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Quallen

Profiteure des Klimawandels?

Quallen findet man in allen Weltmeeren. Die giftigsten Vertreter leben in den Tropen. Bild: StockSnap auf Pixabay

Sie gelten als anspruchslose Überlebenskünstler, die auch in den sauerstoffarmen Todeszonen der Ozeane prächtig gedeihen. Doch das massenhafte Auftreten einzelner Arten hat oft andere Gründe.

„Wieder Quallen-Alarm auf Mallorca“ – titelte Mitte Mai eine große deutsche Tageszeitung. Eine Urlauberin hatte eine Portugiesische Galeere am Strand entdeckt und fotografiert. Die giftige Qualle – eigentlich ist es keine einzelne Qualle, sondern eine Kolonie, in der die Individuen bestimmte Aufgaben übernehmen - hatte schon im Sommer 2018 das Badevergnügen an den Stränden der Insel stark eingeschränkt. In diesem Sommer blieb der Fund bislang eine Ausnahme. Doch Quallenplagen, sei es auf den Balearen oder an der Ostsee, scheinen sich zu häufen. 

Quallen gelten als Profiteure des Klimawandels. Schon 2009 veröffentlichte ein internationales Forscherteam um den Australier Anthony J. Richardson einen Artikel in der Zeitschrift Trends in Ecology and Evolution, der viele beunruhigte. Ganze Ökosysteme könnten demnach zu Monokuturen von Quallen werden. Ursache sei vor allem der Rückgang von Fischen, die sich von den glibberigen Medusen ernährten. Und die Robustheit der Tiere, die auch bei niedrigem Sauerstoffgehalt und niedrigen pH-Werten prächtig gedeihen. Damit haben sie auch in Zeiten des Klimawandels Vorteile. Denn wenn sich die Ozeane erwärmen, werden sie saurer und sauerstoffärmer. Doch die Frage, ob es heute allgemein mehr Quallen gibt als vor zehn Jahren lässt sich immer noch nicht eindeutig beantworten. „Wissenschaftlich ist das schwer zu belegen, weil in vielen Regionen dazu die Langzeitdaten fehlen“, sagt Cornelia Jaspers vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „An manchen Stellen gibt es mehr Quallen, an anderen aber auch weniger“, sagt die Meeresbiologin, die vor allem die Ausbreitung invasiver Arten erforscht, die sich in nordeuropäischen Gewässern einen neuen Lebensraum erobert haben. 

Örtliche Quallenplagen kann es immer wieder geben

Unstittig ist, dass die Erwärmung die Prozesse im Meer beschleunigt, alles wächst schneller. Das gilt auch für die Algen, deren Wachstum schon jetzt durch vermehrten Nährstoffeintrag in die Meere, Dünger aus der Landwirtschaft, befeuert wird. Unter Wasser wird es dann dunkler und trüber. Doch Quallen brauchen keine klare Sicht, um ihre Beute zu erkennen. Sie müssen nur über ihre Tentakel mit anderen Meereslebewesen in Kontakt kommen, um diese zu fangen und zu fressen. Auch hier sind sie also im Vorteil. 

Kurzfristig kann es aber immer zu örtlichen Quallenplagen kommen, die genauso schnell wieder verschwinden. Doch wie kommt es, dass es in manchen Jahren mehr Quallen gibt als in anderen? „Das hängt vor allem mit den Wetter- und Windbedingen zusammen“, sagt Cornelia Jaspers. Quallen schwimmen nicht aus eigener Kraft, sondern werden von den Meeresströmungen durch die Ozeane getrieben. Innerhalb von wenigen Wochen können sie so Hunderte Kilometer weit reisen. Die Portugiesische Galeere hat eine Art Segel, eine Gasblase, die sie über Wasser hält. Wie ein Boot auf See wurde sie 2018 von untypischen Strömungen aus dem Atlantik über die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer verdriftet. In manchen Regionen der Nord- und Ostsee hat sich die amerikanische Rippenqualle Mnemiopsis leidyi, auch Meerwalnuss genannt, ausgebreitet. Diese ursprünglich nur vor der Ostküste der USA vorkommende Art wurde im Jahr 2006 erstmals in deutschen Gewässern gesichtet.

Die amerikanische Rippenqualle Mnemiopsis leidyi, auch Meerwalnuss genannt, breitet sich in Nord- und Ostsee immer mehr aus. Bild: GEOMAR

Invasive Arten verbreiten sich in Nord- und Ostsee

Daran ist vor allem der Mensch schuld. Im Ballastwasser von Schiffen kam die neue Art über den Atlantik. In manchen Regionen der Nord-und Ostsee hat sie sich mittlerweile stark verbreitet – zum Beispiel im dänischen Kattegat und Limfjord.  „Dort ist die Rippenqualle bereits zu einem Problem geworden, weil sie sehr effektiv frisst und sich extrem schnell vermehrt“, sagt Cornelia Jaspers. Bis zu 15.000 Eier produziert eine Rippenqualle am Tag, die sie als Hermaphrodit selbst befruchtet. Bereits nach drei Wochen sind die daraus gewachsenen Tiere wieder geschlechtsreif. Zudem filtriert eine einzige ausgewachsene Rippenqualle bis zu 250 Liter Wasser am Tag und frisst 90 Prozent der darin enthaltenen Kleinstlebewesen. Dabei konkurriert sie mit Fischen um die gleiche Nahrung. Im Schwarzen Meer, wo sich die Meerwalnuss bereits vor längerer Zeit angesiedelt hat, hat sie das Ökosystem nachhaltig verändert. Die wirtschaftlich bedeutenden Sardellenbestände brachen ein. Ein neuer Nahrungskonkurrent hatte sich etabliert, weil sie den Fischen die Lebensgrundlage nahm. 

„Wie sich der Klimawandel auf die Ökosysteme auswirken wird, und inwieweit das die Quallenpopulationen positiv beeinflusst, weiß man noch nicht genau“, sagt Cornelia Jaspers. Verschiedene Regionen reagierten außerdem unterschiedlich darauf. „Bei uns wird es durch die globale Erwärmung wahrscheinlich zu mehr Regen und damit mehr Frischwassereinfluss in der Ostsee kommen“, sagt Jaspers. Das Meer wird dann salzärmer. Für die eingewanderte Rippenqualle ist das nicht optimal. Sie vermehrt sich nur in Wasser mit hohem Salzgehalt. Eine andere invasive Art dagegen, Blackfordia virginica, die sich seit 2016 im Nord-Ostsee-Kanal etabliert hat, bevorzugt gerade salzarme Gebiete. „Diese Art hätte das Potenzial, vom Nordostseekanal aus die ganze Ostsee für sich zu erobern“, sagt Cornelia Jaspers. Dieses Jahr sind die Glibbertiere und ihre Artgenossen in der Ostsee allerdings nur selten zu sehen. „Zur Zeit haben wir in der südwestlichen Ostsee kaum Quallen“, sagt Jaspers. Bei den wenigen Exemplaren, die bei den Monitoring-Fahrten gesichtet werden, handelte es sich vor allem um die heimischen Ohrenquallen, die für den Menschen harmlos sind.  

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