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Neue Medikamente

Der lange Weg zum Patienten

Vom Wirkstoff zum Medikament: Die Translation, der Weg vom Labor ans Krankenbett ist lang und teuer. Bild: unsplash/Kendal James

Um neue Wirkstoffe für Krebspatienten auf den Markt zu bringen braucht es häufig viel Zeit und sehr viel Geld. Die meisten guten Ideen kommen gar nicht erst beim Patienten an. Nun versuchen Forscher die Lücke zu schließen. Eine zunehmend staatlich geförderte Entwicklung ist hierfür entscheidend.

Wie entsteht ein neues Medikament?

Am Anfang steht eine Idee. Vielleicht ein ganz bestimmter Prozess in der Krebsentwicklung, in den man eingreifen könnte. Dann folgen Jahre im Labor, bis daraus ein Behandlungsansatz wird. Vorklinische Tests von Wirkstoffkandidaten in Zellkulturen und in Tiermodellen müssen nun zeigen, dass dieser das Tumorwachstum tatsächlich hemmt. Mit etwas Glück liefern auch noch große Medizin- und Biodatenbanken Hinweise darauf, dass sich der Ansatzpunkt für diesen Wirkstoff tatsächlich in einem Teil der Patienten finden lässt. Ein Durchbruch in der Grundlagenforschung ist erreicht. Das Medikament jedoch steht erst am Anfang seines Weges.

Was nun folgt, haben Wissenschaftler unter dem Begriff Translation zusammengefasst – die Übertragung der Theorie in die Praxis. „Der Schritt von der vorklinischen Erkenntnis bis zur tatsächlichen Anwendung eines fertigen Medikaments ist sehr groß“, erklärt Martin Schuler, Professor für Innere Medizin und Tumorforschung am Universitätsklinikum Essen und stellvertretender Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ).

Viele Schritte bis zur Markteinführung

„Ist die Grundlagenforschung beendet, kommt noch so viel mehr. Wirkstoffkandidaten müssen chemisch optimiert, die Pharmakologie, das heißt ihre Wirkung und ihr Anwendungsgebiet untersucht und mögliche Nebenwirkungen erkannt werden.“ Translation ist dabei immer Teamarbeit. Um beispielsweise ein neues Krebsmedikament zu entwickeln, sind nicht nur Krebsmediziner, sondern auch Molekularbiologen, Strukturbiologen, chemische Biologen und Pharmakologen am Projekt beteiligt. „Bis dahin funktioniert das auch in akademischen Kreisen noch gut“, sagt Schuler, der auch Sprecher des Deutschen Krebskonsortiums (DKTK) am Partnerstandort Essen/Düsseldorf ist.

Aber spätestens bei der dann folgenden chemischen Weiterentwicklung des Wirkstoffes und den Sicherheitsuntersuchungen in verschiedenen Modellorganismen ginge es dann kaum noch ohne externe Anbieter. „In der Regel findet man kein Universitätsinstitut, das dafür die Ausstattung und insbesondere die erforderlichen Mittel hat.“

Geht es dann in Richtung klinischer Studien, schnellt der Finanzbedarf nochmals in die Höhe. Außerdem gehören die erforderlichen umfangreichen Erfahrungen mit den Feinheiten des weiteren Zulassungsprozesses normalerweise nicht zum Repertoire der meisten Wissenschaftler. „Spätestens an diesem Punkt bleiben viele gute Ideen stecken. In gewissen Kreisen nennt man das the Valley of Death.“

Um mit seinem Wirkstoffkandidaten trotzdem erfolgreich zu sein, gibt es mehrere Möglichkeiten. Das Projekt kann etwa an ein Pharmaunternehmen abgegeben werden; die Wissenschaftler gründen aus oder ein spezialisiertes Unternehmen wird mit den Arbeiten beauftragt. „Für solche Projekte gibt es beispielsweise den Validierungsfond von Helmholtz“, erklärt Schuler. „Der hilft, um nochmal einen Schritt weiter zu kommen. Aber auch diese Mittel – da muss man Realist sein – reichen nicht aus, um den Wirkstoffkandidaten in eine Tablette für den Patienten zu verwandeln.“

Die Gesellschaft möchte Risiken komplett ausschließen – und das ist teuer

Der wachsende Finanzbedarf liegt vor allem in den hohen regulatorischen Anforderungen, die an die Erprobung eines neuen Wirkstoffes als Medikament gestellt werden. „Dieser ist um ein Vielfaches höher als das, was für den eigentlichen Erkenntnisgewinn in der Grundlagenforschung investiert werden musste“, weiß Schuler aus eigener Erfahrung. Das sei vor allem eine gesellschaftliche Entscheidung. Die politisch Verantwortlichen möchten medizinische Risiken am liebsten komplett ausschließen. Das wiederum geht nur mit einem ungeheuer reglementierten und damit sehr aufwändigen Entwicklungsprozess.

