Joghurt
Diese Milch lebt
Joghurt ist dabei, der neue Star unter den Lebensmitteln zu werden. Er stabilisiert nicht nur die Knochen und fördert die Darmflora, sondern schützt offenbar auch Gehirnzellen
Das nächste große Ding kommt aus Bulgarien. Zumindest, wenn es nach dem Biochemiker Teymuras Kurzchalia vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden geht. Dass bulgarischer Joghurt besonders gesund sein soll für den Darm und die Verdauung, hat man ja vielleicht hier und da schon gehört. Doch bei einer Substanz, die im bulgarischen Joghurt aufgrund der speziellen Zubereitung in besonders großer Konzentration vorhanden ist, dem so genannten D-Laktat (linksdrehende Milchsäure), haben Kurzchalia und Kollegen im Juli dieses Jahres im Labor eine Wirkung nachgewiesen, die niemand erwartet hatte: Sie schützen Nervenzellen vor dem Tod durch Parkinson. Aber nicht nur das. Die Substanzen können auch Nervenzellen, die von der Krankheit schon betroffen sind, dazu veranlassen, sich zu regenerieren.
Es ist nur eine weitere von etlichen positiven Wirkungen, die dem Joghurt dank seiner reichhaltigen Inhaltsstoffe bescheinigt werden. Da ist zum Beispiel Kalzium, das die Stabilität der Knochen gewährleistet. Vitamin B12, das für die Blutbildung wichtig ist. Vitamin B6 braucht der Körper für mehr als 100 Stoffwechselvorgänge, aber er kann es nicht vollständig selbst herstellen. Riboflavin, das unter anderem vor Migräne schützt. Joghurt wird wegen seiner Inhaltsstoffe für ältere Menschen ebenso empfohlen wie für Babys. Eine Forschergruppe um den Ernährungswissenschaftler Michael Zemel von der US-amerikanischen University of Tennessee konnte 2005 sogar zeigen, dass der regelmäßige Verzehr von fettarmem Joghurt dabei helfen kann, das Gewicht zu reduzieren. Andere Untersuchungen legen nahe, dass Joghurt vor Bluthochdruck schützt. Die in jüngster Zeit immer häufiger genannte Wirkung aber ist eine ganz andere: die probiotische.
Joghurt kann Durchfall verhindern, der als Nebenwirkung bei der Aufnahme von Antibiotika auftritt
Die Mikroorganismen in unserem Darm spielen eine große Rolle für die Erhaltung der Gesundheit
„Die Mikroorganismen vor allem in unserem Darm scheinen eine erheblich größere Rolle für die Erhaltung der Gesundheit und das Entstehen von Krankheiten zu spielen, als man bis vor Kurzem angenommen hat“, sagt Westendorf. Am Ende führt all das – zum Joghurt. Denn wer auf diese Erkenntnisse am Horizont heute schon reagieren will, dem empfiehlt sie den direkten Weg zum Kühlregal im Supermarkt: Mithilfe probiotischer Lebensmittel wie Joghurt lässt sich das Mikrobiom im Darm stärken. Und selbst wenn die Wirkung geringer sei als angenommen, sagt Westendorf, „falsch machen kann man damit sicher nichts“.
Joghurt sei allerdings nicht gleich Joghurt, sagt Westendorf. Die Konzentration an Milchsäurebakterien sei von Marke zu Marke unterschiedlich, manche Joghurts sind sogar künstlich angereichert mit Bakterien und werden als „probiotisch“ beworben, andere enthalten kaum Mikroorganismen. Leider sei auf den Joghurts bislang nicht aufgedruckt, wie viele Milchsäurebakterien darin enthalten sind. Mit einer verzehrüblichen Portion probiotischen Joghurts nimmt man normalerweise einige Milliarden Milchsäurebakterien zu sich, normaler Joghurt enthält dagegen oft nur mehrere Hundert Millionen. Aber selbst in solchen niedrigeren Konzentrationen ist Joghurt nicht nur eine Wohltat für uns, sondern wahrscheinlich auch für die Untermieter in unserem Darm. Außerdem produzieren manche Milchsäurebakterien offenbar auch selbst Stoffe, die positive Wirkungen auf zentrale Prozesse in den Körperzellen haben, wie die jüngste Entdeckung über die Wirkung bei Parkinson andeutet.
Das Problem, von dem bei Parkinson alles ausgeht, sind höchstwahrscheinlich geschädigte Mitochondrien, das sind die Kraftwerke jeder Zelle. Bei Erkrankten leisten die Mitochondrien in bestimmten Nervenzellen im Gehirn immer weniger, bis sie ihre Arbeit ganz einstellen und die Zellen absterben. „Das von bestimmten Bakterien im bulgarischen Joghurt produzierte D-Laktat verhindert das offenbar ein Stück weit. Im menschlichen Körper könnte es über die Darmschleimhaut und den Blutkreislauf ins Gehirn gelangen und dort auf die angeschlagenen Mitochondrien wirken“, sagt Teymuras Kurzchalia. In einem Experiment konnte er zeigen, dass die Substanzen dazu führen, dass die Zellkraftwerke sich wieder erholen und leistungsfähiger werden. „Vielleicht bringen wir irgendwann mal einen Joghurt auf den Markt, der mit D-Laktat angereichert ist“, sagt Kurzchalia und lacht. „Das wäre dann das am besten schmeckende Medikament der Welt.“?
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