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Systembiologie

Das Leben verstehen

Das neue BIMSB-Gebäude in Berlin-Mitte. Bild: Noshe

Am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB), das zum MDC gehört, kombiniert man modernste Technologien, um zu verstehen, wie Zellen altern und Krankheiten entstehen. Mit einem neuen Mammutprojekt könnte man von hier aus nun die Biomedizin einen gewaltigen Schritt voranbringen.

Wie ist es möglich, dass aus einer einzigen Zelle ein Mensch heranwächst? Woher wissen die winzigen Zellen, wann sie sich zu welchem Organ spezialisieren sollen, wann eine Extremität die richtige Länge hat und wie die Nerven im Körper wo entlang wachsen sollen, dass am Ende ein zum Überleben und Denken fähiges Wesen herauskommt? Das Leben ist ein Wunder – und am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) versuchen die Wissenschaftler, dieses Wunder mit modernsten Methoden zu vermessen und zu verstehen.

Prof. Nikolaus Rajewsky, Leiter des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie (BIMSB). Bild: Pablo Castagnola / MDC

„Wir wollen das komplexe biologische System Mensch als Ganzes begreifen. Dazu gehören die molekularen Mechanismen, die Veränderungen in einzelnen Zellen auslösen. Und auch die Vorgänge, die auf höheren Ebenen Weichen stellen und Entwicklungen anstoßen“, sagt der Systembiologe-Professor Nikolaus Rajewsky, der am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) in Berlin das BIMSB seit dem Jahr 2008 leitet. Mittlerweile arbeiten hier in 16 Arbeitsgruppen insgesamt rund 250 Forscherinnen und Forscher.

Demnächst könnte das ohnehin schon einflussreiche und weitreichend vernetzte Institut noch mehr an Bedeutung gewinnen: Mit einem neuen europäischen Mammutprojekt namens LifeTime könnte von hier aus tatsächlich die Medizin grundlegend revolutioniert werden.

Neuer Standort im Herzen von Berlin

Dabei passt es gut, dass in diesen Tagen das BIMSB auch räumlich und in Sachen Ausstattung eine vollständige Erneuerung erfährt: Man zieht vom MDC-Campus in Berlin-Buch aus in einen Neubau in die Innenstadt Berlins. Auf diese Weise werden nicht nur Spitzenforschung und Gesellschaft auch räumlich enger verzahnt. Man hat den Neubau mit dem renommierten Architekturbüro Staab Architekten so geplant, dass auch intern jederzeit der Austausch zwischen den verschiedenen Abteilungen angeregt wird. Dazu tragen teilweise verglaste Besprechungs- und Aufenthaltsräume ebenso bei wie eine  offene Architektur mit einer zentralen, skulpturalen Treppenhalle, die immer wieder Einblicke in einzelne Arbeitsbereiche erlaubt, ohne dass sich dort jemand gestört fühlt.

Welche Rolle Austausch bereits heute im BIMSB spielt, das zeigen die modernen wissenschaftlichen Methoden, auf die man hier setzt: Sie sind allesamt in Entwicklung und Anwendung interdisziplinär angelegt. Im BIMBS entwickelt und integriert man verschiedene moderne Verfahren: Die sogenannten Einzelzell-Multi-Omics-Ansätze, bei denen man die Genaktivitäten vieler einzelner Zellen beobachtet. Das maschinelle Lernen, das bei der Verarbeitung der dabei anfallenden riesigen Datenmengen hilft und auch bei der Analyse von bildgebenden Verfahren zum Einsatz kommt. Und die Untersuchung von Organoiden, also im Reagenzglas gezüchteten Zellverbänden, die typische Merkmale bestimmter Organe aufweisen.

Mithilfe von Mini-Organen – wie hier Hirn-Organoiden – kann man die Techniken der Einzelzellanalyse auch auf menschliche Gewebe anwenden. Forscherinnen und Forscher sehen so, wie menschliche Zellen im Verlauf des Lebens reifen, wie sich Gewebe regenerieren und welche Veränderungen zu Krankheiten führen. Bild: Agnieszka Rybak Wolf (AG Nikolaus Rajewsky am BIMSB), MDC

Jede Methode für sich ist schon außergewöhnlich. Aber das Potenzial dürfte sich vervielfachen, wenn man alles miteinander verknüpft: „Eine Kombination der drei Verfahren kann zu einem Paradigmenwechsel in der Biomedizin herbeiführen“, sagt Rajewsky.

Das Projekt LifeTime setzt auf ein neues Verständnis des Lebens durch Einzelzellanalyse

Genau darauf setzt man am BIMSB. Und das sind perfekte Voraussetzungen für das große Mammutprojekt, dem man sich gerade verschreibt: LifeTime. Das europa-übergreifende Projekt, das von mehr als 120 Wissenschaftlern von 53 Forschungseinrichtungen in 18 Ländern unterstützt wird, setzt auf ein neues Verständnis des Lebens durch die Einzelzellanalyse. „Wir wollen die Aktivität des Genoms in einzelnen Zellen während des Alterungsprozesses und bei der Entstehung von Krankheiten verfolgen und entschlüsseln. Damit wird es nicht nur möglich, den Hergang und den weiteren Verlauf von Krankheiten in einem individuellen Patienten zu verstehen und vorherzusagen. Es lassen sich auch neue und wirksame Therapien daraus ableiten“, sagt Rajewsky. Dass LifeTime genau auf die drei Technologien baut, auf die sich das BIMSB spezialisiert hat – Einzelzellbiologie, Künstliche Intelligenz, Organoide – hat Rajewsky und seinen Mitarbeitern dabei eine besondere Rolle eingebracht: LifeTime soll vom BIMSB gemeinsam mit dem Institut Curie in Paris koordiniert werden.

Dass man mit LifeTime und am BIMSB insgesamt auf dem richtigen Weg ist, weiß man ohnehin. Aber vor wenigen Wochen kam dafür auch nochmal eine gewissermaßen offizielle Bestätigung: Das renommierte Fachmagazin Science hat die Einzelzellanalyse zum vielbeachteten „Breakthrough of the year“ ausgerufen.

Wissenschaft im Zentrum - Das MDC in Mitte: Eröffnung des BIMSB-Gebäudes

Avantgarde der Genforschung in der Mitte Berlins

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