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Quantentechnologie

Aufbruch zu einer neuen Welt

Bild: D-Wave Systems; Shutterstock/Sunward Art

Die Quantenphysik ist einer der komplexesten Bereiche der Physik – und einer der vielversprechendsten: Forscher arbeiten an unterschiedlichen Technologien, die auf Quanten basieren. Sie könnten von der Medizin bis zur Materialforschung die Wissenschaft revolutionieren.

Die Liste der erhofften Wunder ist lang: ein Sensor, der Grundwasser vom Orbit aus aufspürt. Eine Kappe, die Gedanken liest. Ein Computer, der eine Aufgabe binnen Minuten löst, für die selbst die größten Superrechner Jahrzehnte bräuchten. Das alles soll künftig dank der Quantentechnologie möglich werden. Sie hat das Zeug dazu, den Alltag umzuwälzen, da sind sich Experten einig. Das menschliche Vorstellungsvermögen gerät schnell an seine Grenzen, wenn es um Effekte aus der Quantenphysik geht (siehe Kasten). Und doch: Physiker können in ihren Labors einzelne Atome, Elektronen oder Lichtteilchen so präzise kontrollieren, dass darauf superschnelle Rechner, extrem präzise Sensoren und sichere Kommunikationswege aufgebaut werden können. Das ehrgeizigste Ziel ist der Quantencomputer. Er soll alles können, was ein normaler Rechner kann – nur sehr viel schneller. Seine Stärke erwächst aus dem „Qubit“. Heutige Computer nutzen als kleinste Recheneinheit das sogenannte Bit. Dieses kann jeweils nur den Wert 0 und 1 haben. Das Qubit hingegen nutzt die sogenannte Superposition und rechnet mit beiden Werten simultan. Mit jedem weiteren Qubit verdoppelt sich die Zahl der parallel verarbeitbaren Daten. Mit ein paar Hundert Qubits ist diese Zahl schon größer als die Anzahl der Atome im Universum. Dass die Wundermaschine wirklich fix rechnet, bewies Google im vergangenen Jahr. Sein Quantenchip löste eine Aufgabe in wenigen Minuten, für die ein Superrechner Jahrtausende gebraucht hätte – und das mit nur 53 Qubits.

„Wir brauchen noch einige Jahre, bis wir mit dieser Maschine einen Quantenvorteil erlangen können.“

Blick ins Innere Der Jülicher Physiker Markus Jerger bereitet die Verkabelung zur Messung des quantenmechanischen Zustands der Qubits vor. Bild: FZ Jülich/Ralf-Uwe Limbach

Einen praktischen Nutzen hatte die Rechenaufgabe zwar nicht, aber das soll sich ändern: Denkbare Einsatzgebiete für künftige Quantenrechner liegen zum Beispiel darin, optimale Lösungen in einem Heuhaufen an Möglichkeiten zu finden oder neue Algorithmen in der künstlichen Intelligenz zu ermöglichen, die viel schneller lernen. Am Forschungszentrum Jülich entsteht derzeit ein Computer im Rahmen des Projekts OpenSuperQ– der erste dieser Art in Europa. Das Besondere: Seine Architektur wird gänzlich offengelegt und zugänglich sein, sodass die gesamte Forschungsgemeinschaft an seiner Entwicklung teilhaben und den Rechner nutzen kann. Seine Entwicklung wird durch die europäische Mammutinitiative „Quantum-Flagship“ gefördert. Sie soll mit mehr als einer Milliarde Euro über zehn Jahre hinweg die Entwicklung von Produkten fördern, die auf den Regeln der exotischen Quantenwelt beruhen. Rund 5.000 Forscher aus Wissenschaft und Industrie sind an den ersten 20 ausgewählten Projekten beteiligt. Das Ziel: Europas Wissenschaftlern und Unternehmen beim internationalen Wettlauf rund um Quantentechnologien eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. „In der EU verfügen wir über eine hohe wissenschaftliche Exzellenz in der Quantentechnologie“, sagt Tommaso Calarco, der Mitinitiator des Flagship-Projekts. „Das Flaggschiff soll helfen, dass wir zusammen mit der Industrie dieses Potenzial in kommerzielle Produkte überführen. Sonst laufen wir Gefahr, dass Erkenntnisse, die in Europa initiiert worden sind, außerhalb des Kontinents zu marktreifen Anwendungen weiterentwickelt werden“, erklärt der Jülicher Physiker.

