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Digitale Demenz

Lassen Smartphones & Co unser Gedächtnis schrumpfen?

Smartphone; Handy; Digitalisierung; Digitale Demenz

Foto: Lupo / pixelio.de

Mit dem Smartphone in der Tasche sind Telefonnummern, Wegbeschreibungen oder Wikipedia ständig verfügbar. Können wir uns deswegen weniger merken als früher, oder nutzen wir unsere grauen Zellen für andere Tätigkeiten?

Wie viele Telefonnummern kennen Sie auswendig? Vermutlich nicht viele. Dank der digitalen Alleskönner, die heute fast jeder in seiner Hosentasche herumträgt, ist das auch nicht mehr erforderlich. Ob das nun gut oder schlecht ist für unsere geistige Leistungsfähigkeit, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die einen sprechen von digitaler Demenz und meinen damit, dass unsere Fähigkeit sich etwas zu merken, immer schlechter wird. Grund dafür sei, dass wir uns auf digitale Gedächtnisse in Form von Laptops, Smartphones und Co. verlassen und unser Gehirn nicht mehr trainieren. Die anderen meinen, dass wir unser Gedächtnis entlasten, indem wir Faktenwissen in digitale Medien auslagern und so mehr Speicherkapazität schaffen für die Dinge, die wirklich wichtig sind.

Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) findet den Ausdruck ‚digitale Demenz’ unpassend. „Der Umgang mit digitalen Medien kann keinerlei Form von Demenz hervorrufen“, sagt der Gedächtnisforscher Düzel. „Es ist vielmehr so, dass wir dadurch, dass wir heutzutage Informationen schnell und unkompliziert abrufen können, schlicht weniger motiviert sind und keine Notwendigkeit sehen, uns diese selbst einzuprägen.“ Dass sich unser Gedächtnis durch die Nutzung digitaler Medien verschlechtert, dem ist laut einer Studie zweier amerikanischen Forscher aber nicht so – im Gegenteil: Die Wissenschaftler Ben Storm und Sean Stone von der University of California fanden heraus, dass das digitale Abspeichern von Informationen das Lernen neuer Informationen erleichtert. Studienteilnehmer sollten sich zwei Listen mit Wörtern einprägen. Dafür lasen sie zunächst Liste A, dann Liste B. Abgefragt wurde zuerst Liste B, dann Liste A. Wurde es den Teilnehmern nach dem Lesen von Liste A gestattet, diese digital abzuspeichern und nach Abfragen der Liste B die gespeicherte Liste A noch einmal anzuschauen, verbesserte sich das Abfrageergebnis nicht nur für die zweimal gelesenen Liste A, sondern auch für die Liste B. Die Wissenschaftler schlossen daraus, dass sich unsere Merkfähigkeit durch die Nutzung digitaler Medien sogar steigern lässt.

„Es ist durchaus vorteilhaft, wenn wir gewisse Dinge digitalen Speichern überlassen und damit Ressourcen in unserem Kopf freimachen“, sagt auch Simon Hanslmayr, Psychologe und Gedächtnisforscher der University of Birmingham. „Im Prinzip kann man sich unser Gedächtnis vorstellen wie eine mentale Tafel, auf die ständig etwas draufgeschrieben wird. Können oder wollen wir Informationen vergessen, weil sie irrelevant sind, oder wir sie woanders gespeichert haben, beispielsweise auf einem Computer, können wir Teile von der Tafel wegwischen und schaffen Platz für Neues“, erklärt Hanslmayr. Darüber hinaus sorgt unser Gehirn mit einer Art Selbstreinigungsmechanismus auch für ein gesundes Vergessen: So können emotional belastende Ereignisse einfach gelöscht werden. Dieses Phänomen wird willentliches Vergessen genannt. „Allerdings kann das mehr oder weniger gut funktionieren, weshalb Menschen auch unterschiedlich auf traumatische Erlebnisse reagieren“, so Hanslmayr.

Dass wir uns nicht alles merken, ist somit völlig normal und kein Problem des Internets. So kennt ein Jurist das BGB genauso wenig auswendig wie ein Pfarrer die Bibel. Aber das sei auch gar nicht notwendig, meint Emrah Düzel vom DZNE. „Man muss Informationen nur so gut kennen, dass man sie sinnvoll nutzen, Zusammenhänge finden und Erkenntnisse daraus ziehen kann. Unser Gehirn funktioniert eben anders als die Festplatte eines Computers – zum Glück.“ Also ist es gar nicht schlecht, viele Informationen permanent digital zur Verfügung zu haben. Wichtig ist: gewusst wo. Hanslmayr: „Das was Menschen intelligent macht, ist weniger die Ansammlung von Faktenwissen, sondern wie sie mit Information und Wissen umgehen – und dafür wird es sobald noch keine App geben.“

Mit der Digitalisierung treten jedoch andere Herausforderungen für unser Gehirn auf. Durch die große Datenflut des Internets haben wir es mit immer mehr Informationen zu tun. Diese als wichtig oder unwichtig einzustufen, kann mitunter überfordern. „Neue Informationen sind per se erst einmal gut für das Gehirn“, sagt Emrah Düzel. „Auch der schnelle Wechsel zwischen Inhalten kann bestimmte kognitive Bereiche sogar fördern: man wird flexibler, lernt in kurzer Zeit viele Informationen aufzunehmen und sich intensiv mit einem Thema zu beschäftigen.“ Und genau da liege der Knackpunkt, mit der sich die Gesellschaft in Zukunft beschäftigen müsse, meint Simon Hanslmayr: „Die Menge an digitalen Tools stellen immer größere Anforderungen an unsere Aufmerksamkeit. Sich auf eine einzelne Sache zu konzentrieren, in die Tiefe zu gehen, ohne sich – beispielsweise durch eine eingehende E-Mail oder SMS – ablenken zu lassen, wird immer schwieriger. Hier benötigen wir neuronale Mechanismen der Hemmung, um der Versuchung zu widerstehen nicht doch aufs Handy zu schielen. Das muss man trainieren.“ Aber die Mühe kann sich lohnen: Damit eine Party, ein Ausflug mit den Kindern oder ein romantisches Abendessen zu einem positiven Erlebnis werden kann, das unser Gedächtnis gerne abspeichert.

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