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Interview

"Und dann ist es wirklich schön, die Milchstraße zu sehen"

Fliegen zusammen zur ISS: Serena Auñón-Chancellor, Sergei Prokopjew und Alexander Gerst (v.l.n.r.). Bild: Roland Koch

Anfang Juni wird Alexander Gerst zum zweiten Mal zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Diesmal als Commander der Mission Horizons. Wir haben den Astronauten beim Training getroffen – im Sternenstädtchen bei Moskau.

Herr Gerst, Sie haben heute Morgen schon eine Trainingseinheit in der Sojus-Kapsel absolviert. Was haben Sie erlebt?

Heute Morgen haben wir trainiert, wie man von der Raumstation abdockt und dann eine normale Landung durchführt. Da werfen einem die Instruktoren hier im Training natürlich viele Steine in den Weg. Heute wurden zwölf verschiedene Pannen simuliert. Einige davon wären im Ernstfall auch kritisch gewesen. Wir hatten zum Beispiel einen Triebwerksausfall, ein Leck an Bord, wir hatten auch kleinere Sachen, wie ein Funkgerät, das kaputtgegangen ist. Wir haben es trotzdem geschafft zu landen. Eine Feuersimulation hatten wir heute nicht, insofern war das Training noch recht human, trotz der zwölf Ausfälle. Aber es gibt immer mal wieder auch Tage, wo man aus dem Training rauskommt, und man ist schweißnass. Vor allem dann, wenn die Ventilation für den Raumanzug ausfällt, dann sitzt man drei Stunden lang kurz vor dem Überhitzen und verliert dabei zwei Liter Wasser.

Alexander Gerst trainiert zurzeit im Sternenstädtchen bei Moskau. Bild: Sebastian Bolesch

Die Pannenbewältigung ist derzeit also der Schwerpunkt Ihres Trainings?

Mittlerweile geht es nicht mehr darum, dass wir Sachen neu lernen, sondern dass wir alles nochmal eintrainieren und die Kommunikation einstimmen, dass man lernt wie der andere kommuniziert. Wir haben viele Notfalltrainings zusammen gehabt, nicht nur in der Sojus, sondern auch an Bord der Raumstation. Darüber hinaus nehmen jetzt die wissenschaftlichen Versuche Form an. Das heißt, wir fangen jetzt wirklich an, die konkreten Versuche zu trainieren, die wir dann an Bord durchführen. Dabei sind wir auch selbst Versuchskaninchen. Wir werden beispielsweise regelmäßig im Kernspintomographen untersucht oder wir geben Blut ab. Das passiert gerade in den letzten Wochen und Monaten vor dem Flug.

Alexander Gerst in der Sojus-Kapsel. Bild: Sebastian Bolesch

Was steht für Sie wissenschaftlich noch auf dem Programm?

Wir werden auch diesmal wieder zahlreiche Experimente durchführen. Aus dem Bereich der Materialwissenschaft zum Beispiel. In einem erforschen wir Granulate für industrielle Prozesse. Wir wollen besser verstehen, wie sich Granulate physikalisch verhalten. Das ist wichtig zum Beispiel für die Pharmazie oder für die Bauwissenschaft. Man muss wissen, wie sich Zement vermischt oder Sand oder wie man Medikamente so abfüllt, dass sie immer genau die gleichen Inhaltsstoffe haben. Dafür muss man grundlegende physikalische Gegebenheiten erforschen, und das können wir in diesem Fall auf der Raumstation machen. Dann haben wir Experimente zum Kristallwachstum oder zur Erforschung von Legierungen. Wir haben auch einige Experimente zur Immunphysiologie dabei, in denen es darum geht, dass wir das menschliche Immunsystem und Krebserkrankungen besser verstehen. Im Weltraum lassen sich Flüssigkeiten gut nachbauen, die unserem Blut ähneln. So können wir zum Beispiel Krebs oder Immunzellen in einem flüssigen Substrat beobachten, das schwebt, ohne dass es sich nach einer gewissen Zeit absetzt. Bei unserer letzten Mission haben wir auch zufällig interessante Entdeckungen gemacht. Wir haben bei einem Flammenversuch nebenbei einen Verbrennungsmodus einer Flamme gefunden, der vielleicht jetzt für die Autoindustrie interessant ist als Vorbrennstufe, um Motoren sauberer zu machen. Daran sieht man, dass man oft auch Dinge entdeckt, die gar nicht geplant sind. Raumfahrt ist für uns in Deutschland als Hochtechnologieland eine Investition in unsere Zukunft.