Ebenfalls maßgeblich an dem Flaggschiff beteiligt ist sein Kollege David DiVincenzo. „Wir testen gerade einen sehr einfachen Quantenchip mit zwei Qubits“, sagt der Direktor des Bereichs Theoretische Nanoelektronik des Peter Grünberg Instituts am FZ Jülich. Warum nur zwei Qubits, wenn der Google-Rechner schon bei 53 ist? Europa will sich die Technologie selbst erarbeiten und muss daher bei null anfangen, will aber schnell aufholen. Ein zusätzlicher Chip mit sieben Qubits soll bald eingebaut werden. Weitere werden folgen. „Wir brauchen noch einige Jahre, bis wir mit dieser Maschine einen Quantenvorteil erlangen können“, sagt David DiVincenzo. Mit „Quantenvorteil“ meint er erste nutzbringende Anwendungen – konkret: Mit rund 100 Qubits wollen die Forscher mit OpenSuperQ vor allem chemische Verbindungen und deren Reaktionen simulieren – und zwar rascher und genauer als jeder Supercomputer. Industrieunternehmen wie Merck oder BASF sondieren schon, wie sie mit Quantenrechnern schneller neue Wirkstoffe oder bessere Materialien, etwa mit höherer Festigkeit, entwickeln können. Die Qubits allerdings lassen sich nicht gut bändigen. Das Hauptproblem für die Wissenschaftler: Nach Sekundenbruchteilen verlieren Qubits ihre Fähigkeit, Werte simultan zu speichern. Denn Quanten sind sehr empfindlich und können leicht gestört werden, sodass die Superposition zusammenbricht und Rechenfehler passieren. Deswegen müssen die Qubits in großen Kühlapparaten so gut wie möglich von der Außenwelt abgeschirmt und stabilisiert werden. Doch das ist aufwendig und gelingt nur begrenzt. Wenn die Qubits stabiler wären, ließen sie sich zu Zehntausenden verknüpfen, so die Hoffnung der Forscher. Und das ist die Zahl von Qubits, die nach Expertenschätzung für einen „richtigen“, universell einsetzbaren Quantencomputer nötig sein wird.

„Man könnte sogar Gehirnströme genau genug messen, um Computer per Gedanken zu steuern.“

An dieser Stelle setzt Kristel Michielsen am Jülich Supercomputing Centre an. Der dortige Supercomputer simuliert Quantencomputer. „Wir ahmen eine ideale Maschine nach und vergleichen die Resultate mit der echten“, sagt die Physikerin. Die Jülicher Forscher simulierten auch Googles Quantenchip, um die Ergebnisse zu verifizieren und die Leistung des Quantencomputers zu bestimmen. Die Rechenspiele dienen nicht zuletzt der Forschung am Quantencomputer. „Wir können damit besser verstehen, was die Qubits tun“, sagt Kristel Michielsen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu stabileren Qubits. Ihre Hoffnung richten Forscher zudem auf neue Materialien für Qubits. Fast jedes Objekt, das den Regeln der Quantenphysik gehorcht, kommt infrage. Bewährt haben sich bereits Supraleiter, in denen Strom gleichzeitig in zwei Richtungen fließt (wie im Jülicher OpenSuperQ), und Ionen, die zwei Energieniveaus simultan einnehmen. In Zukunft können es aber auch unsichtbare, winzige Magnete sein, deren Nordpol simultan nach oben und unten zeigt, wie sie der Quantenforscher Wolfgang Wernsdorfer am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erforscht. Die Kerne von Atomen sind solche Magnete. „Durch die Elektronenhülle werden sie gut von der Umwelt abgeschirmt“, so Wolfgang Wernsdorfer. „Allerdings erzeugen diese Magnete sehr schwache Signale, die sich schwer auslesen lassen“, sagt der Physiker, der am KIT eine Humboldt-Professur innehat. Er entwickelt eine Art Verstärker dafür: Mit seinen Kollegen legt er das magnetische Qubit in ein tellerförmiges Molekül, in dem es einen messbaren Strom hervorruft. Sehr viele davon mit einem Verstärker zu versehen, sehen die Karlsruher Forscher als ihre Herausforderung. Der Vorteil solcher Qubits sei ihre Winzigkeit, sagt Wolfgang Wernsdorfer. Millionen davon ließen sich auf kleinstem Raum konzentrieren. 

