele Faktoren, die eingerechnet werden müssen, und die wenigsten davon versteht man. Angefangen von der Immunität bei den Menschen über die Immunität in den Stechmücken bis hin zu der Frage, ob Stechmücken, die bereits ein Virus in sich tragen, mit bestimmten anderen Viren gar nicht mehr infiziert werden können. Die Virusökologie ist stark vernachlässigt und kaum untersucht. Auch das Immunsystem der Steckmücken ist fast gar nicht erforscht. Man versteht einfach viel zu wenig davon, um Vorhersagen treffen zu können.

Aber El Niño sorgt doch eindeutig dafür, dass es dieses Jahr in Brasilien deutlich mehr regnet und die Mücken sich so besser verbreiten können …

Ja, aber viele Mücken alleine machen noch keinen Ausbruch. Es bedarf weiterer Faktoren, die zusammenpassen müssen.

Gibt es spezielle Maßnahmen für die Olympischen Spielen in diesem Jahr in Brasilien?

Die Mücken vor Ort effektiv und nachhaltig zu bekämpfen, würde Milliarden kosten. Für die deutschen Athleten beispielsweise gibt es ein spezielles Biosicherheitsprogramm des Auswärtigen Amts, um ihnen zu zeigen, wie sie sich vor diesen Infektionen schützen können. Wir machen dafür ein sogenanntes Stechmücken-Monitoring vor Ort: So kann man den deutschen Athleten Karten in die Hand geben, in welche Gebiete sie nicht gehen sollen, weil die Infektionsgefahr zu hoch ist. Das gilt etwa auch für Dengue.

Kann das Virus nur von der Mücke übertragen werden? Ein Infizierter, der nach Deutschland kommt, ist keine Gefahr? 

Nur wenn er hier wieder von einer Tigermücke gestochen wird, was etwa in Freiburg oder Heidelberg möglich wäre, weil sie dort auch schon heimisch ist. Das Virus wird nicht von einheimischen Stechmücken übertragen. Es kann theoretisch auch sexuell zwischen Menschen übertragen werden, aber das ist ein sehr seltener und unwahrscheinlicher Weg.
Gibt es eine verlässliche Quelle für die gefährlichen Gebiete? Erhebt jemand zuverlässige, aktuelle Karten?
Informationen auf dem neuesten Stand gibt es etwa beim Centrum für Reisemedizin im Internet und bei seinen bundesweiten Beratungsstellen. Prinzipiell sollte sich sowieso jeder, der in tropische Gebiete fliegen will, von einem Tropenmediziner beraten lassen.

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