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Debatte

Der Streit um den Dr.

Hans-Jochen Schiewer ist Rektor der Universität Freiburg. Jürgen Mlynek ist Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. Bilder (vlnr): Schilling; Helmholtz/Meckel, Ostkreuz

Nun also Norbert Lammert. Hat er oder hat er nicht? Die Debatte um den neusten vermeintlichen Plagiatsfall, diesmal um die Doktorarbeit des Bundestagspräsidenten, ist eröffnet. Im gerade erschienenen Magazin „Helmholtz Perspektiven“ haben wir einen Meinungsaustausch zwischen Helmholtz-Präsident Jürgen Mlynek und dem Freiburger Unirektor Hans-Jochen Schiewer abgedruckt, der mit einem Mal hochaktuell ist. Die Frage, mit der sie sich auseinandersetzen, lautet: Wie soll die Wissenschaft in Zukunft mit Plagiatsvorwürfen umgehen? Was die Autoren da noch nicht wussten: Die Zukunft kam schneller als gedacht.

Die Unis müssen handeln, sagt Jürgen Mlynek

Es war ein Vorwurf, der saß. Ende Januar, als die Universität Düsseldorf davorstand, Annette Schavan ihren Doktortitel abzuerkennen, gerieten meine Kollegen und ich von der Allianz der Wissenschaftsorganisation in die Kritik. Wir hätten mit unserem Plädoyer für wissenschaftliche Standards in derartigen Verfahren die Autonomie der Universität missachtet. In einem Land, dessen Verfassung die Freiheit von Lehre und Forschung garantiert, ein happiger Vorwurf. Seid still, wurde uns zugerufen, nur den Universitäten obliegt es, nötige Reformen anzugehen. Ein Satz, dem meine Kollegen und ich aus vollem Herzen zustimmen.

Indes: Je mehr Zeit vergeht, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Verantwortlichen sich wegducken. Einige Unis haben ihre Regeln im Umgang mit Plagiaten verschärft, andere haben sich eine bessere Doktorandenbetreuung auf die Fahnen geschrieben. Allerdings handelt es sich bei allem, was beschlossen wurde, um Einzelinitiativen, die aufgrund der akademischen Selbstverwaltung für die Fakultäten und Fachbereiche niemals verpflichtend sein können. Die Formulierung allgemeinverbindlicher und damit deutschlandweiter Qualitätsstandards lässt ebenso auf sich warten wie die Beantwortung der Frage, wie ein transparentes, verbindliches und wissenschaftlich haltbares Plagiatsverfahren aussehen könnte.
Gewiss: Eine gemeinsame Haltung zu entwickeln ist ein kommunikatives Mammutprojekt - gerade weil es um ein zentrales Element universitären Selbstverständnisses geht. Deshalb bedürfte es jedoch zu allererst einer beherzten Meinungsführerschaft durch die Unipräsidenten und ihrer führenden Repräsentanten. Ein Referenzrahmen, formuliert von Hochschulrektorenkonferenz und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG), wäre ein solcher Weg.

Der nächste massenmedial vermittelte Plagiatsfall kommt bestimmt. Dann beginnt sie sich wieder zu drehen, die unselige Spirale aus Forderungen nach harten Konsequenzen und gegenseitigen Vorwürfen, die am Ende keinem nützen. Tatsächlich haben nur die Hochschulen es in der Hand, das Ansehen der Promotion wiederherzustellen. Zu diesem Privileg gehört die Pflicht, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Tun sie es, profitieren wir alle, das Wissenschaftssystem, die Gesellschaft. Tun sie es nicht, leiden wir alle.

