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Interview

„Häufig haben wir das Nachsehen“

Bakterium Eleftheria

<b>Antibiotikaproduzent</b> Das Bakterium <i>Eleftheria terrae</i> stellt das Antibiotikum Teixobactin her. Bild: William Fowley/Northeastern University

Forscher haben ein neues Antibiotikum entdeckt, das gegen zahlreiche resistente Keime wirkt. Tanja Schneider vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung erzählt, wie die Wissenschaftler den Wirkstoff aufspürten und warum Erfolge in der Bakterienbekämpfung so selten sind.

Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel (UKSH) kämpfen Ärzte und Klinikpersonal derzeit gegen einen Keim, der gegen die meisten bekannten Antibiotika resistent ist. Der Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, neue Mittel zu entdecken. Ein Team von der Northeastern University in Boston, unter der Leitung des Biochemikers Kim Lewis, hat jüngst ein neues Antibiotikum namens Teixobactin entdeckt. Es ist das erste einer neuen Klasse und tötet auch resistente Keime, darunter Mykobakterien, die die tödliche Tuberkulose verursachen. Tanja Schneider, Biologin an der Universität Bonn und Leiterin einer Nachwuchsgruppe am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, war an dem Projekt beteiligt. Im Interview erzählt sie davon, wie die Wissenschaftler den Wirkstoff aufspürten und warum Erfolge in der Antibiotika-Forschung so selten sind.
Frau Schneider, was dürfen wir von dem neuen Wirkstoff erwarten?
Teixobactin wirkt gegen zahlreiche resistente Keime, an denen weltweit jedes Jahr zehntausende Menschen sterben. Darunter viele Problemkeime, wie etwa der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis und multiresistente Bakterien, die vor allem in Krankenhäusern verbreitet sind. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um eine neue Substanzklasse. Wir gehen davon aus, dass sich aufgrund der Wirkungsmechanismen erst nach mehreren Jahrzehnten resistente Bakterien entwickeln.

Wann könnte Teixobactin als Antibiotikum zugelassen werden?

Frühestens in sechs Jahren. Der Stoff wird nun zunächst ein bis zwei Jahre lang im Labor untersucht. Danach durchläuft er die klinischen Testphasen. Dabei wird das Antibiotikum auch am menschlichen Organismus getestet, um eine giftige Wirkung und andere Nebenwirkungen auszuschließen. Erst wenn Teixobactin diese Testphasen erfolgreich durchläuft, kann es zugelassen werden.

Die Forscher haben das Antibiotikum dank einer vielversprechenden Suchmethode entdeckt. Dabei werden Bakterien in ihrem natürlichen Umfeld herangezüchtet. Was macht diese Methode so besonders? 

Die Biologin Tanja Schneider ist Privatdozentin an der Universität Bonn und Leiterin einer Nachwuchsgruppe am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Seit mehr als zehn Jahren erforscht sie das Wechselspiel von Bakterien und Antibiotika. Foto: DZIF

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass viele Antibiotika von Bakterien oder Pilze produziert werden. Bislang konnte man jedoch nur ein Prozent dieser Mikroorganismen im Labor anzüchten. Mit der neuen Methode gelingt dies bei 50 Prozent. Das Besondere ist, dass Kim Lewis und sein Team die Bakterien in ihrem natürlichen Lebensraum heranzüchten und so ihre Kultivierung möglich machen. Dabei legt man Bakterien aus Bodenproben in die Kammern einer Kunststoffplatte namens iChip. Die Kammern werden mit Membranen verschlossen, die durchlässig für Nährstoffe und andere Wachstumsfaktoren sind. Danach wird der iChip für ein bis zwei Wochen in den Erdboden gebettet. In dieser Zeit bilden sich Bakterienkolonien, die anschließend im Labor domestiziert werden können. Mit dieser neuen Methode konnte das Forscherteam um Kim Lewis bereits 10.000 bislang unkultivierbare Bakterienarten untersuchen. Dabei entdeckten sie Teixobactin, das sich als ein vielversprechender Antibiotikum-Kandidat entpuppte. Ich bin mir allerdings sicher, dass mit dem iChip-Verfahren noch mehr potenzielle Wirkstoffe gefunden werden können.

Die meisten Antibiotika sind in ihrer Grundstruktur seit langem bekannt. In den 30 Jahren vor der Entdeckung von Teixobactin wurden lediglich zwei neue Klassen  von Antibiotika als Medikamente zugelassen. Warum war man nicht erfolgreicher? 

