Gesundheits-Apps
Der Doktor im Smartphone
Sehschwächen erkennen, Hautkrebs diagnostizieren, Hörsinn testen – allein mit dem Smartphone? Warum eine App den Arztbesuch nicht ersetzt und welche Anwendungen auf Handys sinnvoll sein können
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Smartphone-Anwendungen, die helfen sollen, gesund und fit zu bleiben. Unsere alltäglichen Begleiter mit dem intuitiv bedienbaren Touchscreen bieten sich dafür regelrecht an. Auf die meisten Apps sollte man sich aber nicht verlassen, meint Kai Sostmann, Kinderarzt und Experte für Online-Learning von der Berliner Charité. "Wenn überhaupt, sind diese Anwendungen nur sehr grobe Werkzeuge mit einem geringen Effekt auf unser Gesundheitsverhalten. Häufig sind sie auch nicht medizinisch geprüft", sagt Sostmann, "Apps können den Arzt nicht ersetzen, nur ergänzen. Wichtig bleibt der echte Arztbesuch."
Wer Apps verwendet, sollte sich auch grundsätzlich fragen, was er von sich preisgeben möchte und was nicht. Muss die App Zugriff auf das Adressbuch haben? Ist die Weitergabe der Daten an Dritte wirklich notwendig? Wo werden die Daten gespeichert? Welche Informationen werden abgefragt? Nicht alle Apps haben eine Datenschutzerklärung, deshalb ist es wichtig, dass Nutzer eventuelle Risiken der Anwendung selbst einschätzen können.
In Kombination mit realen medizinischen Leistungen können Gesundheits-Apps für Ärzte und Patienten aber durchaus hilfreich sein: In der Prävention, der Diagnose, Therapie und Nachsorge. Man spricht dann von "Blended Health". Wenn zum Beispiel ein Orthopäde mithilfe einer App eine Reihe von physiotherapeutischen Übungsfilmen für den Patienten zusammenstellt, und letzterer diese Übungen dank der App zuhause allein durchführen kann, übernimmt die App ergänzend die Rolle des Therapeuten, ersetzt diesen aber nicht gänzlich.
Online-Learning-Experte Kai Sostmann stellt Apps beziehungsweise Online-Anwendungen vor, die sinnvoll in der Therapie und Rehabilitation eingesetzt werden können.
Fitness und Gesundheit
"Moves" ist eine kostenlose Fitness-App, die alle Bewegungen, ob Gehen, Fahrradfahren oder Laufen, automatisch und ohne Bewertung aufzeichnet. Die App läuft immer im Hintergrund und muss nicht extra gestartet werden. "Mit der App lässt sich ein individuelles Aktivitätsprofil erstellen", sagt Kai Sostmann. "Das ist nicht nur für Menschen interessant, die gesund blieben wollen, sondern auch für Personen, die auf ausreichende Bewegung achten müssen, zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen."
Infos und Diagnosen zur geistigen Gesundheit
Mittels Ja/nein-Fragen zu Symptomen und Beschwerden erhält der Nutzer der App "Your Rapid Diagnosis - Mental Health" innerhalb von zwei Minuten eine voraussichtliche Diagnose zu seiner geistigen Gesundheit. Die Anwendung listet für 71 Krankheiten Beschreibungen mit Anzeichen und Symptomen auf und verweist auf andere mögliche Krankheitsbilder. Kostenpunkt: 4,49 Euro. Kai Sostmann meint: "Über den Nutzen dieser App kann man sich streiten. Ich finde den Ansatz spannend. Man erhält eine erste Kurzdiagnose und viele Informationen zu Krankheitsbildern. Die Anwendung ist validiert, mit medizinischen Guidelines unterlegt und eignet sich auch für Allgemeinmediziner." Wie bei jedem Selbstanalyseverfahren besteht allerdings die Gefahr von Fehldiagnosen. Der Haftungsausschluss, der sofort beim Start der App erscheint, erinnert den Nutzer an die Grenzen der Anwendung und dass sie kein Ersatz für einen Arzt oder Therapeuten ist. Die App informiert lediglich über Krankheitsbilder und deren Behandlung und bestärkt einzelne Nutzer mit entsprechender Diagnose, sich professionelle Hilfe zu suchen. Entwickler der Anwendung ist der Mikrobiologe David Macfarlane.
Kurzbeschreibung der App im MedicalApp-Journal
Rehabilitations-App für Therapeuten und Patienten
Die Tablet-App "Rehabilitaton for lower limbs" richtet sich an Fachleute aus dem Bereich Rehabilitation, zum Beispiel Orthopäden oder Physiotherapeuten. Sie können mit der Anwendung Info-Materialien und Übungen für Patienten mit Verletzungen der unteren Extremitäten zusammenstellen. Es gibt 340 Übungen für insgesamt 165 Verletzungsarten. Der Therapeut kann auf die Patienten abgestimmte Übungsabfolgen zusammenstellen, kommentieren und als PDF abspeichern. "Nicht zuletzt die Videos zu den Übungen machen diese aufwändig zusammengestellte App zu einer sinnvollen Unterstützung für Arzt und Patient", sagt Kai Sostmann. Die App läuft nur auf dem iPad und ist mit fast einem Gigabyte recht groß. Kostenpunkt: einmalig rund 36 Euro (49 Dollar) oder monatlich 3,70 Euro (4,99 Dollar).
Kurzbeschreibung der App im MedicalApp-Journal
Alkoholismus-Therapie und -Prävention
Die Website www.lookatyourdrinking.com bietet viele Informationen über Alkohol sowie ein Programm zur Online-Therapie für britische Patienten an. Das Therapie-Angebot richtet sich an Erwachsene, die mehr über ihr Trinkverhalten wissen wollen oder sich entschlossen haben, etwas gegen ihren zu großen Alkoholkonsum zu tun. Das Angebot funktioniert zwar nicht als App, sondern über eine Website, es zeigt aber gut, was Blended Health bedeutet. Professionelle Online- und Offline-Hilfen kommen hier zusammen und ergänzen sich: Die Klienten erhalten eine maßgeschneiderte Therapie und werden von einem professionellen Suchttherapeuten betreut. "In die Richtung geht es in Zukunft", sagt Kai Sostmann, "Online-Anwendungen bieten psychologische Betreuung und können auf eine persönliche Betreuung erweitert werden." Die Behandlung erfolgt anonym und vertraulich. Die Einführung in das Therapieprogramm und der erste Therapeutenkontakt sind kostenlos. Danach werden für die gesamte Therapie knapp 2.400 Euro (£2000) fällig. Ein gutes Beispiel für eine deutschsprachige Präventions-App ist die für Android-Smartphones erhältliche kostenfreie App "HaLT Alkohol Notfall", die Jugendlichen hilft ihr Trinkverhalten einzuschätzen und die Gefahren eines übermäßigen Alkoholkonsums zu erkennen.
Weitere Informationen
Ob eine App zuverlässig ist, lässt sich auf Seiten wie www.patienten-information.de oder www.appcheck.de, dem Prüf-TÜV für Gesundheits-Apps, nachlesen. Auf medicalappjournal.com beurteilen Mediziner nach einem strengen Peer-Review-Verfahren ausführlich Apps für den Gesundheitsbereich. Die US-Kontrollbehörde FDA (Food and Drug Administration) verkündete am 23. September 2013 in einer Pressemitteilung, Medizin-Apps künftig stärker kontrollieren zu wollen.
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