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EASD-Jahrestagung

Ausgezeichnete Forschung gegen Diabetes

Matthias Tschöp, Annette-Gabriele Ziegler, Maike Sander (Bild: Matthias Tunger Photodesign, Peter Himsel)

Neue Wege in der Diabetesforschung: Beim diesjährigen Kongress der Vereinigung der Europäischen Diabetesforschung erhalten Helmholtz-Wissenschaftler gleich drei Preise für wegweisende Ideen und Wege zu Bekämpfung der Volkskrankheit.

Jedes große Problem kann auf verschiedene Arten groß sein. Es kann etwa sehr viele Menschen betreffen, oder es ist groß, weil es sich nicht wirklich lösen lässt, wenn es einmal aufgetreten ist. Auf die Erkrankung Diabetes trifft beides zu. Allein in Deutschland sind rund 8,5 Millionen Menschen betroffen, damit ist es eine der großen Volkskrankheiten. Und Diabetes ist eine chronische Krankheit: Sie verschwindet in aller Regel nicht wieder, wenn sie einmal aufgetreten ist, sondern bleibt ein Leben lang. Für die Medizin und das Gesundheitswesen ist Diabetes kein großes, sondern ein riesiges Problem.

Entsprechend intensiv sind auch die Bestrebungen der Forschung in Bezug auf Diabetes. In Forschungszentren über Uni-Kliniken und pharmazeutische Unternehmen arbeiten weltweit viele Tausend Wissenschaftler an neuen Wegen in der Diagnostik und Therapie. Allein die Art der Verabreichung von Insulin ist bereits ein eigener Forschungszweig, ähnlich verhält es sich mit den steigenden Möglichkeiten für die Blutzuckerüberwachung. Fast täglich gibt es in der Diabetes-Forschung wenigstens eine kleine neue Erkenntnis oder eine weitere Verbesserung bestehender Behandlungsoptionen. Und manchmal, wenn auch eher selten, gelingt auch ein größerer Durchbruch.

Für ihre jeweils besonders ambitionierten und erfolgreichen Forschungsansätze im Feld Diabetes gehen in diesen Tagen gleich drei Preise an Helmholtz-Forscher. Die Preise werden auf dem jährlichen Kongress der großen Fachorganisation European Association for the Study of Diabetes (EASD) verliehen, der vom 19. September bis 23. September in Stockholm stattfindet.

Matthias Tschöp, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz Zentrum München. Bild: Matthias Tunger Photodesign

Für die Entdeckung einer ganzen Serie von neuen Medikamenten erhält der wissenschaftliche Geschäftsführer und CEO von Helmholtz Munich, Matthias H. Tschöp, den EASD-Lilly Centennial Anniversary Preis 2022, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Tschöp hatte bereits nach dem Studium zunächst als Arzt für Stoffwechselmedizin an der Münchner Uniklinik täglich den klaren Zusammenhang zwischen Adipositas (Fettsucht) und Diabetes Typ 2 beobachten können. „Damals fragte ich mich schon: Wäre es nicht am besten Adipositas frühzeitig zu behandeln, und so die Diabetesentstehung zu verhindern?“, sagt Tschöp.

Bereits vor mehr als 20 Jahren hat Tschöp erstmalig zeigen können, dass es ein Magen-Darm Hormon namens Ghrelin gibt, das im Gehirn Appetit und Körpergewicht reguliert. Allerdings zeigte seine Forschung auch bald, dass die Ansteuerung eines einzigen Signalweges nicht ausreichen würde, um tatsächlich Adipositas, den stärksten Treiber der Diabetesentstehung, in den Griff zu bekommen.

So entstand Tschöps Vision, mit Hilfe einer Kombination von Darmhormonen neue Wirkstoffe zu formen.  Zusammen mit dem Chemiker Richard DiMarchi von der Indiana University entdeckte er die Wirkstoffklasse der Darmhormone Polyagonisten. Dabei handelt es sich um Zweifach- und Dreifach-Kombinationen der Hormonwirkungen von Glucagon, GLP-1 und GIP, die sie jeweils in ein einziges Molekül packen konnten. Inzwischen ist der erste Wirkstoff dieser Art in den USA zugelassen. Etwa ein Dutzend weiterer Polyagonisten werden bereits in klinischen Studien getestet. „Die Tatsache, dass diese neuen Medikamente durch die Kombination von Hormonwirkungen im Durchschnitt mehr als 20 % Gewichtsreduktion bei Adipositas erreichen, und zusätzlich bei der Einstellung von Blutzucker überlegen zu sein scheinen, übertrifft selbst unsere Erwartungen“, sagt Tschöp.

