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Tagfalter-Monitoring

10 Jahre Schmetterlings-Überwachung

Foto: André Künzelmann

Überall in Deutschland beobachten Bürgerinnen und Bürger nach einem standardisierten Verfahren Schmetterlinge – sie zählen, kategorisieren und erhaschen Einblicke in ihre Lebensräume. Dieses Jahr feiert das Citizen-Science-Projekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ sein zehnjähriges Bestehen. Nun ziehen die Koordinatoren ein Fazit und werfen einen Blick in die Zukunft.

Die Welt der Schmetterlinge zieht viele Menschen in ihren Bann. Steffen Caspari ist einer von ihnen. Schon als Kind zog der heute 49-Jährige Geobotaniker mit einem Schmetterlings-Netz durch die Natur. Heute begleiten ihn die Insekten auch in seinem Job. Er arbeitet am Zentrum für Biodokumentation (ZfB) des Ministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz, wo er seit 2005 als Landeskoordinator für das Saarland das Projekt Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD) leitet.

Ziel dieser Initiative ist es, in ganz Deutschland tagaktive Falterarten, -zahlen und deren Lebensräume zu erfassen. Das Besondere: die Erhebungen werden nicht nur von studierten Biologen, Ökologen, Geographen und Zoologen durchgeführt. Stattdessen sind es Bürgerinnen und Bürger, die den Tagfalterbestand in einem oder mehreren ihnen zugeschriebenen Flächen, sogenannten Transekten, zählen. Bürgerwissenschaften, oder Citizen Science, wird diese Form der Mitarbeit an Forschungsprojekten genannt. Mit Keschern laufen sie dafür ihre selbst ausgewählten Grünstreifen ab. In der Mittagspause hinter dem Firmengelände oder nach Feierabend und am Wochenende im Wäldchen am Ortsrand.

Die wissenschaftliche Koordination des TMD liegt beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Von dort delegiert die Projektkoordinatorin Elisabeth Kühn deutschlandweit die über 600 Zähler und Landeskoordinatoren wie Caspari. Mit dem zehnjährigen Bestehen zieht sie und ihr Projekt-Team Bilanz und blickt zufrieden in die Vergangenheit und optimistisch Zukunft. „Die TMD Initiative ist mit der Absicht entstanden, die Bevölkerung an den Naturschutz heranzuführen“, sagt Kühn. Dass damals die Wahl auf tagaktive Schmetterlinge fiel, liegt ganz einfach daran, dass die Tagfalter sehr sensibel und spezifisch darauf reagieren, wenn in ihrem Lebensraum Veränderungen wie Luftverschmutzung oder Klimaänderungen auftreten. Die Wissenschaftler konnten zum Beispiel feststellen, dass die Zusammensetzung der Falterarten sich mit schwankenden Temperaturen verändert. Das heißt heimische Arten, denen es zu warm wird, suchen sich neue Lebensräume in milderen, nördlicheren Gebieten. Dafür wandern Arten aus dem Süden nach. „Die Dynamik erkennen wir schon, die genauen Zusammenhänge aber noch nicht“, so Kühn.

Für den Hauhechel-Bläuling (<i>Polyommatus icarus</i>), die mit Abstand häufigste Bläulingsart in Deutschland, lässt sich über die gesammelten TMD-Daten ein Rückgang der Bestandentwicklung statistisch belegen. Foto: Erk Dallmeyer

Neben der Sensibilität für Umweltveränderungen macht ihr Äußeres die Tagfalter zu idealen Kandidaten für das Projekt. „Laien können Schmetterlingsarten wegen ihres Aussehens mit etwas Übung relativ leicht unterscheiden. Man muss kein Expertenwissen haben, um TMD Zähler zu werden“, so Kühn. Das große Engagement der Bürger und den einhergehenden Erfolg des Projekts, erklärt sich das TMD-Team vor allem dadurch, „dass viele Menschen ganz einfach Freude daran haben, sich in der Natur mit einer emotional so positiv belegten Insektengruppe wie den Schmetterlingen zu beschäftigen.“ Seit Projektbeginn 2005 kamen so über 70.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden zusammen und Datenmengen, die die Wissenschaftler alleine nicht hätten sammeln können.

