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Supercomputer

Ein Schatz aus kosmischen Daten

A composite radio (LoTSS; red) and infrared (WISE; white) image of the Coma cluster which is over 300 million light years from Earth and consists of over 1,000 individual galaxies. The radio image shows radiation from highly energetic particles that pervade the space between the galaxies. (Credit: Annalisa Bonafede)

Sieben Jahre sammelte ein Forschungsteam mit dem europäischen Radioteleskop LOFAR Daten aus dem All. Dabei entdeckten sie eine Million bislang unbekannter Galaxien. Der Supercomputer JUWELS des Forschungszentrums Jülich half, die gigantischen Datensätze zu verarbeiten.

Michael Kramer ist Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. (Bild: privat)

„LOFAR steht für Low Frequency Array“, Michael Kramer. Der Professor für Astrophysik ist geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn. „Das ist eine neue Art von Radioteleskopen, mit dem wir den Himmel nach Radiosignalen durchmustern.“ Die Radiosignale, von denen er spricht, sind elektromagnetische Wellen mit einer sehr viel größeren Wellenlänge als das sichtbare Licht. Sie werden von verschiedenen Objekten im gesamten Universum abgestrahlt. Zum Beispiel von Pulsaren. Das sind Sternenleichen, die die Masse einer Sonne in einer Kugel von 20 oder 30 Kilometer Durchmesser vereinen. Wie kosmische Leuchttürme schießen an ihren Polen gigantische Radiojets ins All. Aber auch die extrem massereichen Schwarzen Löcher im Zentrum ganzer Galaxien strahlen im Radiolicht.

Das Besondere an dieser Art elektromagnetischer Strahlung: Sie durchdringt Gas- und Staubansammlungen im Weltall, die sichtbares Licht nicht passieren kann. Radioteleskope erlauben uns daher einen Blick hinter solch kosmische Schleier. Sie funktionieren im Prinzip wie Radio- oder Fernsehantennen – sind nur um einige Nummern größer. Am bekanntesten sind wohl die riesigen „Schüsseln“. Zum Beispiel jene, die nahe der puerto-ricanischen Stadt Arecibo einen kompletten Krater ausfüllt und schon für die Abenteuer eines britischen Geheimagenten als Kulisse diente. Oder auch die aufrechtstehenden „Schüsseln“ des internationalen Radioteleskops ALMA, die auf gigantischen Schwerlasttransportern in der chilenischen Atacamawüste positioniert werden können. Für Beobachtungen werden diese auf ein Ziel am Himmel ausgerichtet.

Die zu vier Seiten mit Drähten abgespannten Metallstäbe im Boden würde der ungeübte Betrachter hingegen wohl eben so wenig für ein Radioteleskop halten, wie die etwa hüfthohen weißen Plastikboxen, die über große Flächen auf den LOFAR-Stationen verteilt sind. „Wir haben keine Parabolantennen, die wir auf unsere Beobachtungsquellen ausrichten können“, sagt Michael Kramer. „Bei LOFAR ist das Antennenfeld unbeweglich und fest mit dem Boden verankert. Doch die auf den Flächen verteilten Antennen sind praktisch für die Signale aus allen Richtungen gleich empfindlich. Wir schauen uns also den gesamten Nordhimmel gleichzeitig an.“ Die Daten aus rund 3.500 Beobachtungsstunden sind nun in eine Karte des Himmels eingeflossen. Und die zeigt 4,4 Millionen Galaxien, von denen eine Million bisher noch unbekannt war.

Die Jülicher LOFAR-Station DE605 besteht aus zwei Antennenfeldern zur Messung hoher und niedriger Frequenzen. Der Container in der Mitte enthält Elektronik zur Verarbeitung der Signale der einzelnen Antennen. Bild: Ralf-Uwe Limbach

Dafür haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Führung des niederländischen Forschungsinstituts ASTRON mehr als 50 Antennenfelder in Europa zu einem riesigen Teleskop zusammengeschaltet. Sechs dieser Messstationen stehen in Deutschland und werden von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen betrieben. Eine davon befindet sich am Forschungszentrums Jülich (FZJ).

