Expertenkommission
EFI-Gutachten vorgelegt
Deutschland verliere zu viele Spitzenforscher, kritisieren die Experten und mahnen Reformen an. Politik und Wissenschaftsorganisationen halten dagegen: Deutschlands Hochschulen und Forschungseinrichtungen seien so attraktiv wie lange nicht mehr
Die Bundesregierung muss jetzt die Weichen für die Weiterentwicklung des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschlands stellen - das fordert die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem am 26. Februar öffentlich vorgestellten Gutachten. In dem von der Bundesregierung eingesetzten Beratungsgremium sitzen sechs Forschungs- und Bildungsexperten. In ihrem jährlichen Bericht stellen sie die Entwicklung von Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands zusammenfassend dar.
Zu den Schwerpunktthemen des 256-seitigen Gutachtens zählt die internationale Mobilität von Wissenschaftlern. Die EFI-Experten bemängeln auf Grundlage veröffentlichter OECD-Daten (Erhebungszeitraum 1996 bis 2011), dass immer noch mehr Wissenschaftler ins Ausland abwanderten, als nach Deutschland kämen. Die internationale Wissenschaftlermobilität führe tendenziell zu einer Reduktion der Forschungsqualität in Deutschland, urteilten die Experten. Sie argumentieren weiter, dass die Abwandernden im Schnitt besser seien als die Zuwandernden.
Nach Angaben des EFI-Berichts hat Deutschland in einem Zeitraum von 15 Jahren etwa 4.000 Wissenschaftler ans Ausland verloren. Ob sich der Trend nach 2011 umgekehrt habe, könne das Gutachtergremium derzeit nicht sagen, da für diesen Zeitraum noch keine Daten vorlägen. Aus diesem Grund drängen die Experten auf die Entwicklung einheitlicher Evaluationsstandards, die konkrete Vergleiche ermöglichten.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung widersprach der Einschätzung der Expertenkommission. Entgegen des Gutachtens belegten aktuelle Zahlen, dass Deutschland als Wissenschaftsstandort enorm an Attraktivität gewonnen habe. Das Bild habe sich vor allem dank der Exzellenzinitiative und des Paktes für Forschung und Innovation gewandelt.
Auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, zog die EFI-Schlussfolgerungen in Zweifel. Zwar gebe die Expertenkommission regelmäßig wertvolle Hinweise zu den Perspektiven von Forschung und Wissenschaft, was jedoch die beklagte Abwanderung von Spitzenforschern aus Deutschland angehe, müsse er feststellen: "Hier zeichnen die EFI-Experten ein unvollständiges und dadurch verzerrendes Bild." Deutschlands Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen hätten im Wettstreit um die klügsten Köpfe in den vergangenen zehn Jahren nicht nur Boden gutgemacht, in vielen Forschungsfeldern spielten sie längst in der Weltspitze mit.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hingegen stimmte der EFI-Kommission in ihrer Problembeschreibung zu. Der stellvertretende Vorsitzende Andreas Keller sagte: "Die Politik muss endlich handeln und die Weichen für einen attraktiven Arbeitsplatz Hochschule und Forschung stellen".
Weitere Forderungen im EFI-Gutachten 2014 an die Adresse der Bundesregierung sind:
- Den Forschungsstandort Deutschland für Wissenschaftler aus dem In- und Ausland attraktiver gestalten: Einerseits müsse das Abwandern von Forscherinnen und Forschern reduziert werden und andererseits müssten in Deutschland ausgebildete Wissenschaftler dazu motiviert werden, in ihr Land zurückzukehren. Die Kommission empfiehlt daher Anreizsysteme wie Gehalts- und Personalstrukturen zu überarbeiten und fordert zu mehr Planungssicherheit auf.