Dass Qubits solche Mimosen sind, lässt sich auch nutzen: für besonders empfindliche, genaue und miniaturisierte Sensoren – ein weiteres Ziel der Quantentechnologie. Wegen ihrer geringen Größe können Atome an unzugänglichen Orten eingesetzt werden, selbst im Körperinneren. Dort könnten spezielle Sensoren, die auf der Quantentechnologie basieren, genutzt werden, um beispielsweise Tumore zu kartieren. Der große Vorteil: Alle Teilchen einer Art sind identisch und reagieren auf gleiche Reize gleich. Ein „Quantensensor“ spart daher die regelmäßige Eichung, die Natur justiert ihn. 

„Wir entwickeln einen gravimetrischen Quantensensor, der zehnmal genauer ist als die besten derzeit verfügbaren Sensoren.“

Arne Wickenbrock vom Helmholtz-Institut Mainz nutzt Stickstoffatome als Sensoren, die in einen Diamanten eingebettet sind. Das Atom verhält sich wie eine Kompassnadel, die auf winzige Magnetfelder reagiert. „Bezogen auf sein Volumen hat dieser Sensor die weltweit größte Empfindlichkeit“, sagt der Physiker. Die Hülle aus Diamant schirmt ihn gegen störende Umwelteinflüsse ab, sodass er auch im menschlichen Körper funktionieren würde. „Man könnte sogar Gehirnströme genau genug messen, um Computer per Gedanken zu steuern“, nennt Arne Wickenbrock eine weitere Vision. Und: Weil sich die Orientierung der atomaren Kompassnadel präzise bestimmen lässt, will sein Forscherteam damit millimetergenaue Navigationsgeräte ermöglichen. Sie könnten beispielsweise autonome Autos auch dann in der Spur halten, wenn der Kontakt zum Satelliten abreißt – im Tunnel etwa. Den Gipfel an Präzision erreichen Quantensensoren wohl bei der Messung der Schwerkraft.

Das in Hannover entwickelte transportable Quanten-Gravimeter QG1 hebt sich deutlich von klassischen Gravimetern durch höhere Langzeitstabilität und höhere Messgenauigkeit ab. Bild: Institut für Quantenoptik, Leibniz Universität Hannover

Atome als Gravitationssensoren sind empfindlich genug, um selbst aus dem All eine Veränderung des Grundwasserspiegels zu erkennen, davon sind Wissenschaftler überzeugt. Der Sensor arbeitet mit der Wellennatur, die Atome gemäß Quantenphysik haben. Die Wellenlänge der Teilchen ist 10.000-mal kleiner als die von Licht. Die Welle wirkt, grob gesagt, wie ein äußerst feiner Zollstock, mit dem sich die Länge des Weges bestimmen lässt, den ein Atom nimmt. Feinste Unterschiede in der Schwerkraft ändern die Weglänge, die frei fallende Atome in einer bestimmten Zeit zurücklegen. So lassen sich minimale Unterschiede in der Gravitation bestimmen.

„Wir entwickeln einen gravimetrischen Quantensensor, der zehnmal genauer ist als die besten derzeit verfügbaren Sensoren“, sagt Wolfgang Ertmer vom Institut für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Rein rechnerisch könnte man damit die Schwerkraft, die von einem menschlichen Körper ausgeht, noch in einem Kilometer Abstand messen. Diese Präzision biete faszinierende Möglichkeiten, so der Physiker, etwa die Untersuchung des Innern des Planeten Mars. Denn unterschiedliche Materialien unter der Planetenoberfläche wirken sich auf die örtliche Schwerkraft aus. Noch interessanter aber findet er die Chance, offene Rätsel der Physik zu lösen, etwa ob die Gesetze der Schwerkraft für äußerst kleine Massen noch gelten. Dieses Wissen könnte dabei helfen, eine Lücke zu schließen, die schon lange im physikalischen Weltbild klafft: Bislang gelang es nicht, Quantenphysik und Einsteins Theorie der Gravitation zu vereinen. Wenn zwei Modelle unter einen Hut kommen, ergeben sich oft ganz neue Einsichten. Somit könnte die Quantentechnologie nicht nur den Alltag verändern, sondern auch das Weltbild.