Sie waren bereits im Jahr 2014 auf der ISS mit der Mission Blue Dot. Was wird auf dieser zweiten Mission für Sie anders sein?

Ich kann jetzt besser einschätzen, was wichtig ist und was nicht. Die Kunst des Astronautendaseins ist ja, dass man unnütze Informationen von nützlichen trennt und filtert. Das ist für mich vor allem wichtig, weil ich jetzt als Commander freie Kapazitäten brauche. Vorher war mir auch nicht so klar, wieviel Arbeit das tatsächlich schon im Vorfeld des Fluges sein wird. Mit der Crew muss vieles koordiniert werden. Jeder muss zum Beispiel genau das Training bekommen, das er oder sie braucht. Man muss auch schauen, dass sich alle von der Crew und von der Bodenstation gut kennen. Wenn man später ein Problem im Orbit hat, dann ist es extrem wichtig, dass nicht irgendwo jemand anruft, den man noch nie gesehen hat. Ein Problem ist viel einfacher zu lösen, wenn man sich kennt. All das ist eine wirklich tolle Aufgabe. Mir macht es riesig Spaß, weil es etwas ist, wo ich merke, da kann ich mit meiner Erfahrung doch einen Unterschied machen. Ich kann den Kollegen, die noch nicht geflogen sind, hier vielleicht eine Angst oder da eine Sorge nehmen. Und es macht Spaß, wenn man sieht, dass die Crew zusammenwächst, in ihrer Kapazität als Mannschaft wächst. Am Anfang muss man sehr viel kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Man sagt genau, was man macht. Und dann nach einer Weile geht das fast ohne Worte. Es reicht schon ein Nicken oder ein Daumen hoch, und man weiß ganz genau, was der andere meint.

Zwischen den Trainingseinheiten nutzt Alexander Gerst gerne das Mountainbike auf dem Gelände. Bild: Sebastian Bolesch

Und was sind Ihre weiteren Aufgaben als Commander?

Ebenso wie im Training geht es im Orbit um Koordination und Logistik, dass man aufpasst, dass die Crew alles hat, was sie braucht, dass es allen gut geht, dass alle ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen können. Als Commander ist man darüber hinaus auch ein bisschen Bindeglied zwischen der Bodenkontrolle und der Mannschaft an Bord. Und wenn irgendwo was schiefgeht, dann muss man Entscheidungen treffen. Im Extremfall gibt es auch keine Kommunikation mit der Bodenkontrolle. Das heißt, es ist wichtig, dass man als Commander immer weiß, was der Status seines Raumschiffs ist, dass ich genau weiß, welche Systeme laufen gerade, welche nicht, wo könnte es ein Problem geben. Ich muss wissen, welche Vehikel gerade wo angedockt sind, wie viel Wasser, wie viel Sauerstoff wir an Bord haben und vieles mehr. Letztendlich ist es extrem wichtig, dass einer an Bord den Gesamtüberblick behält.

Raumfahrtandenken im Souvenirshop des Sternenstädtchens. Bild: Sebastian Bolesch

Und für gute Stimmung sorgt? Sie sind auf der ISS rund um die Uhr mit der Crew zusammen. Geht man sich da auch manchmal auf die Nerven?

