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Energiewende

Das Netz der Zukunft

Bild Rainer Sturm / pixelio

Unser Energiesystem muss grundlegend umgebaut werden, damit die Energiewende gelingen kann. In den Kopernikus-Projekten entwickeln Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam neue Lösungen. Wir stellen Ihnen die Projekte in einer Serie vor. Heute: Das Netz der Zukunft.

Das Problem taucht jedes Mal auf, wenn die Sonne vom Himmel strahlt und die vielen tausend Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern jede Menge Strom liefern: Sie müssen ihn loswerden. Deshalb speisen sie ihn in das Stromnetz ein, das vor vielen Jahrzehnten quer durch das Land aufgebaut wurde, um die Häuser mit Energie zu versorgen. Damals ahnte noch niemand, dass das Netz eines Tages nicht nur Strom liefern, sondern auch aufnehmen muss. „Die historisch gewachsenen Netzstrukturen aus der Welt der Großkraftwerke sind dafür nicht ausgelegt“, sagt Christian Kraemer vom Energiekonzern und Netzbetreiber E.ON. Kraemer ist einer der Clustersprecher des Kopernikus-Projekts ENSURE, das sich mit den Netzstrukturen der Zukunft und der Versorgungssicherheit beschäftigt. Kennzeichnend ist, dass neben Wissenschaftlern bei diesem Vorhaben auch Vertreter aus Industrie und Zivilgesellschaft stark eingebunden sind.

Holger Hanselka ist Präsident der KIT und Sprecher des Projektes ENSURE. Bild: KIT

„Die zentrale Herausforderung für uns ist es, eine neue Netzstruktur zu entwickeln und zu zeigen, wie wir in Deutschland gleichzeitig Energie aus fluktuierenden erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind in das Netz dezentral integrieren und eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung gewährleisten können“, sagt Holger Hanselka, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Sprecher des Direktoriums beim Projekt ENSURE, das vom KIT koordiniert wird. Im bestehenden Netz tritt eine immer stärkere Volatilität auf. Sie ist die Folge der vielen Solar- und Windkraftanlagen, die Strom einspeisen und damit das Netz in Spitzenzeiten an den Rand seiner Leistungsfähigkeit bringen. „Deshalb müssen wir tätig werden, damit das Netz weiterhin rund um die Uhr stabil funktioniert“, sagt Hanselka. Die Marschrichtung sei klar: „Das Netz der Zukunft muss stärker bi-direktional funktionieren. Ein Haushalt zum Beispiel produziert zu bestimmten Zeiten Strom, zu anderen Zeit verbraucht er Strom“, sagt Hanselka. Mit dem Forschungskonsortium arbeitet er daran, das Netz diesen neuen Herausforderungen anzupassen.

Das Stromnetz in Deutschland ist, vereinfacht gesagt, in ein Übertragungs- und ein Verteilnetz aufgeteilt. Das Übertragungsnetz, das mit einer Spannung von bis zu 380 Kilovolt arbeitet, überbrückt die großen Distanzen über das Land und transportiert den Strom etwa von großen Kraftwerken in die Ballungsräume. Das regional untergliederte Verteilnetz arbeitet mit einer Spannung von 230 Volt bis 110.000 Volt und ist stark verästelt, so dass die Stromversorgung selbst in allein stehenden Bauernhäusern gewährleistet ist.

Das Zusammenspiel zwischen diesen lokalen, überregionalen und internationalen Strukturen ist über lange Zeit gewachsen – und stößt nun im Zuge der Energiewende an seine Grenzen: Statt gewaltiger Kraftwerke, von denen aus die Energieversorgung sternförmig ausgeht, gibt es nun ungezählte dezentrale Erzeuger wie die Photovoltaik-Anlagen oder Windparks. „Schon heute kann das Netz in Zeiten hoher dezentraler Erzeugung nicht ausreichend Strom transportieren“, sagt E.ON-Experte Christian Kraemer. In den Leitwarten der Netzbetreiber muss dann entschieden werden, was passiert – bislang ist es häufig so, dass die erneuerbaren Energiequellen wegen akuter Engpässe in den Netzen schlicht abgeschaltet werden müssen.

Für die Energiewende ist das kontraproduktiv, weil grüner Strom einfach verloren geht. „Künftig werden im Verteilnetz Elektromobilität, Speicher und andere flexible Verbraucher zur Verfügung stehen. Eine Lösung kann es deshalb sein, die Stromerzeugung und den Stromverbrauch regional stärker auszugleichen. Dazu brauchen wir effiziente dezentrale Planungs- und Betriebskonzepte, damit die Netze für die Herausforderungen der Energiewende vorbereitet sind“, sagt Kraemer.

Bild: Chakka/fotolia.com

An dieser Stelle kommen andere Industriepartner im Kopernikus-Verbund ins Spiel. Siemens zum Beispiel: Der Konzern kann insbesondere seine Erfahrung beim Bau von Netzkomponenten und Steuerungstechnik einbringen – spezialisierte Gerätschaften sind das, die in Umspannungswerken und anderen Schlüsselstellen im Netz zum Einsatz kommen. Sie müssen optimiert werden, damit sie auch unter den neuen Bedingungen zuverlässig funktionieren. Denkbar sind etwa neuartige Komponenten, die die Steuerung des Stromflusses in zwei Richtungen ermöglichen oder auf variable Leistungen ausgelegt sind. Ein anderer Ansatz, um die Aufnahmefähigkeit der Verteilnetze zu erhöhen, nennt sich Smart Grid: Dabei geht es darum, dass manche Geräte gezielt in den Zeiten betrieben werden können, in denen am meisten Strom zur Verfügung steht – bestimmte Industrieprozesse etwa ließen sich auf solche Phasen verlegen. In Haushalten könnte etwa das Elektroauto dann aufgeladen oder der Wäschetrockner gestartet werden. 

