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Initiative zum Atomausstieg

"Die tatsächlichen Kosten sind kaum zu berechnen"

Bild: CC MarcelG (Flickr)

Die Energieversorger überraschen mit dem Vorschlag, die Atomkraftwerke in eine öffentliche Stiftung zu überführen. Politiker kritisieren die Initiative. Doch was sagt die Wissenschaft?

Am Wochenende überraschten die großen Energieversorger mit dem Vorschlag, die deutschen Atomkraftwerke bis zum endgültigen Atomausstieg 2022 in eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu überführen. Auch wenn die Kraftwerksbetreiber Entsorgungsrücklagen von 30 Milliarden Euro einbringen wollen, kritisiert die Politik die Initiative, da der Steuerbürger draufzahle. Wie bewertet ein Fachwissenschaftler den Vorstoß der Industrie?

Im Interview nimmt Thomas Walter Tromm Stellung zur aktuellen Diskussion. Er ist Programmsprecher "Nukleare Entsorgung und Sicherheit" am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Herr Tromm, wenn Sie an Stelle der Bundesregierung wären: Würden Sie den 30-Milliarden-Deal mit den Stromkonzernen eingehen?

Dazu müsste man sich zunächst mal ansehen, was der Nachbetrieb und der Rückbau eines Kernkraftwerks nach bisherigen Erfahrungen kosten. Je nach Größe, Alter und Betriebsstunden der Anlage liegt da der Preis zwischen 500 und 1000 Millionen Euro. Für die komplette Entsorgung der bundesdeutschen Meiler haben die deutschen Stromkonzerne rund 30 Milliarden Euro an Rücklagen gebildet. Insofern ist die angebotene Kostenbeteiligung durchaus nachvollziehbar. Andererseits sollte man sich klarmachen, dass die tatsächlichen Kosten, die im Laufe der nächsten etwa 50 Jahre beim Rückbau, bei der Standortsuche für ein atomares Endlager sowie bei der Endlagerung selbst anfallen werden, zur Zeit absolut nicht zu überblicken, geschweige denn präzise zu berechnen sind. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr gespannt, wie die Politik mit dem angebotenen "Deal" umgehen wird.

Sind Sie und Ihre Kollegen eigentlich bei der Ausarbeitung des Vorschlags um Rat gefragt worden?

Eine Abstimmung mit Forschungseinrichtungen erfolgte meines Wissens nicht.

Wie stehen Sie als Wissenschaftler zu der Initiative?

Zunächst mal finde ich den Vorstoß der Energieversorgungsunternehmen nachvollziehbar, denn Politik und Gesellschaft tun sich in Nuklearfragen oftmals schwer, Planungssicherheit herzustellen. Das Planfeststellungsverfahren für das Endlager Schacht Konrad etwa hat sich über 25 Jahre hingezogen, noch heute gibt es keinen belastbaren Termin für die Inbetriebnahme. Zum anderen sind der Rückbau von Nuklearanlagen und die Endlagerung radioaktiver Abfälle für uns Wissenschaftler einfach ein großes, herausforderndes Handlungsfeld. Da stehen die wissenschaftlich-technischen Fragen im Vordergrund - weniger die Frage, wer die Anlagen betreibt.

Wenn die Vorschläge tatsächlich umgesetzt würden, was wären die Konsequenzen für die deutsche Nuklearforschung?

Momentan haben wir eine Art Kombilösung: hier die industriellen Anlagenbetreiber, dort die öffentlich geförderte Forschung zu Rückbau und Entsorgung. Ich könnte mir vorstellen, dass unsere Forschungsergebnisse einfacher und schneller in die Anwendung gelangten, wenn das alles zentral koordiniert würde.

Welche Folgen sehen Sie für die Energiewende?

Die sichere nukleare Entsorgung ist ein zentraler Baustein der deutschen Energiewende. Diese Aufgabe in die Hände des Bundes zu legen, könnte helfen, den in dieser Frage unbedingt erforderlichen Konsens von Gesellschaft, Politik und Industrie herzustellen.

Hätte eine Atomwirtschaft in der Regie des Bundes Auswirkungen auf die Sicherheit der Anlagen?

Nein, denn Betrieb, Rückbau und Endlagerung werden immer gemäß den Vorschriften des Atomgesetzes erfolgen und durch externe Gutachter überprüft werden. Und was den Sicherheitsaspekt "Kompetenzerhalt" angeht, ist das vorgeschlagene Modell für die Forschung sogar möglicherweise vorteilhaft. Schließlich haben Bund und Länder ja direkten Einfluss auch auf Forschungseinrichtungen und Hochschulen.

Walter Tromm, Bild: KIT

Thomas Walter Tromm ist Programmsprecher "Nukleare Entsorgung und Sicherheit" am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und arbeitet in internationalen Expertengremien zur Sicherheit von Kernreaktoren mit. Den Atomausstieg so sicher wie möglich zu gestalten ist eine der Aufgaben, die das KIT innerhalb des Forschungsbereiches Energie der Helmholtz-Gemeinschaft hat. Auch der Rückbau der Kernkraftwerke und die Endlagerfrage werden die Gesellschaft und somit auch die Forschung noch über Jahrzehnte beschäftigen.

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