Was sind Quanten?

Quanten sind allgegenwärtig. Beim Lesen dieses Textes beispielsweise führen Lichtquanten (Photonen), die in Ihr Auge gelangen, dazu, dass Sie diesen Text wahrnehmen können. Die Bezeichnung Quanten wird allgemein für Elementarteilchen benutzt, also nicht mehr weiter teilbare Teilchen. Eines haben alle Quanten gemeinsam, daher auch ihr Name: Ihr Zustand ist quantisiert, das heißt, sie treten nur in bestimmten, fest definierten Größen und Energieniveaus auf. So bezeichnet beispielsweise der berühmte Quantensprung den Wechsel eines Quants von seinem vorherigen Zustand in den nächsthöheren oder -niedrigeren. Die Quantenphysik beschreibt das Verhalten dieser Teilchen. Dieses Gebiet ist dermaßen komplex, dass es nur fachlich vorgebildete Menschen durchdringen – vor allem deshalb, weil es dem Menschenverstand und den Erfahrungen komplett zuwiderläuft. So kann man Quanten weder eine genaue Position noch eine genaue Bewegungsrichtung zuordnen. Keine ihrer Eigenschaften ist exakt vorherberechenbar. Ein Elektron beispielsweise kann sich zugleich im und gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse drehen. Erst wenn man es misst, also beobachtet, nimmt es eine feste Position und konkrete Eigenschaften an – so als wüsste es, dass es beobachtet wird. Zum Verständnis hilft hier das berühmte Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“: Man stelle sich eine Katze in einer verschlossenen, blickdichten Kiste vor. In der Kiste befindet sich eine Mordapparatur, die rein zufällig vom Zerfall eines radioaktiven Atoms gesteuert wird. Wann ist also die Katze noch lebendig, wann tot? Diese Frage entscheidet sich erst, sobald ein Beobachter die Kiste öffnet. Bis dahin ist die Katze beides: tot und lebendig.

Nach der Quantenphysik kann sich ein Teilchen in unglaublich vielen unterschiedlichen Zuständen befinden. Das geht sogar so weit, dass es sich an zwei Orten gleichzeitig aufhalten kann. Das Phänomen nennt sich Superposition und ist zentral für die Quantentechnologie. So zum Beispiel beim Quantencomputer: Bei einem herkömmlichen Rechner können Bits genau einen von zwei möglichen Zuständen einnehmen: entweder 0 oder 1. Ein Quantencomputer kann sich gleichzeitig in beiden Zuständen befinden; er kann mit zwei Qubits also nicht nur zwei, sondern zwei mal zwei verschiedene Zustände haben. Bei 50 Qubits sind dies schon mehr als eine Billiarde Zustände. Dementsprechend viele Rechnungen können durchführt werden.  

Eine weitere Regel der Quantenphysik ist der Welle-Teilchen-Dualismus. Denn Quanten führen quasi ein Doppelleben: Mal verhalten sie sich wie Teilchen, mal wie eine Welle – je nach Art der Messung, die man an ihnen durchführt. Anschaulich wird dies mit diesem Experiment: Lässt man beispielsweise ein einzelnes Elektron auf eine Wand mit zwei Schlitzen zufliegen, sollte es sich nach der klassischen Physik entweder nur hinter dem linken oder nur hinter dem rechten Schlitz nachweisen lassen. Doch tatsächlich bildet sich ein Interferenzmuster, als wären Wellen auf die Schlitze getroffen, die sich durch Überlagerung schwächen oder verstärken, sodass sich das Interferenzmuster ergibt. Diese mysteriöse Eigenschaft von Quanten lässt sich ebenfalls für verschiedene Bereiche nutzbar machen: beispielsweise für präzise Navigationsgeräte, die ohne Satelliten auskommen.

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