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Portrait

Die Faszination von Blau

Iliana Baums. Co-Director am Helmholtz Institute for Functional Marine Biodiversity (HIFMB). Bild: HIFMB

Als Kind war es die Farbe, die Iliana Baums am Meer begeisterte. Heute hat die Molekularökologin sich einen Namen in der Untersuchung von Korallenriffen gemacht. Die Leitfrage ihrer Forschung: Wie schaffen Riffe es, sich an den Klimawandel anzupassen? Die Lage sei ernst, sagt die Expertin – aber die Hoffnung aufgeben will sie nicht.

Wer Iliana Baums zuhört, merkt schnell: Hier spricht keine Frau, die sich von Emotionen leicht davontragen lässt. „Forschung beginnt mit einer Beobachtung. Aus dieser entwickelt man ein logisches Argument und einen größeren Zusammenhang“, so die 51-Jährige. „Dieses ganz sachliche Beobachten und das spätere Erkennen der Zusammenhänge, das ist es, was mich fasziniert.“ Baums ist eine Knoblerin; ein Problem von allen Seiten zu wenden, bis die Lösung gefunden ist, das ist ihr Ding.

Doch je länger die Molekularökologin über ihre Arbeit spricht, desto offensichtlicher wird ihre emotionale Bindung zum Lebensraum Meer. „Natürlich macht mich das Massensterben der Korallen traurig“, sagt Baums, die als Professorin am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität in Oldenburg (HIFMB) arbeitet. Das Institut widmet sich der biologischen Vielfalt des Meeres und ihrer Funktion für das Ökosystem und den Menschen. Baums untersucht mit ihrer Arbeitsgruppe mithilfe von molekulargenetischen Methoden die Diversität von Korallenriffen, diesen äußerst artenreichen Ökosystemen, die akut vom Klimawandel bedroht sind. „Wir analysieren die DNA verschiedener Arten“, erklärt Baums ihre Arbeit. „Durch statistische Analysen und Vergleiche lassen sich so Modelle errechnen, die Auskunft über die genetische Diversität liefern.“ Je diverser ein Korallenriff, desto besser ist das für die Vielfalt der Organismen, die sich ansiedeln. Außerdem gibt die Diversität Auskunft darüber, wie widerstandfähig ein System ist. Je diverser, desto robuster.

Korallen existieren vielerorts auf unserem Planeten, in 3.000 Metern Tiefe im Golf von Mexiko wie vor der Küste Australiens oder auf den Felsen in Boston Harbour. Das bekannteste und größte Korallenriff der Welt ist das Great Barrier Reef mit einer Fläche von rund 350.000 Quadratkilometern vor der Küste Australiens. Artenreich sind auch die Riffe der Karibik. „In den warmen tropischen Gewässern bilden Korallen eine symbiotische Lebensgemeinschaft mit einzelligen Algen, die lichtabhängig sind und Fotosynthese betreiben“, erklärt Baums. „Diese Lebensgemeinschaften sind unglaublich produktiv.“ Das sei besonders deswegen erstaunlich, weil das tropische Wasser sehr nährstoffarm ist. „Ein schwieriger Lebensraum, der schnell stressig wird, wenn sich die Umweltbedingungen verändern.“

Baums selbst kam mit dem Lebensraum Meer schon als Kind in Berührung: Gemeinsam mit der Familie fuhr die gebürtige Kölnerin oft nach Griechenland in die Ferien. Sie habe Stunden damit verbracht, auf der Fähre ins Wasser zu schauen, „in dieses wunderschöne Blau des Mittelmeers“, wie Baums sich erinnert. Wie bewegt man sich in dieser fremden Welt, fragt sie sich als Kind. Was braucht es dafür? Baums beginnt, zu schnorcheln, nach dem Abitur macht sie ihren Tauchschein. Damals ist das Tauchen noch nicht mehr als ein Hobby, „da war mir noch nicht klar, dass das mal mein Beruf werden würde“, sagt Baums heute.