- Die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems und eine verlässliche Finanzierung der Hochschulen: Da die drei Pakte Hochschulpakt, Exzellenzinitiative sowie Pakt für Forschung und Innovation in den nächsten Jahren auslaufen, fordern die Experten einerseits eine stärkere Finanzierung der Hochschulen und in diesem Zusammenhang eine Abschaffung des Kooperationsverbotes (Artikels 91 b des Grundgesetzes). Nur so könne der Bund die Hochschulen wieder institutionell fördern. Auf der anderen Seite plädieren die Gutachter für eine noch stärkere Vernetzung zwischen den außeruniversitären Forschungseinrichtungen Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft sowie Leibniz-Gemeinschaft und den Universitäten und fordern für die vier Organisationen wie bereits in ihrem Vorjahresgutachten einen einheitlichen Bund-Länder-Finanzierungsschlüssel (70 Prozent durch den Bund, 30 Prozent durch die Länder). Eine Vermischung von Forschungsdurchführung und Forschungsförderung lehnen die Experten ab.
- Die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG): Die EFI-Kommission sieht keinen Grund zur Fortführung des EEG. Als zentrales Element der deutschen Klima- und Energiepolitik habe es versagt. Die Experten betonen, dass das EEG den Strom teurer mache und es bisher weder zu mehr Klimaschutz, noch zu mehr Innovationen geführt habe. Als Alternative zum EEG schlägt die Kommission vor, die Energiewende ausschließlich mit dem EU-Emissionshandel fortzuführen. Denn nur so könne eine CO2-Reduktion erreicht und der Klimaschutz vorangetrieben werden.
- Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT): Die Experten fordern von der Bundesregierung eine hohe Priorisierung der IKT. Sie empfehlen die Konzentration auf wichtige Anwendungsfelder entlang der Hightech-Strategie der Bundesregierung und in enger Verknüpfung mit dem EU-Rahmenprogramm Horizon 2020. Zu diesen Feldern gehören unter anderem intelligente Netze im Bereich der Mobilität, Energie oder die Digitalisierung von Produktionssystemen und Wertschöpfungsketten. Zudem plädieren sie für eine stärkere Förderung von jungen Unternehmen. Die Bundesregierung solle sich darüber hinaus für einen einheitlichen Rechtsrahmen für Cloud Computing einsetzen, ohne die Flexibilität europäischer Unternehmen einzuschränken. Sie fordert außerdem eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung, vor allem für forschungsintensive Klein- und mittelständische Unternehmen.
- Den Frauenanteil in Wissenschaft und Industrie weiter erhöhen: Dazu gehöre es auch, mehr Frauen für öffentliche Verwaltungen zu gewinnen. Die so genannte Frauenquote sehen die Experten weiterhin als wichtiges Element für die Weiterentwicklung des deutschen Innovationsstandorts. Dringende Verbesserungen für hochschulmedizinische Forschung Keiner der hochschulmedizinischen Standorte in Deutschland nehme eine internationale Spitzenposition ein - das beklagen die EFI-Experten. Um dies zu verbessern fordert die Kommission konkrete Maßnahmen. So sollen die Mehrbelastungen in den Klinika ausgeglichen und die Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler attraktiver gestaltet werden. Als zentrale Voraussetzung für exzellente Forschung und effiziente Translation sehen die Experten die räumliche Nähe hochschulmedizinischer Standorte zu Forschungsorganisationen, Krankenhäuser und Unternehmen.
- Investition in die Erhaltung und Weiterentwicklung der Berufsausbildung: Die Gutachter drängen darauf, talentierten und ambitionierten Berufsabsolventen klare und individuelle Karriereperspektiven anzubieten. Die Kommission betont, dass das bildungspolitische Ziel nicht im Erreichen von Akademikerquoten liegt, sondern vielmehr von einem optimalen Bildungsmix abhängt.
Die Expertenkommission
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Das erste Gutachten wurde am 27. Februar 2008 der deutschen Bundesregierung übergeben. Im Zusammenhang mit den jährlichen Gutachten finden umfassende Analysen der Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich statt. Auf Basis neuester wissenschaftlicher Untersuchungen werden zudem die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandortes Deutschlands bewertet. Ein zentraler Bestandteil der Gutachten sind Optimierungsvorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
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