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Energie

Alte Äpfel, künstliche Inseln und atmende Batterien

Bild: a7880ss/Fotolia (Grafiken), Stephanie Lochmüller (Collage)

Damit die Energieversorgung auch in Zukunft gesichert ist, sind gewaltige Energiespeicher nötig. Forscher setzen bei der Suche auch auf unkonventionelle Ideen

Die einen entwickeln nach dem Vorbild verrottender Äpfel eine neuartige Batterie, andere wollen künstliche Inseln vor Belgien anlegen oder riesige Betonkugeln in der Nordsee versenken. Bei diesen Plänen haben Wissenschaftler dasselbe Ziel: Sonne und Wind zu verlässlichen Energiequellen zu machen. Dafür werden Speicher benötigt, die in Spitzenzeiten den Strom aufnehmen, um die Phasen zu überbrücken, in denen Wind- und Sonnenkraftwerke schwächeln. Diese Speicher zu konzipieren, gilt unter Experten als eine der wichtigsten Herausforderungen der Energiewende.

Wie gewaltig die Dimensionen des Problems sind, zeigt sich am Beispiel der Offshore-Windparks, die vor den Küsten entstehen. Allein die deutschen Anlagen erzeugten 2014 bereits mehr als ein Gigawatt Strom, was etwa der Leistung eines Atomkraftwerks entspricht. Bei Sturm allerdings müssen die Windräder oft abgeschaltet werden, damit das Stromnetz nicht überlastet zusammenbricht. Dabei fände die Energie später problemlos Abnehmer. Um einen Speicher zu finden, mit dem sich solche Erzeugungsspitzen auffangen lassen, orientieren sich Wissenschaftler am Prinzip der Pumpspeicherwerke, die sich an Land bereits bewährt haben: Bei ihnen wird überschüssige Energie dazu genutzt, Wasser aus einem See in einen höher gelegenen Stausee zu pumpen. Wenn später Energie benötigt wird, lässt man das Wasser aus dem Stausee durch Turbinen wieder herauslaufen, die Strom erzeugen. Etwa 80 Prozent der aufgenommenen Energie werden so wieder an das Stromnetz zurückgegeben.

Stromerzeugung unter Wasser: Betonkugeln auf dem Meeresgrund könnten Windenergie speichern und wieder abgeben. Bild: HOCHTIEF

In zwei Varianten ließe sich dieses Prinzip auch in der Nordsee anwenden. Als Ersatz für den Stausee könnten hohle Betonkugeln dienen, die direkt unter den Windkraftanlagen am Meeresgrund platziert werden. Das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik arbeitet mit dem Bauunternehmen HOCHTIEF an diesem Projekt: Überschüssige Energie würde dazu genutzt, um die gewaltigen Betonkugeln mit ihrem Durchmesser von 30 Metern leer zu pumpen. Lässt man das Wasser durch Turbinen wieder einströmen, wird dabei Strom erzeugt. Ein Modellversuch mit drei Kugeln im Bodensee soll im Sommer 2016 abgeschlossen werden.

Die zweite Variante namens iLand sieht eine Art von künstlichem Atoll auf offenem Meer vor. In seiner Mitte befindet sich ein Becken, das mit Strom aus den Offshore-Parks leergepumpt und zur Rückgewinnung von Energie wieder geflutet wird, wobei das einströmende Wasser Turbinen antreibt. Dieses Projekt, von der belgischen Regierung angestoßen, wurde schließlich wegen der hohen Kosten doch nicht genehmigt. Auch Naturschützer stehen solch gigantischen Konzepten kritisch gegenüber: Für den Bau der Insel müssten ausgerechnet im sensiblen Wattenmeer tausende Kubikmeter Sand und Kies bewegt werden. Ähnlich groß wären die Dimensionen bei den Betonkugeln: Rund 200 Stück würden benötigt, um jene vier Gigawatt bereitzustellen, die Experten als Mindestreserve zur Sicherung der deutschen Stromversorgung sehen. Ein weiterer Haken bei solchen Anlagen ist der Energietransport: Der Strom muss vom Meer aus über das ganze Land verteilt werden, wobei die nötigen Trassen und ihre Kosten umstritten sind. Weitgehend dezentral lässt sich die Sonnenenergie erzeugen. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nimmt ein Eigenheim, das sich selbst mit Strom versorgt, bereits konkrete Gestalt an. Energy Smart Home Lab heißt das intelligente Haus. Darin werden die Lebensbereiche Wohnen (Smart Home), Verkehr (Elektromobilität) und Energie (Smart Grid) so kombiniert, dass erneuerbare Energiequellen bestmöglich genutzt werden – und dabei gleichzeitig der Wohnkomfort steigt. Die Bewohner geben zum Beispiel an, wann sie mit dem Elektroauto losfahren wollen oder wann die Wäsche gewaschen sein soll. Erzeugung, Speicherung und Verbrauch der Energie werden dafür aufeinander abgestimmt. Das Smart Home erzeugt seinen Strom über eine Photovoltaikanlage sowie ein Blockheizkraftwerk selbst. Als Pufferspeicher, der beispielsweise die Sonnenenergie aus der Mittagszeit für die Verbrauchsspitze am Abend speichert, dient unter anderem das Elektrofahrzeug. Weil es diese Funktion allerdings nicht allein erfüllen kann – schließlich ist die Akkukapazität bislang zu gering, und natürlich wird das Fahrzeug regelmäßig genutzt –, widmen sich die Helmholtz-Forscher am KIT in einem anderen Projekt der Speicherung in größerem Maßstab.

