Interview
„Die Polarstern ist eben kein gewöhnliches Schiff“

3D Ansicht des geplanten Neubaus des eisbrechenden Forschungs- und Versorgungsschiffes Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts. Bild AWI
In vier Jahren soll der neue deutsche Forschungseisbrecher vom Stapel laufen.Was bis dahin geschieht und warum das Schiff so besonders ist, erklären die Projektleiter vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und tyssenkrupp Marine Systems.
Herr Wilde, Herr Frodell, gemeinsam betreuen Sie den Bau der neuen Polarstern, die 2030 zu ihrer ersten Expedition aufbrechen soll. Waren Sie selbst schon einmal an Bord des jetzigen Schiffs?
Detlef Wilde: Ja, zwei Mal. Im Vergleich zu anderen Mitgliedern in unserem Team bin ich damit aber trotzdem noch ein Rookie: Ursprünglich komme ich aus der Luft- und Raumfahrt. Schon damals habe ich aber gemeinsam mit Helmholtz Tiefsee-Roboter entwickelt – und sie auch an Bord des Forschungsschiffes Polarstern getestet. Und seit vier Jahren verantworte ich jetzt beim AWI den Bau des neuen Forschungsschiffes. Andere Mitglieder unseres Teams waren aber schon oft an Bord der Polarstern. Das ist wichtig, denn sie wissen dadurch genau, was der neue Eisbrecher braucht, damit sie dort während einer Expedition optimal leben und arbeiten können. Sie kommen auch aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, wie dem Schiffbau, der Forschung aber auch dem Projektmanagement, dem Controlling und dem Einkauf. Dazu kommen auch externe Experten u.a. auch die Kapitäne der aktuellen Polarstern, die mit ihr bereits seit vielen Jahren die Expeditionen begleiten.
Und Sie, Herr Frodell, kennen Sie die Polarstern ähnlich gut?
Yngvar Frodell: An Bord war ich bislang nur zwei Mal – und das auch nur kurz. Aber trotzdem begleitet mich die Polarstern in gewisser Weise seit meiner Jugend: Sie war das erste Schiff, das ich in einem Dock liegen sah, als ich mit 16 meine Lehre als Schiffsbauer begonnen habe. Dass ich jetzt verantwortlich bin für den Bau des Nachfolgers, macht mich schon ein wenig ehrfürchtig. Bei uns auf der Werft geht das vielen so. Die Polarstern ist eben kein gewöhnliches Schiff.
Sie ist jetzt aber mehr als 40 Jahre alt. Sieht man dem Schiff sein Alter an?
Wilde: An Bord herrscht hier und da schon der Charme der 80er Jahre, da wird die neue Polarstern natürlich moderner aussehen: Die Messe etwa, also der Raum, in dem gegessen wird, wird nicht mehr innenliegend sein, sondern große Fenster nach außen haben, die Tageslicht hereinlassen. Das war früher gar nicht möglich, dafür war die Fenstertechnologie noch nicht weit genug. Gleichzeitig bin immer aber wieder beeindruckt, wie gepflegt das Schiff ist! Technisch ist es über die Jahre up to date gehalten worden, so dass man damit noch problemlos ins Eis fahren kann.
Für die neue Polarstern sind etliche Innovationen geplant. Sie wird zum Beispiel eine höhere Eisklasse haben, kann also in dickerem Eis fahren. Erschwert das den Entwurf?
Frodell: Eine höhere Eisklasse lässt sich relativ simpel umsetzen: Dafür benötigen wir stärkere Stahlwände und einen kräftigeren Motor. Eine echte technische Herausforderung wird dagegen der so genannte Moonpool. Dieser Schacht wird beeindruckend! Denn er wird eine Größe haben, die es so auf anderen Schiffen noch nicht gibt. Und er macht viele Forschungsvorhaben des AWI überhaupt erst möglich.
Wilde: Das stimmt! Denn der Schacht liegt mittig im Schiffsrumpf. Durch ihn können wir Forschungsgeräte direkt ins offene Wasser unter dem Schiff setzen. Bei der heutigen Polarstern muss das Team dafür meist erst Löcher ins umliegende Eis bohren. Zwar hat sie einen ähnlichen Schacht, aber dessen Öffnung ist nur einen Quadratmeter groß, eignet sich also nur für kleinere Geräte. Doch auch dieser Schacht braucht schon gewaltiges technisches Gerät zur Durchführung der Arbeiten und dem Schutz des Moopools, etwa wenn Eisschollen gegen die Verschlussklappen schlagen. Beim neuen Schiff wird diese Luke nun ca. 24 Quadratmeter groß sein. Das erlaubt kein Design von der Stange!
