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Energiewende

"Die Zeit für den Netz-Umbau wird knapp"

Die Energiewende macht einen umfassenden Ausbau des Stromnetzes nötig. Das erfordert nicht nur neue Stromleitungen, sondern auch intelligente Betriebsmittel. Thomas Leibfried vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erklärt in einem Interview, was das bedeutet

 Warum reichen die alten Stromnetze nicht mehr aus?

Das Ziel der Bundesregierung ist es, unsere Stromversorgung von Kernkraft und Kohle auf erneuerbare Energien umzustellen. Erneuerbare Energien sind aber fluktuierend, das heißt, sie stehen nicht immer dann zur Verfügung, wenn wir es gerne hätten, sondern wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Deswegen brauchen wir flexible und damit neue Stromnetze sowie Zwischenspeicher, um die Schwankungen auszugleichen.

Strom ist gerade ein heißes Thema, wie sich bei der Debatte um die Rekommunalisierung der Netze in Hamburg und jüngst Berlin gezeigt hat. Warum?

Offenbar schenken die Menschen den großen Konzernen wenig Vertrauen. Sie haben wohl das Gefühl, das hier Gewinne erzielt werden sollen auf Kosten der Bevölkerung. Das führt dazu, dass die Menschen die Energieversorgung am liebsten selbst in die Hand nehmen würden. Nicht wenige wollen den Strom auf dem eigenen Hausdach produzieren, um ganz vom Stromerzeuger unabhängig zu sein. Auch ein zweiter Aspekt feuert die Debatte an: Die Verlegung der neuen Stromtrassen. Die Menschen wollen diese Hochspannungsleitungen nicht auf dem eigenen Acker haben. Neben dem Geländeverbrauch fürchten sie sich auch vor einer Bedrohung durch elektromagnetische Felder.

Thomas Leibfried, Institutsleiter für Elektroenergiesystem und Hochspannungstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Bild: privat

Welche technischen Herausforderungen sind beim Netzausbau zu meistern?

Wir untersuchen, ob es sich lohnt und inwiefern es technisch machbar ist, ein "Super Grid" aufzubauen, also ein Gleichstromnetz, das sich über ganz Europa erstreckt und das dem bestehenden Drehstromsystem überlagert wird. Über solche Stromautobahnen kann man Energieflüsse steuern, also beispielsweise die Offshore erzeugte Windenergie in die Verbraucherzentren leiten, zum Beispiel in den Süden Deutschlands, wo wir bis 2022 einen massiven Wegfall der Erzeugerkapazität durch die Abschaltung der Kernkraftwerke haben werden. Hier gibt es noch viele Fragestellungen, die uns beschäftigen - zum Beispiel, wie ein solches Gleichstromnetz im Verbund mit dem bestehenden Netz stabil gehalten werden kann. Neben dieser großen Herausforderung gilt unsere Forschung auch der Optimierung der Verteilnetze. Hier muss ein intelligentes System entwickelt werden, das die Betriebsweise optimiert.

Was bedeutet das - wird unser Stromnetz bald super-smart?

Strom bleibt natürlich immer Strom. Aber die Netze müssen so intelligent gemacht werden, dass zu jedem Zeitpunkt Last, also Verbrauch, und Erzeugung zusammenpassen, und das ohne kostenintensive Ausbaumaßnahmen und trotz der Volatilität der Erneuerbaren Energien. Eine Möglichkeit dazu ist, die Energie möglichst dort zu verbrauchen und zu speichern, wo sie entsteht. Das übergeordnete Netz soll möglichst wenig genutzt werden - denn dann muss es auch nicht ausgebaut werden. Diesen Ansatz kann man als Regionalisierung der Energieversorgung bezeichnen. Weitere Forschung setzt direkt bei den Stromerzeugern an: Kraftwärmekopplungsanlagen zum Beispiel produzieren gleichzeitig Strom und Wärme. Außerdem untersuchen wir die Möglichkeit, überschüssigen Strom in Gas umzuwandeln und ihn so zu speichern.

Was merkt der Endverbraucher vom Netzausbau?

Ich denke, es wird variable Stromtarife geben. Der Strom kostet dann weniger, wenn er gerade günstig produziert werden kann. Ich kann mir vorstellen, dass die Geräte in Zukunft programmierbar sind. Also kann der Benutzer bestimmen, wann die Waschmaschine wäscht, er muss nicht nachts aufstehen, um sie kostengünstig einzuschalten. Allerdings zeigen Studien auch, dass Verbraucher sich nicht unbedingt nach solchen Empfehlungen richten. Für die Industrie dürften variable Stromtarie schon interessanter sein.

Welche Debatten erwarten uns noch?

Die Kernkraftwerke im ganzen Land werden bis Ende 2022 abgeschaltet, bis dahin muss die Energieversorgung auch ohne sie funktionieren. Das große Thema wird sein: Schaffen wir das? Die Energiewende muss auch auf EU-Ebene debattiert werden. Wir nutzen ja jetzt schon die Netze unserer Nachbarn. Strom fließt vom Norden Deutschlands nach Polen, dann wiederum über Tschechien in den bayrischen Raum hinein. Das lastet die Netze unserer Nachbarn zunehmend aus, was von ihnen kritisch gesehen wird. Wir brauchen also eine gesamteuropäische Lösung.

Sind Sie zuversichtlich, was die Energiewende angeht?

Natürlich sind viele technische Fragestellungen zu lösen, da mache ich mir aber wenig Sorgen. Das werden die Ingenieure und Wissenschaftler hinbekommen. Viel entscheidender ist die Akzeptanz in der Bevölkerung, und hier fehlt noch viel Einsicht auf allen Ebenen. Denn intelligente Verfahren, wie wir sie entwickeln, können nicht alles leisten. Es ist unvermeidbar, neue Stromtrassen zu bauen. Und wir sehen jetzt schon, dass die Zeit extrem knapp wird. 

Prof. Dr.-Ing. Thomas Leibfried, Institutsleiter für Elektroenergiesystem und Hochspannungstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Leibfried ist Mitglied im Helmholtz-Energieprogramm "Storage Systems and Cross-linked Infrastructures - for the renewable energy age" (SCI). Hier bringt er seine Kompetenzen 'Electrical power system technology', 'Modelling & simulation of the electrical power grid' sowie 'grid equipment und Grid control systems' ein.

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