<b>Künstliche Insel </b>„Green Power Island“ ist ein dänisches Energiespeichermodell ähnlich dem belgischen iLand; die künstliche Insel soll als Pumpspeicherwerk dienen und mit der Stromabgabe den gesamten Verbrauch aller Haushalte in Kopenhagen decken. Bild: Green Power Island

Am Campus Nord in Karlsruhe erproben sie den größten Solarstrom-Speicherpark Deutschlands. „Dort arbeiten Solarzellen, Batterien und Wechselrichter zusammen, um Sonnenstrom zu speichern und jederzeit verfügbar zu machen“, sagt Olaf Wollersheim, Leiter des KIT-Projekts Competence E. Mit seinen Kollegen geht es ihm darum, das Zusammenspiel dieser Komponenten fein auszutarieren und so zu ermitteln, welche Kombination besonders netzverträglich und kostengünstig ist. „In der Forschungsanlage sind über 100 verschiedene Systemkonfigurationen aufgebaut“, sagt Wollersheim.

Für eine der großen Herausforderungen der Batterietechnik, die Senkung der Produktionskosten, haben die Wissenschaftler des KIT im Jahr 2014 einen Weltrekord aufgestellt: Dank ihrer Forschung kann ein wichtiger Bestandteil der Batterien – die sogenannte Elektrodenfolie mit absatzweiser Beschichtung – nun deutlich schneller hergestellt werden als früher. „Mit der neuen Technologie“, sagt Wollersheim, „verdreifacht sich die Produktion von Elektrodenfolie bei nahezu gleichbleibenden Investitionskosten.“Um Batterien zu optimieren, nutzen KITForscher auch die Nanotechnologie. Bislang sind Lithium-Ionen-Akkus am leistungsstärksten. Neue Modelle speichern dreimal so viel Energie pro Gewicht wie die ersten kommerziellen Versionen zu Beginn der 1990er Jahre. Doch auch andere Speichermaterialien werden getestet, unter anderem Calcium und Magnesium.

Eine enge Vernetzung von Forschungsprojekten, die inhaltlich nahe beieinander liegen, gehört zu den großen Vorteilen der Helmholtz-Zentren. So steht auch am Forschungszentrum Jülich Batterieforschung im Fokus: Dort entwickeln Wissenschaftler keramische Elektrolyte. Ein Elektrolyt übernimmt in Batterien und Akkus den internen Ionen-Transport zwischen der Anode und der Kathode und generiert zum Ladungsausgleich Ionen. „Gängige Batterien mit flüssigen Elektrolyten können auslaufen, überhitzen, abbrennen und dabei Gift freisetzen. Diese Probleme werden durch einen Feststoff entschärft“, erläutert Olivier Guillon, Direktor des Jülicher Instituts für Energie und Klimaforschung. Vor allem aber ermöglicht die Keramik eine hohe Leistungsdichte: Der Akku kann elektrische Energie besonders schnell zur Verfügung stellen, wie es beispielsweise zur Beschleunigung eines Elektroautos erforderlich ist.

<b>Energiespeicher auf Kalkbasis</b> In diesem Reaktor dient Branntkalk (Calciumoxid) der Energiespeicherung in Form von Wärme. Bild: DLR (CC-BY 3.0)

Darüber hinaus arbeiten die Forscher in Jülich an atmenden Batterien. Solche Metall-Luft- Akkus haben einen erheblichen Gewichtsvorteil, weil sie nicht auf Lithium beruhen, das zudem ein knapper Rohstoff ist. „Wir untersuchen Hochtemperatur- Eisen-Luft-Batterien, die mit Festoxidbrennstoffzellen gekoppelt sind. So kann Sauerstoff zu- und abgeführt werden“, sagt Guillon. „Metall-Luft-Akkus versprechen theoretisch eine sehr hohe Energiedichte, aber man muss das ganze System betrachten.“ Bislang befindet sich das Projekt, in dem verschiedene Bereiche des Forschungszentrums zusammenarbeiten, noch in der Grundlagenforschung. In der Praxis sind bei Batterien mehrere tausend Zyklen ohne Leistungsverlust gefordert. Das funktioniert noch nicht.

