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Interview

„Bei Wissenschaftlern hilft es nicht, mit Karotten zu wedeln“

Foto: Ralf-Uwe Limbach

Die Helmholtz-Manager Sabine Helling-Moegen und Karsten Wurr im Gespräch über Führungsaufgaben in Forschungseinrichtungen, die Ausbildung von Wissenschaftsmanagern – und über Tricks, mit denen sich Forscher gut überzeugen lassen.

Die Juristin Sabine Helling-Moegen, 43, ist seit Februar 2015 administrativer Vorstand beim DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in der Helmholtz- Gemeinschaft). Der Chemiker Karsten Wurr, 48, ist seit Februar 2015 Verwaltungsdirektor am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Beide haben in den vergangenen Jahren die Helmholtz-Akademie für Führungskräfte durchlaufen.

Frau Helling-Moegen, Herr Wurr, war das Wissenschaftsmanagement immer schon Ihr berufliches Wunschziel?

Helling-Moegen:Ehrlich gesagt: nicht unbedingt. Aber es bietet schon sehr viel von dem, was ich suchte: ein innovatives und internationales Umfeld und die Möglichkeit, Strategien nachhaltig umzusetzen. Dieser Positionswechsel ist für mich daher im Grunde eine Rückkehr, back to the roots. Ich habe im Wissenschaftsmanagement angefangen, am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, war danach in der Helmholtz- Geschäftsstelle in Berlin, habe 2011 den Sprung nach draußen gemacht zu einem Finanzdienstleister. Und ich muss sagen: Nach vier Jahren habe ich die Wissenschaft schon ziemlich vermisst. Da bin ich dann zurückgekehrt.


Was genau fehlte Ihnen?

Helling-Moegen:Das ganz besonders inspirierende Umfeld, die Themen, die Personen – die ganze Mischung. Wissenschaft ist, auch wenn man nicht selbst im Labor steht, ein extrem spannendes und motivierendes Feld.

Wurr:Ich habe beim AWI im Grunde genau die berufliche Position gefunden, von der ich vorher gar nicht wusste, dass ich sie suchte. Nach dem Studium war meine Perspektive, entweder in der Wissenschaft oder in der Industrie zu arbeiten. Ich bin dann über den Umweg des Technologietransfers ins Wissenschaftsmanagement gekommen. Das ist schon eine Welt, mit der ich mich sehr identifizieren kann.

Sie sind beide erst vor kurzem in den Vorstand von Helmholtz-Zentren aufgerückt - wie waren die ersten 100 Tage?

Wurr:Spannend, als ob die Zeit keinen Moment still steht. Es gab unheimlich viel aufzunehmen und kennenzulernen. Das AWI hat ja nicht nur den Hauptsitz in Bremerhaven, sondern auch Standorte in Potsdam, auf Helgoland und Sylt. Es kostet Zeit, die alle zu besuchen, lohnt sich aber auch, gerade wegen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort.

Helling-Moegen:Bei mir war das ganz ähnlich: eine sehr spannende, sehr intensive Zeit. Das DZNE hat insgesamt sogar neun Standorte – das heißt, ich habe mich auf eine große Deutschlandreise begeben. Da bin ich jetzt fast komplett durch. Spannend war für mich auch die Begegnung mit den vielen Kooperationspartnern, das ist bei uns im biomedizinischen Bereich sehr wichtig.


Unterscheidet sich eine gute Führung in der Wissenschaft von der in anderen Bereichen?

Wurr:Definitiv. Wissenschaftler sind intrinsisch getrieben, denen brauche ich keine Boni zu geben, mit tollen Auslandsreisen, Macht oder Einfluss. Bei ihnen muss ich viel mehr überzeugen – da hilft es nicht, mit Karotten zu wedeln, sondern ich muss wirklich überzeugen, muss sie mitnehmen auf den Weg. Und dafür ihre Motive verstehen.

Freaks im positiven Sinne…

Wurr:Absolut! Und sehr offen in der Diskussion. Ich habe kaum jemanden Verwaltungsregeln so vehement hinterfragen sehen wie manche Physiker, mit denen ich diskutiert habe. Die kommen da mit naturgesetzlichen Ansprüchen, das ist jedes Mal eine echte Herausforderung. Verwaltungslogik ist für die erst einmal keine Logik.

 

Und wer gewinnt diese Debatten?

Wurr:(lacht) Es gibt einen Shortcut für mich als Verwaltungsmenschen: „Das geht rechtlich nicht.“ Das verschafft mir zumindest eine Atempause – auch wenn die Diskussion damit nicht beendet ist. Aber an so einem Punkt ist zumindest klar, dass man eventuell gemeinsam einen anderen Weg suchen muss.