Bei meinem letzten Flug gab es wirklich keine Situation, wo wir uns irgendwie richtig angenervt hätten. Das liegt daran, dass wir als Kollegen nicht einfach nur zusammengewürfelt werden. Wir trainieren so lange in den krassesten Situationen, beim Winter Survivaltraining, bei -30 Grad etwa, wo man ohne Schlafsack, ohne Zelt nachts draußen im Schnee sitzt. Da kommen diese Sachen vorher raus. Man lernt sich kennen und weiß, wo der andere vielleicht ein bisschen was für sich braucht. Und dann kommt noch das große Volumen der Raumstation dazu. Die ist ja fast so groß wie eine Boeing 747 – und man ist zu sechst da. Das heißt, es passiert tatsächlich öfter mal, dass man einen halben oder ganzen Tag in irgendeinem Modul arbeitet und fast niemanden sieht. Und da haben wir uns immer wieder auch mal so auf einen Kaffee getroffen, einfach nur, um mal wieder mit den Kollegen zu reden. Relativ wenige Aufgaben macht man zu zweit, und dadurch ist es wirklich schön, wenn man sich sieht.

Sie kommen aus unterschiedlichen Nationen. In welcher Sprache kommunizieren Sie?

Russisch ist die offizielle Sprache in der Sojus-Kapsel. Im Notfall können wir aber immer auf Englisch wechseln. Auf der Raumstation geht das dann fließend hin und her. Mit Sergei Prokopjew ist es oft so, dass er auf Englisch antwortet und ich auf Russisch. Wir nennen das dann Runglisch.

In einer der Trainingshallen: Zwei Sojus-Kapseln. Bild: Sebastian Bolesch

Was machen Sie, wenn einer von Ihnen da oben krank wird?

Ich habe diesmal mit Serena Auñón-Chancellor eine Ärztin dabei. Das ist natürlich ein Bonus. Aber wir alle haben eine CMO-Ausbildung, eine Ausbildung zum Crew Medical Officer. Das heißt, ich kann Basisbehandlungen selbst durchführen. Das ist aber recht begrenzt. Ich könnte zwar einen Zahn ziehen, eine Wunde nähen, Blut abnehmen, aber zu einer Blinddarmoperation würde es nicht reichen. Für den Rest hat man Hilfe vom Boden. Wir haben jederzeit in der Bodenkontrolle einen Flight Surgeon, einen Fliegerarzt, der bereit ist, mir zur Hand zu gehen, und der mir sagen könnte, hier schneiden, hier nähen, hier eine Spritze. Wenn was wirklich Schlimmes passiert, ja, dann muss man nach Hause fliegen. Wir haben immer die Kapsel, mit der wir gestartet sind. Die ist immer startklar für einen Heimflug. Innerhalb von wenigen Stunden wären wir auf der Erde.

Sie haben diesmal auch einen Assistenten dabei. Was werden seine Aufgaben sein?

Sie meinen Cimon, unser künstlich-intelligentes Assistenzsystem. Ja, ich bin mal gespannt wie er sich verhält. Das ist ein Testbetrieb, also man darf sich das jetzt noch nicht so vorstellen, als ob er mir Kaffee bringt und Werkzeuge. So weit ist er leider nicht. Aber das ist das Schöne daran, wenn man Technologien entwickelt, wir wollen herausfinden, wie man so ein Ding bauen muss, dass es einem wirklich was hilft. Letztendlich wird es vielleicht meinen Kollegen zu Gute kommen, die irgendwann mal zum Mars fliegen. Es gibt viele wichtige Anwendungen, wenn man zum Beispiel eine Reparatur hat an Bord. Auf dem Weg zum Mars kann solch ein Roboter Gold wert sein. Eine Raumstation wie die ISS oder ein Raumschiff ist immer ein human-robotisches System. Wir sind zu neunzig Prozent robotisch und zu zehn Prozent human. Das ist eine Synergie, mit der wir das beste Resultat erreichen können. Wenn wir nur robotisch fliegen würden, dann würden die menschliche Intuition und das schnelle Reagieren auf unbekannte Situationen fehlen. Und nur alleine als Mensch, ja, da könnten wir noch nicht mal starten. Die Entwicklung wird aber noch weiter hin zu autonomeren robotischen Systemen gehen. Auf den Flügen zum Mars, wo wir uns noch mehr auf die Roboter verlassen können müssen, werden sie uns viel Arbeit abnehmen. So können wir mehr von unseren Vorteilen ausspielen, die wir als Menschen haben, wie das schnelle Reagieren, die Intuition.