Annette-Gabriele ZieglerDirektorin des Instituts für Diabetesforschung, Helmholtz Munich. Bild: Matthias Tunger Photodesign

Ebenfalls bei Helmholtz Munich arbeitet Annette Ziegler, deren Forschung bei Typ-1-Diabetes sogar noch einen Schritt früher ansetzt. Die Direktorin des Helmholtz Munich Instituts für Diabetesforschung (IDF) wird beim EASD mit dem mit rund 800.000 Euro dotierten EASD-Novo Nordisk Foundation Diabetes Prize for Excellence 2022 geehrt. Ziegler forscht vor allem an der Ursache und Prävention von Diabetes Typ 1. „Meine Vision ist eine Welt ohne Typ-1-Diabetes. Konkret heißt das, ich möchte herausfinden, wie wir die Krankheit verhindern können“, sagt Ziegler.

Voraussetzung dafür ist zu verstehen, wie Typ-1-Diabetes entsteht. Hier hat Ziegler im Laufe ihres Forscherlebens bereits einige wesentliche Erkenntnisse beigesteuert. Schon 1989 rief sie die weltweit erste Geburtskohortenstudie zu Diabetes ins Leben, anhand derer sie zeigen konnte, dass die für Typ-1-Diabetes typischen Autoantikörper gegen die Inselzellen bereits im ersten Lebensjahr entstehen und sich zunächst auch gegen Insulin richten. In mehreren Langzeitstudien konnte Ziegler Gene und Umweltfaktoren identifizieren, die eine Entwicklung von Typ-1-Diabetes begünstigen. 2017 hat Ziegler dann die Globale Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD) mitgegründet, die ein bevölkerungsweites Neugeborenenscreening zum Ziel hat. Mittlerweile wurden in Zentren in Europa mehr als 350.000 Neugeborene gescreent und über 1.500 betroffene Kinder in Studien zur Prävention aufgenommen. Kinder mit erhöhtem Risiko für Typ-1-Diabetes werden engmaschig beobachtet und entsprechend frühzeitig behandelt – an erfolgsversprechenden Therapien, die bei frühzeitigem Einsatz auf eine vollständige Verhinderung von Typ-1-Diabetes abzielen, wird aktuell geforscht.

Maike Sander, Diabetesforscherin und wissenschaftliche Vorständin des Max-Delbrück-Center

Und wie lässt sich denjenigen womöglich nachhaltig helfen, die bereits an Diabetes leiden? Daran arbeitet Maike Sander, die ab 1. November als Wissenschaftliche Vorständin und Vorstandsvorsitzende das Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft führen wird. Auf dem EASD wird Sander mit dem Albert Renold Prize ausgezeichnet für ihre Forschung an der Funktion und Entwicklung der Insulin-produzierenden Beta-Zellen, die im Pankreas in den sogenannten Langerhansschen Inseln vorkommen.

Weil sie für die Produktion von Insulin verantwortlich sind, spielen diese Zellen eine tragende Rolle bei allen Arten von Diabetes. Bei Typ-1-Diabetes werden sie vom Immunsystem zerstört, bei Typ-2-Diabetes verlieren sie im Laufe der Zeit ihre Funktion. Die Forschungsgruppe von Maike Sander hat eine Reihe von wichtigen Faktoren entdeckt, die für die Entwicklung von Stammzellen hin zu Beta-Zellen verantwortlich sind. Nun gibt es weltweit nun mehrere Versuche, mithilfe von Stammzellen neue Beta-Zellen im Pankreas von Diabetes-Patienten wachsen zu lassen. „Es ist sehr erfreulich zu sehen, dass unsere Arbeit die Grundlage für erste klinische Studien gelegt hat. Ich hoffe, eine solche Stammzelltherapie wird eines Tages Realität“, sagt Sander.

Solche und andere Fortschritte zeigen: das Wissen über den Diabetes nimmt zu. Und die in der Forschung gewonnenen Erkenntnisse fungieren letztlich als Plattform für neue Wege in Prävention, Diagnostik und Therapie – und damit für neue Lösungen für das riesige Problem Diabetes.

Neben den drei Preisen für ihre herausragenden Erfolge erhält mit Alexander Jais (Leiter der Nachwuchsgruppe „Diet-Induced Metabolic Alterations“ am Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung (HI-MAG) in Leipzig) ein weiterer Helmholtz Forscher eine hochdotierte Auszeichnung: den Future Leader Award der European Foundation for the Study of Diabetes (EFSD)/Novo Nordisk Foundation. Mit dieser Förderung werden junge Spitzenforscher während ihrer ersten Karrierejahre unterstützt, um ihre vielversprechende Forschung voranzubringen. Jais und sein Team untersuchen die Rolle des zentralen Nervensystems bei der Regulierung der Glukosehomöostase. Dabei geht es insbesondere um die Identifikation und Charakterisierung von Nervenzellen, die durch energiereiche Nahrungsmittel aktiviert werden und Glukosehaushalt regulieren. „Unser Ziel ist es, neue Player bei der Diabetes-Entstehung zu identifizieren und somit neuartige Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten zu ermöglichen“, so Jais. Für seine Forschung erhält er in den nächsten fünf Jahren rund 670 000 Euro.

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