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SARS-CoV-2

Wie kam das Coronavirus zum Menschen?

Durch den Schutz von Ökosystemen und den Erhalt der Biodiversität könnten wir das Risiko vermindern, dass sich Krankheiten ausbreiten. Bild: pixabay / The Digital Artist; silviarita

Fledermäuse oder Schuppentiere haben das neuartige Coronavirus wahrscheinlich zum Menschen gebracht. Was lernen wir daraus, um künftige Pandemien zu verhindern? Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung erklärt, warum Naturschutz auch Seuchenschutz ist.

Rund 70 Prozent der menschlichen Infektionserreger wie Ebola, Influenza oder das Schwere Akute Respitatorische Syndrom (SARS) sind von einem Tier auf den Menschen übergesprungen. Zu wissen, woher ein Erreger stammt, kann helfen, künftigen Pandemien vorzubeugen. Auf der Suche nach dem Ursprung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sind Biologen deshalb gefragte Experten.

Einer von ihnen ist Josef Settele, Agrarökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Co-Vorsitzender des globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrats (IPBES). Er wies bereits im Jahr 2011 auf den Zusammenhang zwischen Biodiversität und dem Auftreten von Pandemien und Epidemien hin: Verlieren Tiere ihre natürliche Umgebung – etwa durch Eingriffe in die Landnutzung –, müssen sie ihren Lebensraum mit den Menschen teilen. Durch den engeren Kontakt mit Wirtstieren, die Viren in sich tragen, steigt das Risiko, dass ein Virus auf den Menschen überspringt. Settele schrieb damals mit seinem Kollegen Volker Hammen in einer Studie: „Insekten, Fledermäuse, Vögel, Flughunde und Schweine sind bei neu auftretenden Krankheiten oft beteiligt. Das Zusammenwirken von pathogenen Bakterien, Viren, Parasiten und ihrer Wirte sowohl innerhalb des Ökosystems als auch zwischen Ökosystem und Menschen könnte Auslöser für einen Ausbruch größerer Krankheiten oder einer Pandemie sein.“

Josef Settele ist Agrarökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Co-Vorsitzender des globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrats (IPBES). Bild: UFZ / Sebastian Wiedling

Fledermäuse oder Schuppentiere kommen als Wirte des Coronavirus infrage

Im Falle des aktuellen Ausbruchs von Sars-CoV-2 gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass es entweder von Fledermäusen oder vom Chinesischen Schuppentier stammt, bevor es von Mensch zu Mensch weitergegeben wurde. Es gibt zwei Hypothesen, wie das Virus auf den Menschen übergesprungen ist. „Eine Möglichkeit ist, dass das Virus durch natürliche Selektion in einem tierischen Wirt entstanden ist, also bevor die Übertragung von Tier auf Mensch stattfand“, sagt Settele. Dabei bildeten höchstwahrscheinlich Fledermäuse das natürliche Reservoir von SARS-​CoV-2, da es dem Coronavirus der Fledermäuse am ähnlichsten ist. Forscher haben bei Fledermäusen und den ihnen verwandten Flughunden rund 3.200 unterschiedliche Coronaviren identifiziert. Das Virus kommt in den Tieren vor, macht sie aber nicht krank. Da es bislang keine dokumentierten Fälle einer direkten Übertragung von Fledermäusen auf Menschen gebe, sei jedoch davon auszugehen, dass ein Zwischenwirt eine Rolle spiele.

Eine andere Hypothese ist, dass die natürliche Selektion im Menschen erst nach dem Transfer auf den Menschen stattfand. In dem Fall spiele das Schuppentier eine zentrale Rolle bei der Übertragung. „Ein Coronavirus eines Schuppentiers könnte also auf Menschen übertragen worden sein, entweder direkt oder durch Zwischenwirte wie etwa Zibetkatzen oder Frettchen“, erklärt Settele. Bisher lasse sich noch nicht sagen, welche dieser Varianten sich tatsächlich abgespielt habe.