Helling-Moegen:Bei uns ist das genauso: Es wird diskutiert und hinterfragt und natürlich soll alles immer ganz, ganz schnell gehen. Aber: Es geht eigentlich immer um die Sache. Mit guten Argumenten und Transparenz kommt man meistens weiter, mit Druck dagegen nicht.

 

Sie haben beide die Helmholtz-Akademie für Führungskräfte absolviert. Wie gut wurden Sie dadurch auf Ihre neuen Aufgaben vorbereitet?

Helling-Moegen:Das Wissen und das Handwerkszeug, das ich dort vermittelt bekommen habe, ist enorm hilfreich, um die zunehmende Komplexität in einer stark vernetzten Umwelt besser zu meistern und um mit seinen Ideen und Vorstellungen auch tatsächlich wirksam zu werden. Klar ist aber auch, dass der Härtetest dann in der Praxis erfolgen muss. Genauso wichtig war aber auch die Vernetzung mit Helmholtz-Kollegen. Dieses Netzwerk hilft mir heute noch.

Wurr:Das Netzwerk ist einer der wichtigsten Punkte, gerade auch wegen des Blicks über das eigene Zentrum hinaus. Da sind in der Akademie Kontakte und Freundschaften entstanden, die bis heute gehalten haben. Das ist für mich umso wichtiger, als es an manchen Punkten erhebliche Gesprächsbarrieren zwischen Administration und Wissenschaft gibt, manchmal auch zwischen den Helmholtz- Zentren. Das führt dazu, dass wir das Rad viel zu oft neu erfinden oder wohlmeinend aneinander vorbeiarbeiten.

 

Kann man Führung überhaupt lernen? Oder muss man bestimmte Fähigkeiten einfach mitbringen?

Wurr: Ich persönlich glaube, dass Menschen alles lernen können – es fällt einem nur nicht alles gleich leicht. Dazu gehört, Dinge nach außen zu vertreten – mit Nachdruck, aber auch mit der entsprechenden Ruhe. Je stärker man in einer Führungsposition ist, desto stärker wird man auch beobachtet. Dabei ein vernünftiges Maß zu finden, ohne zu schauspielern – das ist, glaube ich, die große Herausforderung.

Helling-Moegen: Im Vorstand eines Zentrums wird man ja mit vielen Themen konfrontiert, man muss zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen treffen und dabei auch andere Akteure mit ins Boot holen. Dieses Ausbalancieren wurde in der Akademie wirklich gut trainiert. Wenn man darüber hinaus eine gesunde Mischung aus Neugier, Kommunikationsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit mitbringt und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, ist das garantiert von Vorteil.

Gab es in Ihren neuen Jobs auch schon den Moment, wo Sie den Kopf geschüttelt haben und dachten: Das habe ich mir eigentlich ganz anders vorgestellt?

Helling-Moegen: Spontan fällt mir nichts in dieser Richtung ein. Das ist vielleicht der Vorteil, wenn man schon verschiedene Management-Welten erlebt hat. Aber es gibt immer Punkte, mit denen man sich nicht so gut abfinden kann. Beispielsweise dauern mir manchmal Entscheidungswege viel zu lange, da erscheint das ganze System bisweilen übersteuert. Auf der anderen Seite liefert genau dieses System oft auch die Möglichkeit für Vorhaben mit langem Atem und Freiräumen, die man in einem volatilen Umfeld nicht vorfindet. Das macht den Reiz dieser Stelle und des Umfelds aus. Und es gibt noch eine ganze Menge zu tun: Das DZNE, und damit auch die Administration, ist ja gerade erst sechs Jahre alt. In dieser Zeit wurde eine beeindruckende Aufbauarbeit geleistet. Jetzt geht es darum, erst einmal zu konsolidieren, Prozesse zu analysieren und zu optimieren und die administrativen und technischen Infrastrukturen noch weiter auszubauen.

Wurr: Nein, es gibt wirklich nichts, was nervt. Aber es gibt natürlich Dinge, die ich anders machen möchte.

Welche denn?

Wurr: Zum Beispiel gewisse Zuständigkeiten – die wären anders sinnvoller verteilt. Projekte sind intern oft sehr gut organisiert, aber nicht immer nach best practice-Vorgaben. Wesentliche Beiträge der Infrastruktur werden da einfach als gegeben vorausgesetzt. Das könnte man besser und aktiver planen, denn sonst führen konkurrierende große Projekte zu administrativen Flaschenhälsen. Das ist besonders kritisch bei Vorhaben, an denen mehrere Zentren beteiligt sind. Hier muss meiner Meinung nach Helmholtz insgesamt einen qualitativen Sprung machen. Andererseits ist genau das ja das Spannende an unserem Job: Wir haben die Möglichkeit, zu verändern und zu gestalten. Und zu schauen, ob etwas so, wie es bisher gemacht wird, gut funktioniert – oder ob das vielleicht einfach nur so gewachsen ist, aber eigentlich anders besser gemacht werden könnte.

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