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Weltklimagipfel

„Am 2-Grad-Ziel sollte niemand rütteln“

Weltklimagipfel in Lima. Bild: UNclimatechange (CC BY 2.0)

Am Ende des Klimagipfels in Lima steht ein Minimalkonsens mit vielen offenen Fragen. Umweltökonom Raimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erklärt im Interview, warum er den Gipfel dennoch nicht für gescheitert hält.

Der Gipfel sollte viele der Stolpersteine zu einem verbindlichen globalen Klimaabkommen aus dem Weg räumen. Das Abschlussdokument lässt viele Fragen offen. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es nun dennoch zu einer verbindlichen Einigung in Paris kommen wird?

Als Leiter der Abteilung „Ökonomie und Politik“ befasst sich Prof. Dr. Reimund Schwarze mit den ökonomischen Folgen des Klimawandels und Fragen der internationalen Klimapolitik. Bild: Tobias Hametner

Das Abschlussdokument erfüllt die hohen Erwartungen sicher nicht. Mit dem schwachen Abschluss jetzt muss der Prozess in 2015 noch mehr Fahrt aufnehmen. Ich hatte während des gesamten Auf und Ab in Lima allerdings nie den geringsten Zweifel, dass am Ende ein gemeinsames Kernpapier stehen würde. Es war im Vorfeld klar, dass viele offene Punkte in Lima gar nicht abschließend geklärt werden konnten. Ich persönlich rechne mit langen und zähen Verhandlungen im Vorfeld des Gipfels nächstes Jahr. Wichtig wird es sein, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren und auch die Wirtschaft mit einzubinden, so wie es Ban Ki Moon auf dem New Yorker Sondergipfel deutlich gemacht hat. So kann die Einigung in Paris gelingen.
Bis Ende März sollen alle Staaten ihre Klimaziele abgeben. Die Verpflichtungen sind freiwillig, wobei keiner hinter bereits gemachten Zusagen zurückbleiben darf. Glauben Sie, dass es Staaten geben wird, die über den Minimalbeitrag, den Sie leisten müssen, hinausgehen werden?
Ich glaube, dass es nur noch wenig Bewegungsspielraum hinsichtlich der Ziele für 2020 in den Industrieländern geben wird. Die Selbstverpflichtungen dürften nicht über das hinausgehen, was bislang schon auf dem Tisch liegt. Hoffnung macht, dass es einige Länder gibt, die sich zu einem Ende des fossilen Zeitalters bis 2050 bekannt haben.

Wenn keiner darüber hinausgehen würde, wäre das 2-Grad-Ziel dann überhaupt noch erreichbar?

Das 2-Grad-Ziel ist praktisch seit einigen Jahren kaum noch erreichbar. Es ist aber ein wichtiges Ziel, um uns eine langfristige Orientierung zu geben und uns auffordert, dass wir uns anstrengen, soweit wir eben können. Deshalb gibt es auch keinen Grund daran zu rütteln.

Ein wichtiges Ziel war es, China und Indien mit ins Boot zu holen. Ist das am Ende gelungen? 

China hat sich ja schon im Vorfeld, bei dem US-China Gipfel zu einer Umkehr bekannt. Indien hat sich in Lima  zu der Zusage durchgerungen bis 2030 den Wachstumspfad beim Verbrauch fossiler Energieträger zu verlassen. Ab 2030 soll die Kurve nach unten gehen. Damit überspringt Indien praktisch zehn Jahre Wirtschaftswachstum auf Basis fossiler Energieträger, die China durchlaufen hat. Der Preis für die Neupositionierung Indiens waren eine Vervielfachung der Entwicklungshilfe aus den USA. Neu Dehli ist heute schon die schmutzigste Stadt der Welt laut WHO, was sollte aus dieser Stadt werden, wenn Indien jetzt erst dem ursprünglichen Kohle-Irrweg der Chinesen nachfolgen würde.  
Gibt es einen Kompromiss in dem andauernden Streit zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern?

Nachhaltige Entwicklungshilfe ist die Kompromissformel. Hier gibt es noch die größte Annährungsmöglichkeit: Es muss aber noch viel geschehen, damit die Millenium-Ziele endlich erreicht werden. Das heißt vor allem: viel mehr Entwicklungshilfe. Die Mittel der Entwicklungshilfe dürfen dabei nicht gegen Mittel zum Klimaschutz ausgespielt werden, sondern müssen in 2015 gebündelt und zusammengeführt werden. Hier sind gigantische Schritte nötig 

In der ersten Woche kamen die Verhandlungen nicht recht vom Fleck. Was hat am Ende zu dem Kompromiss geführt?
Die Konferenz in Lima hatte von Anfang an nicht die große Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdient hätte; nur wenig Teilnehmende und wenig hochrangige Regierungsvertreter. Die notorischen Gegner einer internationalen Klimapolitik aus Saudi-Arabien und den Emiraten waren damit in einer Vorteilslage, die sich am Ende als Problem herausstellte. Auch die Schwächung der Reihen der „gleichgesinnten Entwicklungsländer“ (Like-Minded Developing Countries) durch den Austritt Indonesiens und die neuen Verantwortungsrollen für Indien und China im Pakt mit den USA haben zu emotionalen Verwerfungen geführt. Am Ende wird es eine Mischung aus diplomatischen Einfühlungsvermögen und  Druck sowie politischen Versprechen besonders der genannten Akteure gewesen sein, die diesen Knoten gelöst hat. Aber ich war nicht dabei als es geschah, kann also nur Vermutungen anstellen.

Bis zum Sommer 2015 soll ein vollständig ausgearbeiteter Text vorliegen, der dann in Paris verabschiedet wird. Wie geht es weiter?

Jetzt geht der Blick erst mal nach Genf zur Verkündigung der Pre-2020-Targets, also der nationalen Programme der Erreichung der 2020-Ziele der Industrieländer. Danach wird im März erneut Bilanz gezogen werden. Ob bis Sommer bereits ein Abkommensentwurf vorliegt, wage ich zu bezweifeln. Ich rechne eher mit Sondertreffen noch im Herbst vor dem Gipfel in Paris. 

Raimund Schwarze berichtet in einem Blog über Klimapolitik

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