„Der Schritt in die Anwendung ist in der deutschen Wissenschaftsorganisation nicht gut abgebildet“, sagt Schuler. Das liege vor allem daran, dass die wohlhabenden Industrieländer ihre Arzneimittelentwicklung weitgehend an den privaten Sektor abgegeben haben. Bestimmte, hierfür erforderliche Kompetenzen seien in der akademischen Wissenschaft kaum noch vorhanden und auch die nötigen Mittel werden ausschließlich unternehmerisch aufgebracht. „Für den Finanzbedarf der Translation gibt es keine wirklich ausreichend ausgestatteten Förderinstrumente der öffentlichen Hand“, meint Schuler und fügt hinzu: „Daraus resultiert die Problematik, dass die meisten guten Ideen aus der akademischen Forschung am Ende gar nicht beim Patienten ankommen.“

Welche Lösungsansätze gibt es?

Eine Lösung, die Problematik zu entschärfen, ist für Martin Schuler das Belohnungssystem in der Wissenschaft für translationale Leistungen zu verbessern. „Erfolge in der biomedizinischen Wissenschaft messen sich an der Zahl der Publikationen und dem Ansehen der Fachzeitschriften, in denen man veröffentlicht“, führt er aus. Eine Anwendungsperspektive spiele hingegen eine untergeordnete Rolle. Denn vorbereitende Weiterentwicklungen oder Optimierungen sind wenig glamourös, lassen sich kaum publizieren und bieten dem Wissenschaftler damit keinen Anreiz für die Karriereentwicklung und das Einwerben neuer Fördermittel. Vor gut zehn Jahren ist das Problem in das Bewusstsein der Beteiligten gerückt. Mittlerweile gibt es auch Förderprogramme für erste Schritte in der Translation. Bis zur klinischen Anwendung reichen diese natürlich nicht.

Deshalb schlägt der Spezialist als zweiten Ansatzpunkt vor: „Ich wünsche mir ein wirklich substanzielles Förderinstrument, kofinanziert aus öffentlichen Geldern und mehreren Industriepartnern.“ Damit sollten dann wenige, aber wirklich vielversprechende Ansätze aus der Grundlagenforschung bis zum fertigen Arzneimittel begleitet werden und „the Valley of Death“ erfolgreich umschiffen. Die Verzahnung von privaten Unternehmen und öffentlicher Hand ist dabei sehr wichtig, denn „Die Entwicklungskosten bis zur Zulassung können bei heutigen Krebsmedikamenten bis zu zwei Milliarden Dollar betragen. Es ist derzeit nicht vorstellbar, dass dieser komplette Prozess öffentlich durchlaufen und finanziert wird.“

Den dritten Ansatzpunkt treibt er mit seinen Kollegen vom DKTK bereits seit einigen Jahren aktiv voran. Den Brückenschluss zwischen Labor und Krankenbett. „Das Konsortium wurde aus der Erkenntnis geboren, dass es eine große Lücke zwischen der hervorragenden Grundlagenforschung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und der klinischen Anwendung an den Universitätskliniken gibt“, erzählt Schuler. In enger Kooperation von DKFZ und sieben ausgewählten universitären Krebszentren versuchen Wissenschaftler und Ärzte seit 2012 diese Lücke zu schließen und gute Ideen in die Anwendung zu bringen. „Wir sind schon einen ganz großen Schritt vorangekommen“, freut sich Schuler. „Das wäre dem DKFZ als Helmholtz-Forschungszentrum allein in diesem Maße nicht gelungen. Es ist ja gar nicht mit der Krankenversorgung beauftragt. Die im DKTK vernetzten Universitätsklinika wiederum profitieren von den besonderen Infrastrukturen und der hohen Kompetenz auf dem Gebiet der onkologischen Forschung, die das DKFZ repräsentiert. Das ist eine Win-Win-Situation.“

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