Eine Neuentwicklung, die auf die beiden Ulmer Forscher Stefano Passerini und Daniel Buchholz zurückgeht, hat schon tausend Ladezyklen absolviert. Das Projekt ihrer Forschungsgruppe zur Elektrochemie der Batterien am Helmholtz- Institut Ulm nahm während eines Spaziergangs seinen Anfang. „Wir sahen verrottende Äpfel auf einer Wiese und kamen auf die Idee, dass deren hoher Zuckeranteil Biomüll für den Einsatz in einer Batterie prädestiniert“, erinnert sich Buchholz. Mit seinen Kollegen entwickelte er im Labor aus dem alten Obst ein kohlenstoffbasiertes Material für die negative Elektrode einer Batterie. „Diese Entdeckung ist ein wichtiger Schritt, um beispielsweise biologische Abfälle nachhaltig zu nutzen“, betont der Wissenschaftler. Einer aktuellen Studie der Umweltstiftung WWF zufolge landen in Deutschland jedes Jahr rund 18,4 Millionen Tonnen Nahrung im Müll. Ein beträchtlicher Teil davon könnte künftig eine neue Form von Energie spenden.

Auf ungewöhnliche Stoffe greifen auch die Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zurück. Sie erforschen zum Beispiel Flüssigsalzspeicher in solarthermischen Kraftwerken. Überschüssige Energie wird dazu genutzt, Salz zu schmelzen. Wenn es beim Erkalten kristallisiert, gibt es die Energie wieder ab. „Speichertanks mit heißem, geschmolzenem Salz könnten dafür sorgen, dass die Kraftwerke auch ohne Licht weiterarbeiten, etwa nachts oder wenn der Himmel wolkenverhangen ist“, erklärt Thomas Bauer, der die DLR-Forschungsgruppe zu Thermischen Systemen für Flüssigkeiten leitet. In den Andasol-Kraftwerken in Spanien etwa werden 28.000 Tonnen Flüssigsalz eingesetzt, um ein Kraftwerk mit 50 Megawatt elektrischer Leistung für 7,5 Stunden nach Sonnenuntergang aus einem Wärmespeicher zu betreiben. Am DLR-Standort Köln wird derzeit die Flüssigsalz-Testanlage TESIS mit über 100 Tonnen Salz errichtet.

Roel van de Krol geht mit seinem Team am Institut für Solare Brennstoffe des Helmholtz- Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB) einen gänzlich anderen Weg: Durch künstliche Photosynthese macht der Materialwissenschaftler aus Sonnenenergie Wasserstoff. In den kommenden zwei Jahren wollen die Forscher ein praxistaugliches System entwickeln, das mehr als acht Prozent der Solarenergie, die auf eine Photovoltaikanlage strahlt, in Wasserstoff umwandelt. Bisher lag der Anteil unter sechs Prozent auf einer Fläche von nur 0,3 Quadratzentimetern. Am HZB soll die Fläche 50 Quadratzentimeter groß werden. „Das könnte den Durchbruch für die praktische Anwendung bedeuten“, sagt van de Krol. Der Wasserstoff kann in Hochdrucktanks gespeichert werden, bei Bedarf wird daraus über Brennstoffzellen Elektrizität erzeugt.

Die Nachfrage nach all den neuen Ideen und unkonventionellen Wegen in Sachen Energiespeicher ist in jedem Fall gewaltig: Die Bundesregierung hat vorgegeben, dass der Anteil erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2025 im Strombereich auf 40 bis 45 Prozent und bis zum Jahr 2035 auf bis zu 60 Prozent ausgebaut werden soll.

Energie als Wärme speichern

Große Hoffnungen setzen Forscher in den Bereich der Wärmeversorgung, denn deutlich mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie in Deutschland wird in Form von Wärme benötigt. „Daher sind innovative Ansätze für den Wärmebereich notwendig“, sagt Marc Linder, Fachgebietsleiter für Thermochemische Systeme am DLR. „Einer davon könnte die Speicherung in Kalk sein.“ Das Material ist günstig und kann sehr große Mengen an Wärme speichern, zu großen Teilen sogar verlustfrei.

Eine Testanlage betreiben die Forscher bereits; darin reagiert Calciumoxid, auch als Branntkalk bekannt, mit Wasserdampf unter starker Wärmeabgabe. Dabei entsteht Calciumhydroxid. Erhitzt man diesen gelöschten Kalk auf hohe Temperaturen, trennt sich das Wasser wieder ab. „Dieser Prozess der Wärmeabgabe und Wärmeaufnahme ist beliebig oft wiederholbar“, sagt Linder. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) arbeiten parallel an einer Technik, um die Sonnenwärme zu speichern. Dazu arbeiten sie unter anderem auf dem Gebiet der flachen Geothermie, das ist der Bereich bis 100 Meter unter der Erdoberfläche. In hiesigen Breiten liegt die Temperatur dort ganzjährig bei etwa 10 Grad Celsius. „Die Böden eignen sich zum Teil sehr gut, um dort Wärme oder auch Kälte zu speichern“, erklärt Thomas Nagel, Gruppenleiter am Department Umweltinformatik. „Wird ein Haus zum Beispiel im Sommer gekühlt, entzieht man ihm Wärme, die dann ins Erdreich geleitet wird.“ Die Temperatur des Bodens verändert sich entsprechend. Das kann verschiedene Effekte haben, die sich zudem gegenseitig beeinflussen: Strömungen im Grundwasser etwa oder auch chemische Prozesse. Die Forscher entwickeln ein Programm, das die Folgen an konkreten Orten im Vorfeld simuliert.

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