Galaxien versteckt im Hintergrundrauschen

„Solch große Datenmengen auszuwerten, wie sie jetzt hier präsentiert wurden, wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen“, sagt Michael Kramer. „Früher haben wir Wochen und Monate gewartet, bis selbst kleinste Datenmengen berechnet waren.“ Doch die Computertechnik hat sich rasant entwickelt und mit JUWELS steht heute in Jülich einer der schnellsten Supercomputer Europas. Er vereint in sich die Rechenleistung von gut 300.000 „normalen“ PCs. „Solche Rechenpower benötigen wir, um die Signale von den LOFAR-Antennen aufzubereiten, zu kalibrieren und um die Daten von Störsignalen und zufälligem Rauschen zu bereinigen“, erklärt der Astrophysiker. „Außerdem wird in Jülich ein wichtiger Teil der LOFAR-Daten gespeichert und für Forschende weltweit zur Verfügung gestellt“, ergänzt er. „Das Forschungszentrum ist hier ein verlässlicher Partner. Ohne Jülich, das muss man ganz klar sagen, wäre die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen.“ Diese Daten stehen der internationalen Forschungsgemeinschaft für weitere Analysen zur Verfügung. „Momentan ist das tatsächlich nur ein Zwischenstand“, sagt Michael Kramer. „Unser Ziel ist es, eine komplette Inventur der Galaxien am Himmel zu haben.“ Für die Auswertung der Daten wenden sich die Forschungsteams dafür an eines der LOFAR-Datenzentren wie eben das in Jülich.

Blick ins Magnetbandarchiv: Das Forschungszentrum Jülich beherbergt etwa 17 Petabyte des LOFAR-Datenarchivs, das insgesamt rund 55 Petabyte umfasst. Bild: Ralf-Uwe Limbach

Cristina Manzano. Bild: privat

Das Universum auf Magnetband

„Bei uns lagern ein Drittel der Daten aus den Beobachtungen der LOFAR-Stationen“, bestätigt Cristina Manzano. Am Juelich Supercomputing Centre (JSC) des FZJ ist sie auf den Bereich Community Storage spezialisiert, betreut also die Datenspeicher der Supercomputer. „Aktuell sind das 17 Petabyte und jedes Jahr kommen zwei Petabyte hinzu.“ Allein der jährliche Zuwachs würde die Festplatten von 2.000 durchschnittlichen Heim-PCs füllen. „Die Daten kommen über schnelle Glasfaserleitungen an und werden auf Festplatten zwischengespeichert“, erklärt die IT-Expertin weiter. „Danach werden sie auf Magnetbänder übertragen.“ Diese ähneln tatsächlich den guten alten Tonbändern. Ihr Vorteil: Sie fassen sehr viel mehr Daten als herkömmliche Festplatten und sind damit eine vergleichsweise kostengünstige Speicherlösungen. Gelagert werden die Bänder in einem riesigen Archiv. Werden Daten für Berechnungen benötigt, holen fahrbare Roboterarme das entsprechende Band automatisch aus seinem Lagerplatz heraus und bringen es zu einer der vielen Lesestationen, Tape-Drives genannt. Dort werden die Daten wieder auf die schnellen Festplatten kopiert und der Roboter bringt das Band zurück in sein Fach. „Die Bänder herauszusuchen und auszulesen, frisst eine Menge Zeit“, sagt Cristina Manzano. „Manchmal muss der Roboter auch warten, weil alle Tape-Drives besetzt sind.“ Hier ist ein ausgeklügeltes Management wichtig, dass die Ingenieurin und ihr Team täglich leisten.

Von den schnellen Festplatten geht es zu den Prozessorkernen, die die Daten nach den Vorstellungen der Wissenschaftler:innen bearbeiten. Würde man das einem ganz normalen PC aufbürden, müsste man Jahrzehnte auf ein Ergebnis warten. Höchstleistungsrechner wie JUWELS hingegen verteilen die Arbeit auf viele Schultern. Die über 120.000 Prozessorkerne arbeiten parallel und das auch an verschiedenen Forschungsprojekten zur gleichen Zeit. Denn der Supercomputer ist nicht darauf beschränkt, neue Galaxien zu finden. Jede Art von Berechnung aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen kann hier gemacht werden. „Für uns sind das erst einmal nur Datenpakete, die wir von den Forschungsgruppen aus aller Welt erhalten“, sagt Cristina Manzano. „Trotzdem ist ein enger Kontakt zu den Wissenschaftler:innen wichtig. Und natürlich ist es extrem spannend, als einer der ersten solche Ergebnisse wie die neue Karte des Universums zu sehen.“

Flexibler und energieeffizienter Supercomputer: JUWELS ist schneller als 300 000 moderne PCs

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