Sie beginnt ein einjähriges Studium Generale an der in Tübingen. Kurz spielt sie mit dem Gedanken, Jura zu studieren, „aber nach einer einzigen Vorlesung war klar: Das ist mir zu trocken.“ Wenig später sitzt sie der Vorlesung einer jungen Professorin für Meeresbiologie, die zufällig über Korallenriffe doziert, „das war so fantastisch, da wusste ich: Das ist es!“

Sie absolviert ihr Vordiplom in Tübingen, um danach nach Miami zu gehen. „Ich wollte unbedingt gut Englisch lernen, es gab Seattle und Miami zur Auswahl, in Miami konnte ich an Korallen forschen, also landete ich dort zum Austauschjahr.“ Miami wird eine besondere Bedeutung in Baums Leben spielen: Sie wird dort nicht nur ihre Doktorarbeit schreiben und das lernen, was sie damals wie heute an gestandenen Wissenschaftlern und Forscherinnen besonders bewundert: eben jene genaue Beobachtungsgabe, das Erkennen von Zusammenhängen. Sie wird in Miami auch ihren Ehemann treffen, der als Geowissenschaftler Erdbeben sowie Vulkane erforscht und heute ebenfalls unter dem Dach der Helmholtz-Organisation arbeitet, am Alfred-Wegener-Institut, Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Und es wird sich in Miami für Baums herauskristallisieren, dass sie als Molekularökologin arbeiten will. „Ich fragte mich damals ganz fundamental: Wie genetisch divers sind Korallen? Wie viele Individuen sind vorhanden, wie groß sind die Populationen? Aber es gab niemanden, der mir meine Fragen beantworten konnte.“ Also knobelt Baums so lange, bis sie als eine der ersten genetische Marker entwickelt, mit deren Hilfe sich ihre Fragen beantworten lassen.

Nach der Doktorarbeit geht Baums nach Hawaii, „weil ich es wichtig fand, sowohl die Karibik als auch den Pazifik zu kennen“, sagt sie. Danach wechselt sie an die Pennsylvania State University, seit 2022 forscht sie am HIFMB. Im Laufe der Jahre hat Baums an vielen verschiedenen Orten der Erde gearbeitet; vor der Küste Floridas, den Galapagos, in Curaçao und Belize, auf Hawaii. Seit Jahren beobachtet sie einen Trend: Die Klimaerwärmung bedeutet für die Korallenriffe einen immer größeren Stress. „Wir haben ein Massensterben in der Karibik, auch im Great Barrier Reef. Für die Korallen gibt es kaum Spielraum mehr, viele haben das Ende auf der Temperaturskala schon erreicht“, sagt Baums.

Wie gefährdet Korallenriffe sind, könne man auf dramatische Weise an den Florida Keys beobachten, einer Kette von 200 Koralleninseln, die vor der Halbinsel Florida zwischen dem Golf von Mexiko und dem Atlantischen Ozean liegen. Während ihrer Doktorarbeit untersuchte Baums dort vor allem eine Art, die Elchgeweihkoralle. „Als ich angefangen habe, gab es Tausende genetisch verschiedene Stöcke in der Wildbahn“, sagt die Wissenschaftlerin. „Vor zehn Jahren waren es noch Hunderte. Im Sommer 2024 nur noch 43.“

Die Naturschutzbiologie stellt diese Entwicklung vor eine riesige Herausforderung, sagt Baums: „Wir fragen uns jetzt, ob wir die Anpassung durch genetische Methoden gezielt fördern können, etwa durch Züchtung“, erklärt sie. Es sei nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein philosophisches Problem. „Der Zweck von Naturschutzbiologie ist eigentlich nicht, dass der Mensch etwas verbessert“, begründet Baums ihre Einschätzung. „Sondern der Erhalt des Vorgefundenen. Angesichts des enormen Wandels ist dieser Ansatz aber kaum mehr realistisch“.

Trotz allem will Baums ihren Optimismus nicht verlieren – unter einer Bedingung: „Wenn es gelingt, die Emissionen auf ein niedriges bis mittleres Szenario zu begrenzen, dann haben Korallenriffe eine Chance, sich anzupassen“, sagt sie.

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