Was nehmen Sie in Ihrem persönlichen Gepäck mit?

Beim letzten Mal habe ich mir wahnsinnig Gedanken darüber gemacht. Diese anderthalb Kilo, ich habe da sehr viel Signifikanz reininterpretiert, weil ich gedacht habe, es wird bestimmt Momente geben, wo ich da oben sitze und Heimweh habe. Aber ehrlich gesagt, ich habe gemerkt, ich brauche da oben überhaupt nichts. Alles, was man logistisch braucht, also Essen, Klamotten und so weiter, hat man. Ich denke, was mir wichtig war und ist, sind Fotos von Freunden, von meiner Familie, vielleicht ein paar Andenken, die ich in meiner Kabine aufhängen kann. Zudem sind die Kommunikationsmöglichkeiten da oben sehr gut. Ich kann meine Familie jeden Tag auf dem Handy anrufen.

Wenn die Ventilation für den Raumanzug ausfällt, gerät man ins Schwitzen. Bild: Sebastian Bolesch

Haben Sie Lieblingsplätze auf der ISS?

Ein toller Platz ist die Cupola – die Kuppel der ISS. Ich habe es aber auch immer genossen, mich mal in irgendeine Ecke zu verziehen, in der ich sonst fast nie bin. Es gibt ja Module, wie die russischen Wissenschaftsmodule, da kommt man als auf unserer Seite arbeitender Astronaut relativ selten hin. Wir können da überall hinfliegen. Manchmal habe ich mich auch in meine Sojus reingesetzt, einfach mal auf den Sessel gesetzt und zum Fenster rausgeschaut. Und dann gibt es in den ganzen Modulen auch Fenster, die zwar relativ klein sind im Vergleich zur Cupola, die einem aber einen besonderen Blickwinkel auf die Raumstation ermöglichen. Oder manchmal auch nach oben raus, was man relativ selten sieht. Die meisten Fenster in so einer Raumstation gehen nach unten raus, also zur Erde hin. Die Raumstation wird immer so ausgerichtet, dass die Erde unten ist. Und dann ist es wirklich schön, auch mal oben rauszuschauen und plötzlich die Milchstraße zu sehen.

Trainings-Raumanzug der russischen Kosmonauten. Bild: Sebastian Bolesch

Sie sind jetzt Commander auf der ISS, davon träumen sicherlich viele Menschen. Wovon träumen Sie noch?

An Träumen hat es mir noch nie gemangelt. Nur dadurch, dass ich jetzt einen Teil meiner Träume realisieren konnte, sind die anderen nicht weniger geworden. Also ich finde es nach wie vor total spannend zu reisen, mir wieder mal ein paar Vulkane anzuschauen, vielleicht noch mal in die Antarktis zu gehen. Ich freue mich darauf, mit meiner Partnerin durch den Himalaja zu wandern. Das sind alles Dinge, von denen ich träume. Zur ISS zu kommen ist wunderschön, aber natürlich träumt jeder von meinen Kollegen, und ich eben auch, weiter rauszufliegen, zum Mond und weiter zum Mars, auf diese Abenteuer zu gehen, die Geheimnisse zu lüften, die da draußen auf uns Menschen warten. Mehr zu verstehen über unsere kosmischen Nachbarn, könnte für unsere Erde extrem wichtig sein. Dazu würde ich gern einen Teil beitragen, weil ich gerne Licht ins Dunkel trage. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ich Wissenschaftler geworden bin, ich wollte nicht nur Sachen für mich selber rausfinden, sondern ich hatte dann immer erst die Befriedigung, wenn ich das auch aufgeschrieben und geteilt hatte.


Alexander Gerst

  • wurde am 3. Mai 1976 in Künzelsau (Baden-Württemberg) geboren
  • studierte in Karlsruhe und Neuseeland Geophysik und erforschte Vulkane auf der ganzen Welt
  • setzte sich gegen mehr als 8.000 Bewerber durch und begann 2009 seine Ausbildung als Astronaut
  • er arbeitete 2014 ein halbes Jahr lang auf der ISS

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