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Die Unis handeln längst, sagt Hans-Jochen Schiewer

Die Regeln für die Promotion gehören hierzulande zu den strengsten in Europa. Wer seine Doktorarbeit noch nicht veröffentlicht hat, darf den Titel nicht führen. Wer die Publikationsfrist versäumt, verliert die Doktorwürde. Die Veröffentlichungspflicht sorgt für eine gläserne Qualifikationsschrift, deren Inhalte in der Scientific Community, in Rezensionen und Internetforen diskutiert werden. Unredliches Verhalten kommt nur in einer Minderzahl der Fälle zum Vorschein.

Das offen einsehbare Ergebnis der Promotion hat die Qualitätssicherung verbessert. Die Verantwortung hierfür liegt bei den 108 Universitäten, vor allem bei den großen, forschungsstarken der U15 und TU9, an denen 60 Prozent aller Promotionen abgeschlossen werden. Um jedes Vertun auszuschließen, hat U15 bereits im März ein unmissverständliches Statement zu „Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis in Promotionsverfahren“ verfasst. Hier werden die Standards verpflichtend gesetzt, etwa die Voraussetzung, dass Doktoranden fachliche Qualifikation und persönliche Eignung besitzen. Auch die Meldung bei der zuständigen Fakultät gehört hierher, inklusive einer zeitlich befristeten bindenden Betreuungsvereinbarung.

Der Verhaltenskodex für Promotionen ist von Wissenschaftsrat, DFG und Hochschulrektorenkonferenz oft thematisiert worden. Kommt es zu einem Verdacht, muss der Grundsatz „in dubio pro reo“ greifen. Die Wissenschaft muss im Verfahren die Definitionsmacht behalten. Die Uni muss transparent definieren, was als wissenschaftliches Fehlverhalten gilt. Diese Aufgabe kann keine Internetplattform übernehmen. Sind Gutachten notwendig, müssen mindestens zwei voneinander unabhängig eingeholt werden. Gutachten und Entscheidungen müssen personell getrennt sein. Auch die Betreuungssituation, die dem Fall zugrunde lag, muss betrachtet werden. Vorverurteilungen dürfen keine Rolle spielen.

Die Verantwortung darf bei alldem nicht nur beim Doktoranden liegen. Auch der Betreuer hat Pflichten, etwa die, dem Doktoranden wissenschaftliche Standards und Praxis zu vermitteln und stets Vorbild zu sein. Wer diesen Pflichten nicht nachkommt, sollte auf Zeit oder dauerhaft das Promotionsrecht verlieren. Dies würde ein deutliches Signal aussenden, wie ernst es den Universitäten auf allen Ebenen ist. Qualitätssicherung braucht Regeln und Vorgaben. Noch stärker braucht sie Lehrende, die sie mit Leben erfüllen.

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Die Kritikpunkte an Lammerts Arbeit stammen einmal mehr von einem gewissen Robert Schmidt, der in Wirklichkeit anders heißt, seine wahre Identität aber nicht preisgeben will. Schmidt hatte mit seinen anonym erhobenen Vorwürfen bereits die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan zum Rücktritt gezwungen. Lammert hat die Ruhr-Universität Bochum (RUB) um die Prüfung seiner Arbeit gebeten. Diese kündigte eine Überprüfung durch ihren Ombudsmann an, entsprechend der Richtlinien und unter Beteiligung der zuständigen Gremien. „Wenn das Ergebnis der Prüfung vorliegt, werden wir die Medien umgehend informieren“, schrieb Rektor Elmar Weiler in einer Mitteilung. Die RUB richtet sich damit nach den gerade erst überarbeiteten Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Sicherung wissenschaftlicher Praxis.

Die beiden hier dokumentierten Standpunkte zum Umgang mit Plagiaten waren zunächst im Abstand einiger Wochen in ungekürzter Fassung in der FAZ erschienen – und zwar noch vor der Neuformulierung der DFG-Empfehlungen.

Nachtrag: Elmar Weiler, Rektor der Ruhr-Universität Bochum, äußerte sich am 1. August in einem Interview gegenüber Spiegel Online, wie seine Universität voraussichtlich mit den Plagiatsfall umgehen wird. 

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