„In kleinen Regionen laufen teilweise schon Pilotprojekte, um neue Strukturen für den Netzaufbau zu testen“, sagt Sylvio Kosse von Siemens, auch er einer der Clustersprecher des ENSURE-Projekts. „Aber unser Ansatz ist es, das Netz in der Gesamtheit zu betrachten.“ Man trete gewissermaßen einen Schritt zurück und denke von Grund auf neu. „Manche gehen davon aus, dass die beste Option sei, die Netze auszubauen, also größer und leistungsstärker zu machen – das kann, aber muss nicht die Lösung sein“, erläutert Sylvio Kosse. Auch das ist eine Aufgabe des ENSURE-Projekts: Die Forscher wollen herausfinden, welches Verhältnis zwischen zentralen und dezentralen Strukturen sinnvoll ist – aus technischer, aber auch aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht. Dafür gibt es viele Stellschrauben.

Würde man etwa große Energiespeicher einsetzen, die über das Land verteilt sind, müsste nicht zwangsläufig zusätzlicher Strom über größere Distanzen transportiert werden. Auch wenn Strom in Wärme oder Gas verwandelt wird, könnte das die Netz-Infrastruktur entlasten. Genau diese Vielzahl an Möglichkeiten macht das Thema aber auch so komplex. „Ich sehe es als Riesenchance, im Verband mit Netzbetreibern und Wissenschaftlern an diesem Thema zu arbeiten“, sagt Sylvio Kosse – „einer allein könnte es beim besten Willen nicht schaffen.“

Das auf zehn Jahre angelegte Forschungsprojekt ist in drei Phasen aufgeteilt. „Zunächst überlegen wir, welche Grundlagen und Technologien wir benötigen und entwerfen dann am Rechner die passende Hardware mit den erforderlichen Parametern“, sagt Holger Hanselka vom KIT. Im Labor werden diese Entwürfe dann gebaut und getestet – und dann folgt die Phase zwei des Kopernikus-Projekts: Da bauen die Wissenschaftler ihr erdachtes Netz der Zukunft im Pilotmaßstab schon einmal auf. Als Versuchsfeld dient dazu unter anderem das Energy Lab 2.0 des KIT – „hardware in the loop“ nennen die Karlsruher den Versuchsaufbau. „Wir stellen auf dem Campus ein mögliches Energienetz der Zukunft dar und erproben das Zusammenspiel zwischen dezentralen und zentralen Komponenten“, erläutert Holger Hanselka das Vorhaben.

Im geschützten Raum der Universität wird dort alles an innovativer Technik schon einmal zusammengeschaltet, was sich die am Kopernikus-Projekt beteiligten Forscher und Entwickler ausdenken. Dort wird es auf seine Alltagstauglichkeit getestet, zugleich findet die Feinabstimmung statt, damit sämtliche Komponenten der Technik gut zusammenspielen.

Als Phase drei im Projekt folgt schließlich die Übertragung in reale Bedingungen. Das dürfte in einem Verteilernetz von E.ON erfolgen. „Wir haben noch keine endgültige Auswahl für den Ort der Demonstrationsregion getroffen“, sagt Christian Kraemer. „Aber wir haben klare Vorstellungen für eine möglichst repräsentative Konstellation: Eine Stadt mit ländlichem Umfeld sollte es idealerweise sein, zudem sollte in der Gegend viel Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt werden, die wir regional nutzen können.“ Eine solche Muster-Anwendung ließe sich dann auf viele Regionen Deutschlands mit ihren jeweiligen Besonderheiten übertragen. 

Kopernikus-Projekte

Die Kopernikus-Projekte stellen die größte Forschungsinitiative zur Energiewende dar. Sie verfolgen ein hochgestecktes Ziel: „Bis 2025 bringen wir neue Energiekonzepte auf den Weg, die im großtechnischen Maßstab angewendet werden können – und die auch gesellschaftlich mitgetragen werden“, sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka zum Auftakt. Die Forschungsvorhaben sind in vier Schlüsselbereiche unterteilt, die inhaltlich den großen Herausforderungen der Energiewende folgen: Die Entwicklung von Stromnetzen, die Speicherung überschüssiger erneuerbarer Energie durch Umwandlung in andere Energieträger, die Neuausrichtung von Industrieprozessen auf eine schwankende Energieversorgung und das verbesserte Zusammenspiel aller Sektoren des Energiesystems.

An jedem der vier Kopernikus-Projekte sind Universitäten, außeruniversitäre Forschungsuniversitäten, Unternehmen und gesellschaftliche Akteure beteiligt. Die Projekte laufen, unterteilt in drei Etappen, jeweils für eine Dauer von zehn Jahren. Am Ende sollen greifbare und umsetzbare Lösungen stehen. Wir stellen die vier Kopernikus-Projekte in loser Folge vor.

Teil 2: "Power to X"

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