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Portrait

Die Teilchen-Detektivin

Sarah Heim bei einer Inspektion des ATLAS Detektors am europäischen Kernforschungszentrum CERN. Bild: Andrey Loginov, Yale University

Die Physikerin Sarah Heim versucht, mithilfe der sogenannten Higgs-Bosonen jene Teilchen zu finden, aus denen die rätselhafte Dunkle Materie im Weltall besteht. Ab September 2016 baut sie dazu eine Nachwuchsforschergruppe am DESY in Hamburg auf.

 Für Sarah Heim war die Mondfinsternis im Juli 2000 ein Schlüsselerlebnis. An diesem Tag entdeckte die damals 15-jährige ihre Leidenschaft für die Astronomie. Bis heute kann sie sich der Faszination des Weltalls nicht mehr entziehen. „Man schaut in den Himmel, sieht die Sterne und will einfach wissen, was da draußen ist“, sagt die Teilchenphysikerin. Das Erlebnis beeinflusste nachhaltig ihren Lebensweg: Als einziges Mädchen ihres Jahrgangs belegte sie das Fach „Physik“ in der Oberstufe und machte ein Praktikum an der Sternwarte Heidelberg. Die Vorgehensweise der Forscher begeisterte sie: „Sie sammelten wie ein Detektiv Informationen, dachten logisch über die Indizien und Hinweise nach und versuchten dann, aus den Beobachtungen Schlüsse zu ziehen.“ Später begann sie ein Physik-Studium an der Universität Heidelberg und lernte in einer Vorlesung auch die Teilchenphysik kennen. „Im Gegensatz zur Astronomie konnte man hier selbst bestimmen, welche Anfangsparameter in ein Experiment eingehen“, erinnert sich die Forscherin rückblickend.

Nach dem Vordiplom packte Sarah Heim das Fernweh. Und so zog es sie 2007 an die Michigan State University in den mittleren Westen der Vereinigten Staaten – zunächst nur für ein Jahr, um ihre englischen Sprachkenntnisse zu verbessern. Doch schnell bemerkte sie, dass es ihr am neuen Studienort gut gefiel und sie entschied sich für ein fünfjähriges PhD-Programm. Für Heim stand von Anfang an fest, dass sie nach ihrem Master-Abschluss für einen Forschungsaufenthalt ans CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) gehen wird. „Viele US-amerikanische Universitäten schicken ihre Studenten wegen des Teilchenbeschleunigers dorthin.“ Und so packte die junge Forscherin erneut ihre Koffer und kehrte 2009 nach Europa zurück. Wie geplant, arbeitete sie an dem Teilchenphysikzentrum in der Nähe von Genf und beschäftigte sich für ihre Promotion mit der Suche nach neuen schweren Teilchen, wie jenen, die für die Gravitation mitverantwortlich sein könnten. Drei Jahre später nahm sie eine Stelle als Postdoc an der University of Pennsylvania an, forschte aber auch weiterhin am schweizerischen CERN. Seit dem Jahr 2012 arbeitet sie dort an der Datennahme für einen der Spurendetektoren. Außerdem untersucht die Teilchenphysikerin, wie effizient der Detektor arbeitet und, wie oft dieser die ihn passierenden Elektronen tatsächlich erkennt.

Foto: privat

Am Universum fasziniert sie jedoch nicht nur der sichtbare Teil, sondern auch die Dunkle Materie. Diese ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen und dennoch sind sich die Wissenschaftler sicher, dass sie einen Großteil der uns umgebenden Materie ausmacht. Diesem Rätsel versucht die Forscherin mit der Suche nach speziellen Teilchen auf die Spur zu kommen, die für die meisten Detektoren bisher unsichtbar sind. Sie könnten beim Zerfall des so genannten Higgs-Bosons entstehen, das 2012 am CERN entdeckt wurde. Um dies zu klären, untersucht Heim auch dessen genauen Eigenschaften. Abweichungen von den Vorhersagen könnten ein Indiz für die Entstehung Dunkler Materie sein.

Die für das Zerfallsexperiment nötigen Protonen werden im LHC (Large Hadron Collider) beschleunigt – einem rund 27 Kilometer langen, unterirdischen Tunnel, der sich von der Schweiz bis nach Frankreich erstreckt. Sie passieren auf ihrem Rundweg mehrmals die Grenze zwischen beiden Ländern und werden so zu Grenzgängern, wie auch Sarah Heim. Obgleich die Physikerin mit ihrem Fahrrad doch etwas langsamer ist. Mit diesem fährt sie täglich rund drei Kilometer von ihrer Wohnung in Frankreich zu ihrer Forschungsstätte in der Nähe von Genf. Im September 2016 steht ein weiterer Wohnortwechsel an. Dann baut Heim eine Nachwuchsforschergruppe am Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg (DESY) auf. Zum Forschungsprogramm der 31-jährigen wird weiterhin die Suche nach Dunkler Materie und anderer sogenannter neuer Physik mit Hilfe der Higgs-Bosonen und des ATLAS Detektors am LHC gehören. „Ein weiterer Teil meiner Aufgabe wird sein, an dem neuen Spurendetektor für ATLAS mitzuarbeiten.“ Dieser geht vermutlich 2026 in Betrieb. Die Teilchenphysikerin und ihr Team haben in den nächsten fünf Jahren also ein volles Forschungsprogramm. Vielleicht ist trotzdem noch Zeit, Lehrveranstaltungen an der Universität Hamburg zu betreuen. Es liegt der Forscherin viel daran, junge Menschen für ihr Fachgebiet zu begeistern. Schon mehrmals betreute sie Workshops für Schülerinnen, die alle zwei Jahre in Genf stattfinden. Sie war Tutor bei einer Sommerakademie für Gymnasiasten und begleitete Physikstudenten und –studentinnen an der Herbstschule für Hochenergiephysik. „Ich hatte Glück, meinen Weg gehen zu können und möchte auch Mädchen motivieren, Physik zu studieren“, sagt Heim. „Mal sehen, wie sich das in Hamburg konkret entwickeln wird.“

Förderprogramm 'Helmholtz-Nachwuchsgruppen'

Mit den Helmholtz-Nachwuchsgruppen unterstützt die Helmholtz-Gemeinschaft die frühe Selbstständigkeit der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und bietet ihnen eine verlässliche Karriereperspektive. Dieses Programm ist in Deutschland einmalig und erhöht die Attraktivität der Zentren für Nachwuchskräfte aus aller Welt. Seit Beginn der Förderung aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds im Jahre 2003 wurden bisher rund 200 Personen in das Programm aufgenommen – ein Großteil sind Ausländer oder Deutsche, die nach einem Forschungsaufenthalt im Ausland zurückkehren. Das Programm trägt somit wesentlich dazu bei, exzellente junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für den Forschungsstandort Deutschland zu gewinnen. Mehr Informationen

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