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Interview

Die Vermessung der Ozeane

Bild: Björn Fiedler, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung

Wie genau die Ozeane funktionieren, besonders im Hinblick auf die Wechselwirkungen mit dem Klima, ist in weiten Teilen noch unverstanden. Es fehlt vor allem an Messdaten. Ein internationales Projekt soll dies ändern – trotz unterschiedlicher Interessen der beteiligten Staaten.

Interview mit Martin Visbeck vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Was ist die Grundidee hinter dem Projekt AtlantOS?

Wir stehen vor der großen Herausforderung, dass wir für immer mehr wissenschaftliche und gesellschaftliche Fragen Informationen aus dem Ozean benötigen. Und das nicht nur punktuell, sondern möglichst flächendeckend und dauerhaft. Dafür brauchen wir eine verbesserte internationale, koordinierte und interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Wie lassen sich diese Daten am besten erheben? 

Auf drei Wegen: Zum einen über Beobachtungssysteme von Satelliten aus. Damit kann man Meeresoberflächentemperaturen und Meeresspiegelhöhen messen – aber nicht in den Ozean hineinschauen. Dafür benötigen wir Systeme, die im Ozean selbst operieren. Und um da die verschiedenen Ansätze zu bündeln, optimieren und zu verbessern, ist das AtlantOS-Projekt ins Leben gerufen worden.

Welche Techniken werden dort angewandt?

Das fängt mit Fahrten mit Forschungsschiffen sn, bei denen man mit Sonden punktuelle hochgenaue Messungen machen kann. Doch Sie können sich vorstellen, dass die Zahl der Forschungsschiffe endlich und die Kosten vergleichsweise hoch sind. Diese Art der Messungen kann man auf zwei Wegen optimieren und ergänzen: Wir hätten am liebsten auf jedem kommerziellen Schiff ein „Messmodul“ für Dauermessungen zu Salzgehalt, pH-Wert, gelöstem CO2, Nährstoffen, Plastikkonzentration, Planktonreichtum und zur marinen Gendiversität. Man könnte auch die Strömungen der oberen 500 Meter erfassen und viele wichtige Oberflächenparameter mehr. Das wird noch ein paar Jahre dauern, bis man die richtigen und großen kommerziellen Partner zusammengebracht hat. Das zweite große Segment sind autonome Systeme, roboterartige Plattformen. Da hat es in den letzten zehn Jahren gewaltige Fortschritte gegeben.

Sie sprechen vom sogenannten Argo-Netzwerk? 

Ja, es besteht aus fast 4000 Robotern, die überall im eisfreien Ozean für Dauermessungen der oberen 2000-Meter Wassersäule unterwegs sind. Mehr als 30 Länder sind daran beteiligt. Die Daten werden in Echtzeit aller Welt kostenfrei zur Verfügung gestellt. In solchen Projekten der internationalen Zusammenarbeit sehen wir die Zukunft. Und auch in den Glidern, die wir zum Beispiel bei uns am Helmholtz-Zentrum betreiben. Das sind Roboter, die sich nicht nur rauf und runter bewegen, sondern auch ein Stück segeln und damit vorwärtsschwimmen können. Wir verfügen außerdem über Mini-U-Boote für Tiefseevermessung, die benötigen viel mehr Energie und können nicht im Dauereinsatz ohne Forschungsschiffe in der Nähe betrieben werden. AtlantOS wägt die Techniken ab: Was ist für welchen Zweck der Messungen im Ozean am besten geeignet, welchen Mix der Beobachtungssysteme braucht man im Ozean?

Zum Verbund der Atlantik-Anrainer gehören etwa Frankreich, Großbritannien, Kanada, die USA, Brasilien, Südafrika und Argentinien… mit sehr unterschiedlichen Interessen. Wie wollen Sie die unter einen Hut bekommen?

Es stimmt schon, dass alle Staaten auch Partikularinteressen am Ozean haben. Aber alle wissen auch, dass ihre Ressourcen für Ozeanbeobachtungen endlich sind. Und dass es sinnvoll ist, die technischen Infrastrukturen gemeinsam zu nutzen. Sich abzusprechen, Schiffszeit zu tauschen, je nachdem, wer gerade ein Forschungsschiff vor Ort hat. Wir haben etwa Kapazitäten mit tief tauchenden U-Booten, die andere Länder nicht besitzen. Dafür verfügen diese über Messgeräte, die wir nicht haben. AtlantOS fördert die internationale Zusammenarbeit und etabliert Methoden um sich optimal zu ergänzen und das gewonnen Wissen und die Daten zu teilen.