Nur wenige Substanzen überstehen die klinischen Studien. Oft sind sie für Menschen toxisch oder nicht gut verträglich. Um die Zulassung zu bekommen, muss ein Medikament weitere Hürden nehmen: Ein neues Antibiotikum sollte zum Beispiel wirkungsvoller sein als Konkurrenzprodukte, die bereits zugelassen sind.

Gibt es weitere Gründe für die geringe Erfolgsquote?

Seit den 70er Jahren ist es immer schwieriger geworden, neue Substanzen zu finden. Damals hatte man sämtliche Antibiotika, die eher leicht zu finden und zu isolieren waren, bereits für pharmazeutische Zwecke nutzbar gemacht. Von etwa 1990 an setzte man dann große Hoffnungen in eine neue Methode, das so genannte „Target-basierte Screening“. Dabei wurden massenweise Substanzen im Hochdurchsatz getestet. Bedauerlicherweise zeigten viele der getesteten Wirkstoffe, die im Reagenzglas Proteine und Enzyme binden oder hemmen in lebenden Organismen keine Aktivität zeigen. Sie konnten den also Bakterien nichts anhaben, da sie zum Beispiel nicht in der Lage waren, in Zellen einzudringen. Dieser Rückschlag hat viele Pharmaunternehmen enttäuscht. Sie haben sich daraufhin aus der Antibiotika-Forschung zurückgezogen. Heute sind vielleicht noch fünf große Pharmaunternehmen im Bereich der Antibiotika-Forschung tätig.

Wie steht es generell um die Finanzierungsbereitschaft großer Pharmafirmen von Forschungsvorhaben im Bereich der Antibiotikaforschung?

Das ist ein schwieriges Geschäft. Die Entwicklung von Antibiotika ist für Pharmafirmen oft nicht lukrativ. Die Patienten nehmen die Medikamente eine Woche lang und sind danach wieder gesund. Der kurze Zeitraum der Einnahme schmälert die Umsätze – während Mittel gegen Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen oft ein Leben lang genommen werden und damit weitaus rentabler sind. Womöglich sollte man darüber nachdenken, die Preise für Antibiotika anzuheben, damit sich deren Entwicklung für Pharmafirmen besser auszahlt. Klinische Tests kosten mehrere hundert Millionen Euro. Solche Summen lassen sich ohne das Geld der Pharmabranche nicht finanzieren.

Gibt es auch positive Entwicklungen?

Ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Antibiotika-Forschung in vielen Pharmafirmen wieder gestiegen ist – vor allem vor dem Hintergrund, dass Erreger immer häufiger Resistenzen entwickeln. Darüber hinaus gibt es große Firmen wie MSD, die schon seit längerem kontinuierliche Forschung betreiben. Hinzu kommen Einrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung und andere Initiativen und Verbünde, die sich dem Thema intensiv widmen. Es ist nun einmal eine Konsequenz der Evolution, dass Bakterien immer Resistenzen entwickeln werden. Daher ist es unglaublich wichtig, dass wir mithalten können im Wettrennen mit gefährlichen Krankheitserregern. Zu häufig haben wir allerdings das Nachsehen. Die Entdeckung von Teixobactin und der damit verbundene Einsatz einer neuen, effektiven Methode neue Wirkstoffe zu finden, bedeutet nun einen enormen Fortschritt.

iChips: Bakterien werden in ihrem natürlichen Lebensraum kultiviert. Bild: Slava Epstein, Northeastern University, Boston

Die Methode: iChips lassen Bakterien wachsen

99 Prozent alle Bakterien lassen sich bis heute nicht im Labor züchten. Mit einem Trick schaffen es Wissenschaftler nun, die Keime dennoch wachsen zu lassen: Sie geben einzelne Bakterien in abgeschlossenen Kammern, die für Nährstoffe durchlässig sind. Die Kammern legen sie in die natürliche Umgebung - in diesem Fall den Boden. Dort vermehren die Bakterien sich und können anschließend im Labor untersucht werden.

Was sind  Antibiotika?

Antibiotika sind Substanzen, die den Stoffwechsel von Bakterien hemmen oder diese abtöten. Dabei handelt es sich um unterschiedliche chemische Stoffe, die in der Natur hauptsächlich von Pilzen oder Bakterien gebildet werden, um sich gegen andere Bakterien zu schützen. Inzwischen ist es auch gelungen, Antibiotika künstlich im Labor herzustellen. Unterteilen lassen sie sich nach verschiedenen Gesichtspunkten: ihrer chemischen Struktur, der Wirksamkeit oder ihrem Wirkort. Mehr Informationen zu dem Thema gibt es auf der Infothek des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zu lesen.

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