Detlef Wilde, Projektdirektor für den Bau der neuen Polarstern am Alfred-Wegener-Institut. Bild: Kerstin Rolfes / AWI
Was erhoffen Sie sich vom Moonpool aus wissenschaftlicher Sicht?
Wilde: Durch ihn werden wir Geräte viel sicherer und unkomplizierter direkt ins Wasser setzen können gerade auch im Eis, zum Beispiel unsere Roboter. Die neue Polarstern wird damit so umfänglich ausgestattet sein wie kein ein anderes deutsches Forschungsschiff. Diese Unterwasserroboter können zum Beispiel Proben entnehmen oder den Meeresboden kartieren, außerdem tauchen sie bis zu 6000 Meter tief. Deshalb können wir mit ihnen in der Tiefsee aber auch unter dem Eis Lebensräume erkunden, die zuvor noch nie ein Mensch gesehen hat. Die Unterwasserrobotik entwickelt sich unglaublich schnell. Umso wichtiger ist es, dass die neue Polarstern in diesem Bereich gut und zukunftsorientiert aufgestellt ist.
Frodell: Wobei man wissen muss: Solche Roboter sind sehr teuer. Ohne Moonpool kämen sie deshalb vermutlich seltener zum Einsatz, denn wenn man sie über die Reling aufs Eis setzen muss, droht bei Seegang immer die Gefahr, dass die wertvollen Geräte an der Bordwand zerschellen. Im Moonpool dagegen gleiten sie an Schienen weit hinunter ins Wasser. Deshalb kann die neue Polarstern Roboter auch bei widrigen Wetterbedingungen ausbringen – und die sind in den Regionen, in denen das Schiff unterwegs ist, meist der Normalzustand. „Ententeich“ haben wir da selten.
Kann sich die neue Polarstern auch ganz neue Expeditionsziele setzen?
Wilde: Ja, denn durch die höhere Eisklasse können wir Gegenden erforschen, die wir bislang nicht erreichen konnten. Wie die so genannten Last Ice Regions , zum Beispiel das südliche Weddellmeer der Antarktis oder die Eiszonen zwischen den kanadischen Inseln in der Arktis. Diese Bereiche sind wissenschaftlich besonders interessant. Denn von dort fehlen bislang Messdaten, um zum Beispiel die Folgen des Klimawandels zu erfassen und die Früherkennung dieser Folgen zu stärken.
Frodell: Um diese Regionen zu erforschen, brauchen die Wissenschaftler aber auch Geräte, die bei sehr niedrigen Temperaturen noch voll einsatzfähig sind, Kräne etwa. Die werden auf der neuen Polarstern auch bei minus 48 Grad noch funktionieren – langsamer zwar, aber problemlos. Das ist bei alten Polarstern so nicht möglich. Diese Kräne werden eigens für die Polarstern entwickelt.
Die neue Polarstern wird auch einer der umweltfreundlichsten Eisbrecher der Welt sein. Wie soll das gelingen?
Frodell: Nach unserem Wissen wird sie weltweit sogar das sauberste Schiff ihrer Größe sein! Im Betrieb wird sie wirklich nur sehr wenige Schadstoffe ausstoßen. Dafür sorgt zum Beispiel unser Dual-fuel-Antrieb. Der läuft einerseits mit gewöhnlichem Marinediesel, dessen Abgase wir aber extrem stark filtern, um den Ruß einzufangen. Außerdem reduzieren wir auch die Stickoxide mithilfe von Harnstoffen. Andererseits läuft die Polarstern aber auch mit grünem Methanol, also mit Methanol, der mit regenerativer Energie hergestellt wird. Dadurch kann das Schiff in seiner Klimabilanz auch neutral fahren.
Wilde: Und dieser Ansatz wird über die Polarstern hinaus wirken! Denn das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) fördert die Produktion von grünem Methanol. Der Kraftstoff muss für die Schifffahrt aber auch verfügbar sein – also zum Beispiel auch dort, wo die Polarstern unterwegs ist, etwa auf dem Weg zur Antarktis, in Südafrika oder Namibia, oder in Richtung Arktis, im äußersten Norden Norwegens.
Frodell: In ökologischer Hinsicht gehen wir aber weit über die Frage der Abgase hinaus: Das Thema Nachhaltigkeit war dem AWI generell sehr wichtig. Deshalb sind zum Beispiel die Anstriche besonders umweltverträglich, außerdem sind auch alle Zulieferer verpflichtet, wo immer möglich grünen Strom zu nutzen. Und auch das Thema Barrierefreiheit wird an Bord der neuen Polarstern eine große Rolle spielen – das ist in der Schifffahrt heute nur bei Kreuzfahrtschiffen üblich.
