Erbgut des Weizens
Brot für die Welt
Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, das Erbgut des Weizens zu entschlüsseln. Daraus entstehen große Chancen für Ernährung und Gesundheit: Mit neuen Weizensorten lassen sich mehr Menschen weltweit ernähren – und das Genom hilft, Allergien und Unverträglichkeiten besser zu verstehen.
Weizen ist gemeinsam mit Reis, Mais und Soja für etwa 60 Prozent der Nahrungsmittel der Menschen rund um den Globus verantwortlich – vor allem als Brot, aber auch als Teigwaren oder gar als Bier. Weitaus weniger geläufig war dagegen lange, wie das Genom des Weizens aufgebaut ist. Mehr als 13 Jahre brauchten über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 20 Staaten weltweit, um das Erbgut dieser Getreideart in einem der größten Projekte der Pflanzenforschung, dem International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC), zu entschlüsseln.
Nun ist dem internationalen Team der nächste Schritt gelungen: Gemeinsam sequenzierten sie das Genom von 15 Weizensorten, die verschiedene globale Züchtungsprogramme repräsentieren. Im Fachjournal „Nature“ beschreiben sie den bisher umfassendsten Weizen-Genom-Atlas. Damit lassen sich genetische Unterschiede aufspüren, die für die Züchtung relevant sein können – so kann der Weizenanbau weiter verbessert werden.
Da das Genom des Brotweizens enorm groß und komplex ist, galt eine vollständige Sequenzierung lange Zeit als äußerst schwierig oder sogar unmöglich. Doch die Forschenden hatten Erfolg – das Resultat: „Das Weizen-Genom hat genau 107.891 Gene und damit rund fünf Mal mehr Gene als der Mensch“, sagt Manuel Spannagl. Er forscht am Helmholtz Zentrum München und war am Weizengenomprojekt federführend beteiligt. „Mit dem Referenzgenom von Weizen haben wir eine Basis gefunden, anhand der wir Weizen verstehen, erforschen und verbessern können“, sagte Spannagl. Geglückt ist der Forschungsgruppe die nahezu vollständige Sequenzierung des Referenzgenoms von Weizen, indem sie sich ergänzende Sequenzier- und Assemblierungstechniken mit bioinformatischen Algorithmen und Programmen kombinierten.
Mit dem Genom neue Weizensorten entwickeln und mehr Menschen weltweit ernähren
Die Etablierung des Referenzgenoms könnte dazu beitragen, in Zukunft mehr Menschen auf der ganzen Welt zu ernähren – denn die Bevölkerung wächst weiter: Derzeit leben rund 7,8 Milliarden Menschen auf dem Globus. Die UN geht in ihrer mittleren Schätzungsvariante davon aus, dass diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf rund 9,6 Milliarden Menschen steigen wird. „Die große Herausforderung für die Menschheit wird sein, so viele Menschen unter den sich rasch verändernden Bedingungen des Klimawandels zu ernähren, ohne dafür wesentlich mehr Flächen zu beanspruchen“, sagte Spannagl, der am Helmholtz Zentrum München Gruppenleiter in der Abteilung „Genomik und Systembiologie pflanzlicher Genome“ ist. Dafür brauche es eine Kombination vieler Maßnahmen: Eine geringere Verschwendung von Nahrungsmitteln, die Umstellung auf fleischärmere Ernährung, den Verzicht auf Biotreibstoffe, die Verminderung des Bevölkerungswachstums – und auf den bisherigen Agrarflächen höhere Erträge bei den Anbauprodukten. Und genau dies könnte dank der Ergebnisse aus dem Weizengenomprojekt gelingen.
Der Vorteil von Getreidearten wie Weizen ist, dass sie eine große natürliche genetische Diversität vorweisen. So gibt es Weizensorten, die sehr resistent gegenüber Hitze sind, gleichzeitig aber keine so hohen Erträge liefern. Auf der anderen Seite stehen wiederum Weizensorten, die sich hierzulande anbauen lassen und gute Erträge bringen, dafür aber anfällig für Hitze und Trockenperioden sind. „Mit dem Referenzgenom können Pflanzenzüchter nun sehr viel schneller neue Sorten entwickeln, die besser an veränderte Umweltbedingungen angepasst sind und etwa auch bei höheren Temperaturen gute Erträge liefern können“, sagt der Bioinformatiker Spannagl.
Unverträglichkeiten und Allergien besser verstehen und behandeln
Doch die Ergebnisse aus dem Weizengenomprojekt können nicht nur helfen, in Zukunft mehr Menschen zu ernähren, auch die menschliche Gesundheit kann profitieren. Bestimmte Weizenproteine können Erkrankungen wie zum Beispiel Zöliakie hervorrufen; eine Reaktion des Dünndarms auf Gluten. Und sie können Weizenallergien wie das Bäcker-Asthma oder Weizensensitivität verursachen, die unter anderem entzündliche Prozesse im Körper verschlimmern kann.
Schätzungen zufolge leiden bis zu 15 Prozent der Bevölkerung unter einer Form der Weizenunverträglichkeit. Der Kampf gegen diese Allergien und Unverträglichkeiten könnte nach der Entschlüsselung des Weizengenoms neuen Auftrieb bekommen – hoffen die Forschenden doch, Weizensorten mit geringerem immunstimulatorischen Potenzial identifizieren und züchten zu können. Gemeinsam mit Forschungsgruppen aus Norwegen und Australien, berichtet Spannagl, hätte man festgestellt, dass der Klimawandel und die dadurch veränderten Umweltbedingungen einen Einfluss auf die Expression – also die Umsetzung genetischer Informationen in Proteine – haben, die für die Weizenunverträglichkeiten verantwortlich sind. So fand man beispielsweise bei höheren Temperaturen eine stärkere Expression von Gluteninen, die mit verantwortlich sind für Zöliakie.
Aus Sicht des Helmholtz-Forschers ist Pflanzengenetik deswegen eine Schlüsseltechnologie. „Wir lernen dadurch, Weizenunverträglichkeiten besser zu verstehen und können so dazu beitragen, dass mehr Menschen Weizenprodukte genießen können“, sagt er. Zudem helfe sie auf dem Gebiet der Ernährung, neue Herausforderungen durch den Klimawandel bewältigen zu können.
Vortrag von Manuel Spannagl beim Helmholtz-Horizons-Symposium
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