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Feinstaub

Der Feind in der Luft

Bild: SP-Photo / shutterstock

Er ist für das menschliche Auge unsichtbar und findet seinen Weg in alle Organe. Feinstaub gefährdet mehr Menschen als Zigarettenrauch. Endlich dringen Wissenschaftler mit ihren Warnungen durch

März 2014, Feinstaubalarm im Zentrum Stuttgarts: Die Messstation „Am Neckartor“ meldet zum 35. Mal, dass der Grenzwert überschritten wurde. Genau 35 Verstöße erlaubt die EU – pro Jahr. Bis Ende April wird die Zahl der Verstöße auf 51 steigen, danach ist Ruhe. Vorerst. „Feinstaub ist vor allem ein Problem in den Wintermonaten“, sagt Ute Dauert vom Umweltbundesamt.

Mit insgesamt 82 Tagen über dem gesetzlichen Grenzwert war die Messstation „Am Neckartor“ schon 2013 Spitzenreiter in der Bundesrepublik. Dahinter rangieren in diesem Jahr Berlin-Neukölln mit 35 Überschreitungen sowie Leipzig und Halle mit jeweils 34. Bis jetzt. Der Winter kommt ja noch.

Was kaum einer weiß: Selbst die zugelassenen Feinstaubmengen bedrohen schon die Gesundheit. „Rauchen und Alkohol sind zwar für den Einzelnen gefährlicher als Feinstaub“, sagt Alexandra Schneider, „aber man kann frei entscheiden, ob man Zigaretten oder Alkohol konsumiert. Dem Feinstaub ist dagegen jeder Mensch ausgesetzt.“ Somit bestünde für jeden ein Erkrankungsrisiko durch Feinstaub. Schneider ist Meteorologin und Epidemiologin am Helmholtz Zentrum München und leitet dort die Arbeitsgruppe Environmental Risks am Institut für Epidemiologie II.

Feinstaub besteht aus Teilchen, die so klein sind, dass sie in der Luft schweben und nicht sofort zu Boden sinken. Einen Hundertstel Millimeter Durchmesser (10 µm) haben die größeren Partikel, PM10 genannt. Man könne sich zwar mit einer Atemmaske gegen Feinstaub schützen, die sei aber unangenehm zu tragen, sagt Schneider. Das größte Problem jedoch ist: Den meisten Menschen ist das Gesundheitsrisiko, dem sie sich jeden Tag aussetzen müssen, nicht bewusst.

Bei anderen Luftschadstoffen ist das anders. Weil immer mehr Menschen die Gefahren von Blei, Cadmium oder Schwefeldioxid erkannten und sie mitunter auch sehen oder riechen konnten, geriet die Politik unter Druck. Strengere Vorschriften für Kraftwerke, Industrieanlagen und Kraftfahrzeuge, verbunden mit neuen Filteranlagen und Katalysatoren, haben die Belastung der Luft seit 1990 deutlich verringert. Noch mehr Härte fordern Bürger und Wissenschaftler jetzt in Sachen Feinstaub – auch, weil das Risiko für Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen inzwischen wissenschaftlich abgesichert ist.

Zunächst beeinträchtigen die Staubkörner die Atemwege. Tief in die Lunge eingedrungene Partikel können die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe bewirken, die dann eine Entzündungsreaktion im Körper auslösen. Außerdem kann der Feinstaub den Herzrhythmus stören: direkt durch das Eindringen ins Herz, über das Andocken an so genannte Reflexrezeptoren in der Lunge oder indirekt über Entzündungen. Für 2012 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit 3,7 Millionen Todesfälle durch Luftschadstoffe angegeben. Feinstaub war verantwortlich für 16 Prozent der Todesfälle durch Lungenkrebs, 11 Prozent der Todesfälle durch chronisch obstruktive Lungenerkrankung sowie über 20 Prozent der Todesfälle durch Koronare Herzkrankheit und Schlaganfall. „In Europa verkürzt die Luftverschmutzung unsere Lebenserwartung um bis zu neun Monate“, sagt Schneider. Die derzeitigen Grenzwerte seien nicht ausreichend, da zu hoch – und würden zudem noch ständig überschritten. Damit aber nicht genug: Gerade in den Wintermonaten bringen östliche Winde viel Feinstaub aus Osteuropa mit sich.

Im Gegensatz zu den 35 erlaubten Überschreitungen des PM10-Tagesmittelwertes empfiehlt die WHO lediglich drei, um eine gesundheitliche Gefährdung auszuschließen. Ein Grenzwert, der selbst im ländlichen Raum kaum einzuhalten sei, sagt Ute Dauert, die beim Umweltbundesamt unter anderem für die Berichterstattung an die Europäische Kommission zuständig ist. „Die Grenzwerte sind Kompromisse zwischen gesundheitlicher Gefährdung und den Kosten für Minderungsmaßnahmen“, sagt sie. Und doch will sie die WHO-Empfehlungen in die Öffentlichkeit tragen, um den Erwartungsdruck auf die Politik zu erhöhen. Das größte Paradoxon in Sachen Feinstaub aber ist, dass es für die vermutlich gefährlichsten Staubteilchen bislang überhaupt keinen Grenzwert gibt: die so genannten ultrafeinen Partikel – also solche mit einer Größe von weniger als einem Zehntausendstel Millimeter (0,1 µm). Sie gelangen von der Lunge bis ins Blut und darüber in jedes Organ. „Selbst im Gehirn wurden schon ultrafeine Partikel nachgewiesen“, sagt Alexandra Schneider. Sie könnten sogar am schädlichsten sein. „Aber sie sind auch am schwierigsten zu messen, weshalb Routinemessungen und gesundheitsbezogene Studien weitgehend fehlen.“ So würde auch kein Grenzwert eingeführt.

Inzwischen beginnen Wissenschaftler und Bürger zu handeln. Eine Initiative in Stuttgart demonstrierte kürzlich für zeitweilige Fahrverbote. In Hamburg fordert der NABU einen Landstromanschluss für Kreuzfahrtschiffe, denn der Schiffsverkehr macht allein 17 Prozent der Feinstaubemissionen in der Hansestadt aus. Doch der Hamburger Senat schiebt die für 2012 vorgesehene Entscheidung vor sich her. „Wir brauchen schärfere Emissionsanforderungen für PKW, Baumaschinen und Industrieanlagen“, sagt Ute Dauert. Auch in der Landwirtschaft und im Schiffsverkehr müssten die Feinstaubemissionen gesenkt werden, ebenso bei Kaminen und Öfen, denn das private Heizen mit Holz hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Alles Maßnahmen, die richtig wehtun würden – und zwar nicht nur der Industrie.

Immerhin: Von 2015 an muss auch ein verbindlicher Grenzwert für Partikel von weniger als 2,5 µm Größe eingehalten werden – ein Anfang. Aber auch nicht mehr als das.

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