Wie hat sich im Vergleich der letzten Jahre das Bewusstsein entwickelt für die Zusammenhänge zwischen Ozean und Klima?

Die Wichtigkeit der Ozeane war unter Experten der Klimaforschung von Anfang an bekannt, anders als vielleicht bei der Bevölkerung. In den letzten Jahren sind es natürlich vor allen Dingen zwei Aspekte, die die Wichtigkeit besonders deutlich machen. Hinsichtlich der Erwärmung sind es die Fragen: Hat der Klimawandel stattgefunden? Hat er sich abgeschwächt? Da ist es spannend, in das Ozeansystem zu schauen, denn dort stecken 90 Prozent der durch den Klimawandel gewonnenen Wärmeenergie. Sie ist im Ozean angekommen, das kann man dank Argo und den Satelliten mittlerweile sehr genau messen und die Frage beantworten: Erwärmt sich das System immer weiter oder nicht? Im Moment sind die Signale klar. Es gibt und gab keine Pause der Erderwärmung, der Ozean speichert jedes Jahr mehr Energie und erwärmt sich auch in großen Tiefen.

Und der zweite Aspekt?

Das ist der Meeresspiegelanstieg. Den kann man sehr gut per Satellit beobachten, aber es sind noch viele Fragen offen nach den regionalen Signalen und deren Auswirkungen auf die Küstensysteme. Der regionale Meeresspiegelanstieg fällt sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wo und wie die Erwärmung stattfindet, wo die Gletscher und Eispanzer schmelzen und wie schnell die Erdkruste auf die Veränderungen der Massen reagiert. Dazu kommen Veränderungen im Wasserhaushalt an Land und die unterschiedlichsten Küstenschutzmaßnahmen. Ein komplexes, spannendes und wichtiges System. 

Das Kohlendioxid ist nicht nur in der Atmosphäre wirksam, sondern löst sich auch im Meer…

…und führt dort zu chemischen Veränderungen: Der pH-Wert sinkt. Das Meer ist seit der industriellen Revolution und insbesondere in den letzten 50 Jahren immerhin schon fast 30 Prozent (0.1 pH-Einheiten) saurer geworden. Das wirkt sich auf Korallen, Schnecken und das Plankton aus, also die Nahrungskette der Fische. Den pH-Wert im Meer zu messen, ist gar nicht so leicht. Die ersten Roboter mit pH-Sensoren sind seit wenigen Jahren im Piloteinsatz. Die Qualität und Veränderung des Planktons kann man letztlich nur durch Netzfänge feststellen. Aber auch da gibt es semi-automatische Systeme, die teilweise bei etwas langsamer fahrenden kommerziellen Schiffen hinterher gezogen werden können und seit 60 Jahren auf einigen Schifffahrtsrouten Daten erheben. All diese Dauermessungen im Ozean sind komplex, teuer und über viele Schiffe und Plattformen verteilte. Das kann kein Leibniz-Institut oder Helmholtz-Zentrum leisten, auch kein Land wie Deutschland. Da muss man sich international zusammentun – genau dafür gibt es AtlantOS im Atlantik und ähnliche Projekte für das Mittelmeer, die Arktis, den Südlichen Ozean und den Indik und Pazifik.

Ein anderer Punkt ist die Sorge um den Golfstrom – wie ist da der aktuelle Stand?

Hier geht es um die klimawirksame Tiefenzirkulation, bei der warmes Wasser an der Oberfläche nach Norden geführt wird und in großer Tiefe kaltes Wasser zurückfließt Richtung Äquator und Antarktis. Wir sprechen hier von einer „dichtegetriebenen“ Strömung: Sie wird ausgelöst durch starkes Abkühlen im Winter in höheren Breiten, um Grönland herum. Wenn da aber Gletschereis schmilzt und ins Meer fließt, wird der Salzgehalt geringer. Dadurch wird das Wasser beim selben Grad der Abkühlung nicht mehr so dicht und schwer. Somit kann es nicht mehr so gut absinken. Wenn dann noch mildere Winter im Klimawandel hinzukommen, führen die beiden Effekte zusammen dazu, dass nach unseren Schätzungen diese Zirkulation um 30 Prozent abnehmen wird. Bis jetzt sind die Strömungen in der Tiefe noch recht stabil. In meiner Arbeitsgruppe messen wir die Stärke der Tiefenzirkulation vor Labrador seit fast 20 Jahren.

Welche Auswirkungen hat das?