Wilde: Die neue Polarstern muss da einfach Vorreiter sein. Sie zählt weltweit zu den bekanntesten deutschen Schiffen und kann deshalb auch Trends setzen oder bestimmte Entwicklungen im Schiffsbau prägen. Wir werden zum Beispiel für unser Schiffsdesign den „Blauen Engel“ beantragt – und werden die strengen Kriterien des Umweltzeichens voraussichtlich deutlich übererfüllen.
Bei der Akustik wollen Sie sogar die Grenzwerte des Internationales Rates für Meeresforschung einhalten, was bislang kein Eisbrecher schafft.
Frodell: Die neue Polarstern wird tatsächlich eines der leisesten Schiffe der Welt sein. Dieser Wunsch des AWI war für uns als Werft wirklich sehr herausfordernd. Natürlich kennen wir uns mit Unterwasserakustik sehr gut aus, schließlich fertigen wir U-Boote. Bei der Polarstern müssen wir aber in einem ganz anderen Frequenzbereich arbeiten, denn wir wollen Meerestiere schützen.
Wilde: Wale zum Beispiel reagieren empfindlich auf den Lärm, den Schiffe unter Wasser verursachen. Wir wollen aber auch deshalb so leise wie möglich unterwegs sein, weil sich sonst womöglich genau die Tiere verkrümeln, die wie beobachten wollen.
Illustration: Polarstern Neubau. Bild: AWI
Welche Meilensteine stehen jetzt zeitlich an?
Frodell: Derzeit testen wir gemeinsam mit dem AWI noch das Verhalten des Schiffes in Versuchen, etwa seine Manövrierbarkeit oder seine Stabilität. Dafür haben wir ein 6,25 Meter langes Modell gebaut, skaliert am Original. Das schicken wir ins Freiwasser aber auch durch eine 70 Zentimeter dicke Eisschicht, was proportional der Dicke des Eises entspricht, mit der es später auch die neue Polarstern aufnehmen soll. So erkennen wir, wo wir vielleicht noch nachbessern müssen. Parallel bestellen wir aber auch schon erste wichtige Elemente, zum Beispiel die Antriebe – die lassen sich ja nicht nachträglich in den fertigen Rumpf des Schiffes einbauen. Es passiert also schon sehr viel, auch wenn auf unserer Werft in Wismar noch nicht geschweißt oder geschraubt wird. Die Fertigung startet dann aber im April 2027, erste Probefahrten sind für den Mai 2029 geplant.
Der Standort Wismar gehört erst seit 2022 zu TKMS. Was bedeutet der dortige Bau der Polarstern für die Region?
Frodell: Der Auftrag wird viele Arbeitsplätze schaffen – nicht nur für Schiffsbauer und Schweißer! Die Polarstern braucht schließlich sehr viel Equipment, vom einfachen Kabel bis hin zu Hightech-Geräten. Das ist nicht vergleichbar mit einem Containerschiff, das im Innern ja doch vergleichsweise nackt ist. Wir rechnen deshalb im Moment mit 500 bis 600 Menschen, die auf der Werft in Wismar für die Polarstern im Einsatz sein werden. Dazu kommen noch die Arbeitsplätze bei den Zulieferern. Diese Betriebe sitzen natürlich nicht alle in Wismar, so dass wir sogar überregional Arbeitsplätze schaffen. Eine Werft ist schließlich ein Magnet für Arbeit.
2029 wird die Polarstern dann von Wismar an ihren Heimathafen Bremerhaven verlegt, ein Jahr später ist die endgültige Übergabe ans AWI geplant. Gibt es etwas, auf das Sie sich beim neuen Schiff schon besonders freuen?
Frodell: Ja, auf den schon erwähnten Dual-Fuel-Motor! Das ist etwas vollkommen Neues. Ich bin jetzt schon seit 30 Jahren in der Branche aktiv und freue mich darauf mitzuerleben, dass wir bei der Polarstern die Maschinen anwerfen – und aus dem Schornstein kein Rauch aufsteigt. Das wird toll!
Wilde: Das geht mir ganz genauso. Außerdem freue ich mich auf den Moment, wenn das erste Eis beginnt, am Schiff zu kratzen - das wird schon sehr besonders.
Bibliothek der neuen Polarstern. Bild: AWI
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