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Plattentektonik

Ein Crash in Superzeitlupe

Auf einer Länge von 3.000 Kilometern erstreckt sich die Knautschzone des Crashs der beiden Kontinentalplatten: Der Himalaya. Bild: NASA

Das schwere Erdbeben Ende April in Nepal hat die Erdoberfläche an vielen Stellen um mehrere Meter verschoben. Diese gewaltigen Kräfte rühren aus dem Aufeinandertreffen zweier Kontinentalplatten – und halten schon seit 50 Millionen Jahren an.

Ein Menschenleben ist in Relation zur Erdgeschichte so kurz wie ein Wimperschlag. Deshalb fällt es uns schwer, Veränderungen wahrzunehmen, die sich über Jahrmillionen hinziehen. Gebirge etwa erscheinen uns statisch und kaum wandelbar. Dennoch sind sie in einem dynamischen Prozess entstanden, durch das Zusammenstoßen zweier Erdplatten. Im Falle des Himalaya dauert dieser Prozess bis heute an. Vor rund 50 Millionen Jahren kollidierten die indische und die eurasische Kontinentalplatte. Seit dem Aufeinandertreffen haben sie sich etwa 2000 bis 3000 Kilometer  ineinandergeschoben mit einer Geschwindigkeit von fünf Zentimetern pro Jahr. Die Geologen sprechen von Konvergenz. Und sie tun es immer noch, mit derselben Geschwindigkeit. Vor der Kollision haben sie sich mit mehr als zehn Zentimeter pro Jahr aufeinander zu bewegt. Zu spüren ist das Ineinanderschieben durch immer wieder auftretende Erdbeben, in denen sich die Spannung entlädt. 

„Vier bis fünf Zentimeter pro Jahr sind für die Bewegungen auf der Erde sehr schnell“, erklärt Lothar Ratschbacher von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Es sei ungewöhnlich, dass die Konvergenz noch immer anhalte . Andere Zusammenstöße zwischen Kontinentalplatten sind viel schneller zum Erliegen gekommen. So beispielsweise im Falle der afrikanischen und der europäischen Platte – wodurch unter anderem die Alpen entstanden sind. Warum der Zusammenstoß zwischen der indischen und der eurasischen Platte eine Ausnahme bildet, wird in der Wissenschaft lebhaft diskutiert, sagt Bernd Schurr vom Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum  GFZ. Es gebe drei Modelle, die das Phänomen erklären. Eines geht davon aus, dass die indische Platte – heute eine dicke Platte – ursprünglich einen etwa 1000 Kilometer langen, dünnen Kontinentrand hatte. Der Rand war zwar dünner aber aufgrund seiner Zusammensetzung schwerer als der Rand der eurasischen Platte und schob sich deshalb unter sie: „Er könnte die Kraft haben, die indische Platte weiter in die eurasische Platte zu ziehen“, erklärt Schurr, der die Tektonik und die geodynamischen Prozesse in Gebirgen erforscht. 

In einem zweiten  Modell geht die Wissenschaft von großen, sogenannten Konvektionszellen im Erdmantel aus. Es ist ein ähnliches Prinzip wie in einem Kochtopf: Kaltes Material sinkt ab – denn es ist schwerer als warmes Material –, wird erhitzt, steigt wieder auf und so weiter. So können sich Zellen bilden in denen auf einer Seite kaltes Material absinkt und auf der anderen warmes aufsteigt. Diese Konvektionszonen könnten die Platten von unten antreiben und die indische Platte wie auf einem Förderband weiter in die eurasische Platte schieben. Im dritten Modell wird auch die Möglichkeit diskutiert, dass die indische und die australische Platte zusammenhängen. Weil die schwere australische Platte unter Südostasien abtaucht, könnte sie die indische Platte mit sich nach unten ziehen.

Nepal und auch das Himalayja-Gebirge sind durch die Konvergenz zwischen indischer und eurasischer Platte entstanden, sozusagen als Knautsch-Zone. „Normalerweise wird hauptsächlich die unterschiebende Platte – hier Indien – verkürzt, und dort bildet sich das wesentliche Gebirge. Im Himalaya gehen wir von 700 bis 1000 Kilometern Verkürzung seit der Kollision aus“, sagt Lothar Ratschbacher, der in Freiberg Tektonophysik lehrt. Das ist weniger als der Betrag, den sich die beiden Platten insgesamt ineinander geschoben haben. Denn es ist nicht alleine der Himalajya, der im Laufe der Millionen Jahre auf den Druck reagiert hat: „Die Gebirgsbildung wandert nach außen, im Fall der Indien-Asien Kollisionszone nach Süden und Norden.“ Sprich: Auch Tibet und andere Gebirge, so zum Beispiel der Tian Shan, falteten und falten sich auch.

Allerdings ging und geht dieses Falten der Erdoberfläche alles andere als unmerklich vor sich, stellt Lothar Ratschbacher klar: „Alle Deformation in den oberen 10 bis 30 Kilometer der Erdkruste erfolgt durch Erdbeben. Dies rührt daher, dass die dort herrschenden geringen Temperaturen nur bruchhafte Verformung der Gesteine erlauben.“ Genau deshalb bebte in Nepal die Erde und im Himalaja schob sich das Gestein an manchen Stellen nach oben bzw. unten. Unter dem Himalaja und Tibet werden in der Kruste, die bis zu 70 bis 80 dick ist, Temperaturen bis 1000 Grad Celsius erreicht. Daher kommt es dort zu keinem Bruch, also zu keinen Erdbeben.

Große Erdbeben wie das in Nepal im April, muss es im Laufe der vergangenen 50 Millionen Jahre unzählige Male gegeben haben. Bernd Schurr möchte nicht spekulieren, wann die Kollision zwischen den beiden Platten zum Erliegen kommt. Er ist jedoch sicher, dass es irgendwann – im Laufe vieler Millionen Jahre – soweit sein wird und sich die Erde in dieser Region nicht weiter auffaltet. „Die Gravitation der aufgetürmten Gebirge wirkt dem Antrieb der Platten stark entgegen“, sagt er.

Mehr zur Erdbeben in Nepal:

CEDIM-Wissenschaftler im Einsatz nach Erdbeben in Nepal (ESKP)

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