EU-Wissenschaftspolitik
Der Rat der Weisen
Sieben Top-Forscher sollen künftig die EU-Kommission wissenschaftlich beraten und damit die Rolle des ehemaligen „Chief Scientific Adviser“ übernehmen. Wie soll das Gremium arbeiten? Und wie unabhängig kann es sein? Ein Kommentar von Annika Thies, Leiterin des Brüsseler Helmholtz-Büros.
Brüssel hat seit letzter Woche ein neues ehrwürdiges Gremium, einen "Rat der Weisen", besetzt mit europäischen Top-Forschern. Die Erwartungshaltung ist hoch: Diese siebenköpfige "High Level Group" soll die wissenschaftliche Politikberatung für die Kommission gestalten und so als Teil eines größeren "Scientific Advice Mechanism" (SAM) "zur Qualität der EU-Gesetzgebung beitragen". 162 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hatten sich für das Gremium beworben; aus ihnen wurden nun drei Frauen und vier Männer ausgewählt - ihre Fachrichtungen gehen von Soziologie über Molekularbiologie bis hin zur Teilchenphysik (siehe Kasten).
Bei Beratung stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem Grad der Unabhängigkeit. Die soll bei der High Level Group Alleinstellungsmerkmal sein, denn - das muss man erwähnen - die EU hat durchaus auch interne wissenschaftliche Dienste. Trotz der engen Verbindung zur Kommission soll die Gruppe ausschließlich im Interesse der Öffentlichkeit handeln. Autark gelingt dies aber nicht: Seit Oktober gibt es in der Generaldirektion Forschung und Innovation der Kommission ein Referat, das SAM zugeordnet ist. Es ist sozusagen sein Sekretariat und die Kommissionsmitarbeiter sollen administrativ, aber auch fachlich unterstützen. Und es gibt viel zu tun: So ist das Kommissionsreferat bereits damit beschäftigt, Themen ausfindig zu machen, zu denen es Beratungsbedarf geben könnte, genauso wie es Vorschläge aus den anderen Kommissions-Generaldirektionen sammeln und priorisieren soll. Die High-Level-Group soll hier die Wissenschaftssicht einbringen, und im Zweifelsfall müssen sie auch selber ran und Kurzberichte oder Stellungnahmen zu den von ihnen priorisierten Themen verfassen. Wie gut da Unabhängigkeit zu erreichen ist, wird sich zeigen müssen. Jedoch darf man den etablierten Forscherpersönlichkeiten durchaus einiges an Eigenständigkeit, notfalls auch Standvermögen, zutrauen, wenn sie sich ab Januar 2016 an die Arbeit machen.
Herausforderung wird dabei auch sein, die Expertise in Europa zu erschließen und zu bündeln. Das enorme Wissen der zahlreichen Akademien Europas wird dabei von hoher Relevanz sein. Darüber hinaus verfügen auch die Forschungseinrichtungen über wesentliche Expertise in der wissenschaftsbasierten Politikberatung, auf die ebenfalls zurückgegriffen werden kann - und sollte! Hier ein funktionierendes System zu etablieren, das auf die jeweils besten Berichte und Experten zugreift, ist eine Aufgabe, die viel Überblick und Erfahrung erfordert. Die High Level Group hat damit die Chance für besseren Einfluss wissenschaftlicher Expertise an Schlüsselstellen der EU-Politik zu sorgen.
Sieben sei für all das eine gute Zahl, heißt es aus der Kommission. Schlagkräftig und gleichzeitig divers genug. Ja, tatsächlich ist es erfreulich, dass die Kommission dem nicht fernliegenden Impuls widerstehen konnte, ein Gremium von 28 Mitgliedern (entsprechend der Anzahl der EU-Mitgliedstaaten, wie bei den Ressorts der Kommission der Fall) einzurichten. Mit der Benennung der High Level Group sind - zum Glück - endlich auch die ermüdenden Diskussionen beendet, ob die Kommission möglicherweise etwas gegen wissenschaftliche Beratung an sich habe. Immer wieder kam diese argwöhnende These auf, seitdem der Vertrag der ehemaligen "Chief Scientific Adviser", der Professorin Anne Glover, nicht verlängert wurde. Ein Rauswurf, eine Kündigung? Natürlich war dies noch innerhalb der ersten Monate der Amtszeit des neu angetretenen Kommissionspräsidenten Juncker kein gutes Signal. Aber eben auch keine Absage an Rat aus der Wissenschaft an sich.
Im Gegenteil, denn eins ist klar: Bei einer von den High Level Group-Mitgliedern erbetenen Arbeitsleistung von jeweils 40 und für die Vorsitzenden sogar 60 Tagen im Jahr, handelt es sich für die Kommission um einen zu erwartenden Output, der die Größe eines Feigenblattes übersteigen dürfte - und für die Sieben um mehr als eine reinen Prestigejob. Glück auf!
- Janusz M. Bujnicki: Professor und Chef des Labors für Bioinformatik und “Protein Engineering“ am Internationalen Institut für Molekular- und Zellbiologie, Warschau
- Pearl Dykstra: Professorin für Soziologie an der Erasmus Universität, Rotterdam
- Elvira Fortunato: Professorin für Materialwissenschaften an der NOVA Universität, Lissabon
- Rolf-Dieter Heuer: Teilchenforscher und bis Ende 2015 Generaldirektor des CERN, Genf
- Julia Slingo: Chefwissenschaftlerin beim Met Office, dem britischen Wetterdienst
- Cédric Villani: Mathematiker und Direktor am Henri Poincaré Institut, Paris
- Henrik C. Wegener: Gesundheitsexperte und Vizepräsident der Technischen Universität Dänemark (DTU)
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