Ökosysteme stärken, natürliche Lebensräume schützen

Doch wie lässt sich die Wahrscheinlichkeit für eine Übertragung von Viren auf den Menschen in Zukunft vermindern? Artenschützer fordern schon lange, große Wildtiermärkte in Asien wie den Markt in Wuhan – der chinesischen Behörden zufolge als Ursprung der Coronavirus-Pandemie gilt – zu schließen. Josef Settele plädiert zudem dafür, Ökosysteme zu stärken und der Natur wieder mehr Raum zu geben. „Große Änderungen in der Landnutzung führen zum Verlust von Lebensräumen, was zu höheren Populationsdichten einiger Arten und damit zu mehr Kontakten zu Menschen führt“, sagt er. Die Arten, die überlebten, änderten ihr Verhalten und teilten sich immer häufiger Lebensräume mit dem Menschen. Dadurch sinken die Barrieren zwischen Menschen und Wirtstieren. Folglich steige das Risiko, dass Tiere Krankheiten auf Menschen übertragen können.

Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Gelangt der Mensch in bisher unberührte Naturgebiete, ist er dafür offensichtlich nicht gewappnet. „Wenn Menschen in neue Gebiete eindringen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie mit Arten konfrontiert werden, die ihnen neu sind und gegen die deshalb bisher keine Immunabwehr besteht“, sagt Joachim Spangenberg, langjähriger Mitarbeiter des UFZ und Mitglied des Wissenschaftskomitees der Europäischen Umweltagentur (EUA). Es besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen der Naturzerstörung und der Entstehung von Pandemien: Je mehr Ökosysteme zerstört werden, desto wahrscheinlicher ist der Ausbruch einer Pandemie.

Die sinkende Biodiversität, der enge Kontakt des Menschen zu Tieren und das Eindringen des Menschen in die Natur erhöhen demnach das Risiko von Krankheitsausbrüchen – doch was davon ist am schlimmsten? „Es ist derzeit noch nicht möglich zu sagen, welcher der genannten Prozesse der wichtigste ist, aber das erscheint mir auch nicht entscheidend. Es ist deren Kombination, die dazu beiträgt, dass die Menschheit geradezu die Bedingungen dafür schafft, dass sich Krankheiten ausbreiten“, fasst Settele zusammen. Viele Fachleute habe der Ausbruch von SARS-CoV-2 daher nicht besonders überrascht.

Der Einfluss des Menschen und die Rolle des Klimawandels

Welche Auswirkungen der Eingriff des Menschen in natürliche Ökosysteme auf die Verbreitung von Viren haben kann, hat der World Wide Fund for Nature WWF in dem neuen Bericht „The Loss of Nature and Rise of Pandemics“ zusammengefasst. Die Naturschutzorganisation verweist darin zum Beispiel auf eine Studie brasilianischer Wissenschaftler, wonach in Brasilien die Abholzung eines Waldes mit einer 50-prozentigen Verdopplung von Malaria-Erkrankungen einherging. Aus Afrika berichtete ein Forscherteam, dass sich durch den Bau von Staudämmen die Population wandernder Süßwassershrimps drastisch reduziert habe. Die Folge: Die Beutetiere der Shrimps, bestimmte Schneckenarten, vermehrten sich. Da diese Schnecken Zwischenwirt des Bilharziose-Erregers sind, nahm die Zahl der erkrankten Menschen zu.

Hinzu kommt als weiterer Faktor der Klimawandel. Durch die Erderwärmung gelingt es Arten wie der asiatischen Tigermücke, in Europa heimisch zu werden. Laut des Friedrich-Loeffler-Instituts – dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit – kann diese Mücke mehr als 20 Krankheitserreger übertragen, darunter das Gelbfieber- und das Zikavirus. „Der Klimawandel macht es Arten, die bisher hier nicht anzutreffen sind, möglich, sich in Deutschland niederzulassen“, bestätigt Josef Settele.

Was also ist zu tun? „Der Erhalt intakter Ökosysteme und ihrer typischen Biodiversität kann das Auftreten infektiöser Krankheiten generell reduzieren“, bringt es Josef Settele auf den Punkt. Diese Botschaft findet auch bei Bundesumweltministerin Svenja Schulze Gehör. „Die Wissenschaft sagt uns: Je mehr der Mensch die Natur zerstört, desto größer ist das Risiko, dass ein Virus überspringt und desto größer ist das Risiko eines Krankheitsausbruchs bis hin zu einer Pandemie“, betont sie in einer Mitteilung ihres Ministeriums. Dies unterstreiche die Bedeutung des Naturschutzes für die menschliche Gesundheit. Der konsequente Schutz der natürlichen Vielfalt wird somit auch zum Seuchenschutz.

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