Diese Zirkulation macht 80 Prozent des Atlantischen Wärmetransports aus, insofern ist da der Effekt besonders groß. Es wird zu einer relativen Abkühlung des Nordatlantiks kommen. Allerdings wird die Reduktion des Atlantischen Wärmetransports die Erwärmung an der Oberfläche nur reduzieren, es wird also weniger warm. Die Ozean und letztendlich die Tiefsee nimmt außerdem ein Drittel des vom Menschen eingebrachten Kohlendioxids auf und verbreitet es. Daher hat man eine Menge Effekte, die aneinander gekoppelt sind. Wenn diese Zirkulation tatsächlich schwächer wird, werden wir das an vielen Stellen merken: Dass wir weniger CO2 im Meer aufnehmen, dass wir weniger warmes Wasser nach Norden transportieren. Was uns paradoxerweise helfen würde, die Erwärmung durch den Klimawandel an Land etwas zu kompensieren: Wir bekommen dann nicht ganz so viel Hitze ab.

Wie gehen Sie damit um, dass es noch immer einige Menschen gibt, die den Klimawandel bestreiten?

Die Fakten insbesondere die Erwärmung des Ozeans zweifelt kaum noch jemand an, Wissenschaftler schon gar nicht. Ich höre eher: „Was ihr gemessen habt, ist zwar richtig, aber die Erklärung ist falsch. Das System schwankt immer, das ist kein Klimawandel.“ Das ließe sich zum einem mit langen Messreihen widerlegen. Aber wir können und brauchen nicht erst noch mal 50 oder 60 Jahren warten, bis wir das Problem sicher geklärt haben. Uns helfen bei der Erklärung das Verständnis des Systems Ozean, die Wissenschaft entwickelt dazu auch immer besser werdende Ozean und Klimamodelle. Mit denen lassen sich sowohl die Schwankungen, aber auch die Erwärmung simulieren und erklären. Der Meeresspiegel reagiert sehr langsam, mit sehr viel Nachlauf.

Die Diagnose der Erderwärmung wird von manchen nicht angezweifelt, weil man die Wissenschaft anzweifelt, sondern weil man die Konsequenzen scheut, die vernünftig wären, eine CO2 arme Gesellschaft, manche möchten aber ihr Verhalten nicht ändern und zweifeln deshalb die Diagnose an. Wir in der Klimaforschung machen Diagnosen und Vorhersagen, für die Umsetzung von zum Beispiel CO2  armen Energiesystemen braucht  es die enge Zusammenarbeit mit anders Disziplinen. Etwa bei der Frage: Wie kann ich eine wachsende Weltbevölkerung so versorgen, dass die CO2-Belastung nicht signifikant steigt? Das kann die Wissenschaft nur durch interdisziplinäre Teams aus Physikern, Ernährungsexperten, Ingenieuren und Ökonomen beantworten. In der Helmholtz-Gemeinschaft haben wir diese Expertise und sollten diese konsequent Bündeln um solche Zukunftsfragen zu beantworten. Ozeanbeobachtungssysteme spielen dabei auch eine wichtige Rolle. 

Martin Visbeck, Bild: GEOMAR

Prof. Dr. Martin Visbeck vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist Experte für Physikalische Ozeanographie und Koordinator des internationalen Projekts AtlantOS, das jetzt die Beobachtungssysteme und Daten von vielen verschiedenen Partnern zusammenführt und die Forschung durch die Nutzung von Synergien vorantreiben will.

AtlantOS steht für "Optimising and Enhancing the Integrated Atlantic Ocean Observing Systems" und ist ein im Rahmen des EU-Programms für Forschung und Innovation, Horizon 2020, mit 20 Millionen Euro gefördertes Projekt. Visbeck koordiniert das aus 62 Mitgliedern bestehende Konsortium, in dem 18 Länder vertreten sind. Aus der Helmholtz-Gemeinschaft beteiligt sich nicht nur das GEOMAR, sondern auch das AWI.

Um das bessere Verständnis der Ozeane und ihrer Rolle im Klimasystem geht es auch bei der Brüsseler Helmholtz-Jahresveranstaltung „Our unknown oceans: Understanding their role – exploring their potential“. Die Europäische Kommission treibt die Nutzung der Ozeane mit ihrer Blue Growth Strategie voran. Gleichzeitig ist noch zu wenig Wissen vorhanden, um die Auswirkungen verschiedener Nutzungsszenarien abschätzen zu können. Dafür ist es unter anderem wichtig, die verschiedenen Beobachtungssysteme auf einander abzustimmen – wie es im AtlantOS-Projekt geschieht. Visbeck wird am  15. März 2016 mitdiskutieren, wenn es in Brüssel um die Frage geht, wie sich die Ressourcen der Ozeane umweltverträglich und nachhaltig nutzen lassen.

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