Caspari im Saarland aber auch Kühn und ihr TMD Team in Leipzig haben also allen Grund, dieses Jahr die zehnjährige Erfolgsgeschichte des Citizen Science Projekts zu feiern. Steckte das TMD 2005 noch in den Kinderschuhen, sei nun mit der ersten Dekade eine besondere Schwelle erreicht. „Die Datenreihen können wir jetzt in Statistiken und Modellierungen von zum Beispiel Klima- oder Temperaturveränderungen einfließen lassen“, sagt Kühn. Inzwischen werden die deutschen Ergebnisse mit den Zählungen 15 weiterer europäischer Länder in einer einzigen Datenbank gesammelt. Daraus lassen sich dann europaweit Indikatoren erstellen, die Erfolg und Misserfolg von Naturschutzkonzepten oder generelle Umwelt- und Klimaveränderungen aufzeigen können. In der Praxis können solche Indikatoren eine Orientierungshilfe für politische Debatten und Entscheidungen sein.

„Allerdings weist die Deutschlandkarte unserer Erhebungsgebiete noch einige regionale Lücken auf. Die Lücken wollen wir mit mehr Transekten und mehr Zählern füllen“, sagte Kühn. „Trotzdem gilt Klasse statt Masse - die Qualität und Betreuung der Zählungen soll schließlich gewährleistet bleiben.“ Für die nächsten Jahre wünscht sich Kühn daher, „dass wir es als Team schaffen, noch mehr Zähler und Landeskoordinatoren langfristig für das TMD Projekt begeistern zu können.“ Auch deshalb setzt das Team des TMD-Projektes schon seit einiger Zeit auf die Nachwuchsförderung der Citizen Scientists.
Für die 8 bis 16-jährigen Citizen Scientists wird jeden Sommer ein „Tagfalter-Monitoring Deutschland-Juniorcamp“ veranstaltet. Dort lernen die Kinder und Jugendlichen auf Exkursionen alles über Schmetterlinge und ihre Lebensräume. „Gerade für Kinder muss die Verbindung zur Natur gefördert werden. Als ich neun war, packte mich selbst die Leidenschaft um die Schmetterlinge“, sagt Steffen Caspari, „und auch mein Sohn und meine Tochter sind bereits begeistert dabei, seit sie elf und zwölf Jahre alt sind. Die positive Resonanz zeigt uns, wie viel Freude den Kindern das Camp bereitet. Nicht alle Zähler sind jedoch von vorn herein so begeistert von der Ökologie und Schönheit der Falter: „Viele müssen erst einmal herangeführt werden, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass aus engagierten Laien sehr schnell Experten werden können.“

Zur Feierlichkeit des zehnjährigen Bestehens fand im Rahmen des jährlichen Symposiums für Schmetterlingsschutz am UFZ in Leipzig ein Zählertreffen statt, zu dem alle Citizen Scientists eingeladen waren. Über 130 Fachleute und Freizeitzähler nahmen an den Vorträgen und Workshops teil. Caspari gefiel besonders, dass es den Veranstaltern gelang ein Programm auf die Beine zu stellen, dass Experten und Freizeitzählern gleichermaßen gerecht wurde. „Ich hatte den Eindruck, dass auch die Laien viel von den doch recht fachwissenschaftlichen Themen mitnehmen konnten.“ Auch Caspari und seinem Kollegenkreis von Botanikern, Geographen, Ökologen und Biologen brachte der Austausch mit den Bürgerwissenschaftlern und anderen Experten zahlreiche neue Einblicke. „Das Treffen und die Feierlichkeiten steigern natürlich noch einmal die Vorfreude auf die neuen Saison“, so Caspari. Nur durch die erfolgreiche Zusammenarbeit von Citizen Scientists und Wissenschaftlern kann ein so komplexes, europaweites Projekt wie das TMD seiner Alltags- und Zukunftsrelevanz gerecht werden. Zählertreffen und der rege Austausch würden gerade den künftigen Möglichkeiten im Bereich der Datenverwendung helfen, so Caspari, denn das Projekt soll auch künftig, trotz oder gerade wegen der starken Veränderungen, die auf Mensch, Umwelt und Falter zukommen, so erfolgreich wie bisher fortgeführt und ausgebaut werden.

Zur UFZ-Pressmitteilung 10 Jahre Tagfalter-Monitoring Deutschland

Zum Artikel der Frankfurter Allgemeinen Ein Elite-Basis-Konflikt

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