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Porträt

Ein Herz für die Extreme

1989 absolvierte Jane Francis ihre erste Antarktis-Expedition. Heute gehört sie zu den Vorreitern in der Polarfoschung. Bild: British Antarctic Survey

Jane Francis ist eine der bekanntesten Polarforscherinnen aus Großbritannien. Etliche Expeditionen in Arktis und Antarktis hat sie hinter sich – und wenn es nötig ist, sucht sie auch in Australiens Wüste nach Spuren aus der Vergangenheit der Pole.

„Wir Geologen“, sagt Jane Francis, „lesen einen Felsen von unten nach oben. Unten sind die ältesten Schichten, und wenn wir eine Schicht nach der anderen lesen, kommen wir in immer jüngeren Schichten an.“ Wie ein Buch öffne sich dann die Geschichte vor einem – „und wenn ich mir solche Felsen anschaue, dann formt sich vor meinem geistigen Auge die Landschaft, die ihn in der Vergangenheit umgab.“ Es ist eine Gabe, die sich Jane Francis über viele Jahrzehnte erworben hat, die sie sich intensiv mit Felsen beschäftigt, mit Fossilien und anderen Relikten aus Jahrmillionen zurückliegender Zeit.

Wer sich mit der britischen Forscherin unterhält, den nimmt sie in ihren Erzählungen mit auf ihre Expeditionen. So lebendig spricht sie von ihrer Arbeit, von der rauhen Natur in der Antarktis, vom Leben in den Zelten, von der Schönheit des Eises, dass ihre Zuhörer den Eindruck gewinnen, mit ihr unterwegs zu sein. Viele Jahre ihres Lebens war sie auf Achse, vor allem in der Antarktis, und die Berichte darüber hält sie für einen wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit: Sie will anstecken mit ihrer Begeisterung, sie will mit den lebensnahen Schilderungen die Aufmerksamkeit richten auf den Schutz der Polarregionen, die sich derzeit so rapide änderten wie noch nie in der Vergangenheit, die sie anhand von fossilen Funden, von Bohrkernen und Felsformationen ergründet.

Expedition in der Antarktis. Bild : Jane Francis

„Zuletzt war ich im vergangenen Jahr in der Antarktis“, sagt sie – „aber leider nicht auf einer Expedition!“ Inzwischen schafft sie es nur noch zu Kurzbesuchen auf die britische Forschungsstation, meistens in Begleitung von hochkarätigen Gästen etwa aus der Regierung oder von Forschungsorganisationen. Seit 2013 ist sie Direktorin der British Antarctic Survey – einer altehrwürdigen Organisation, in deren mehr als sechs Jahrzehnten dauernden Geschichte sie die erste Frau an der Spitze ist. „Dieses Amt“, sagt sie, „verträgt sich nicht mit der aktiven Teilnahme an Expeditionen, wo man problemlos zwei oder drei Monate unterwegs ist.“ Dass ihr Herz an der „field work“ hängt, wie sie es nennt, daran lässt sie keinen Zweifel: Ihr ganzes Büro steht voller Bücher über Expeditionen, voller Steine und Fossilien, die sie von unterwegs mitgebracht hat nach Cambridge, an den Sitz der British Antarctic Survey. Und auch einige Erfahrungen von unterwegs kommen ihr jetzt zu Gute bei der Arbeit, die vor allem am Schreibtisch und in Konferenzräumen stattfindet: dass sie die Besonderheiten der Forschung in der Antarktis aus eigener Anschauung kenne, mache das Leben sehr viel einfacher.

„Die Geduld, die man da draußen lernt, ist hier auf dem administrativen Posten auch sehr hilfreich.“

Dass Jane Francis im Jahr 2017 den britischen Ehrentitel „Dame“ verliehen bekam, war die gesellschaftliche Krönung ihrer bisherigen Karriere. Aufgewachsen ist sie auf einem Bauernhof als ältestes von vier Kindern. „Schon damals interessierte ich mich für Fossilien und Steine, die ich sammelte“, erzählt sie – und so entschied sie sich schließlich für ein Geologie-Studium. 1989 absolvierte sie ihre erste Antarktis-Expedition, die erste von vielen Dutzend. Trotzdem: Fünf Jahre ihres Lebens verbrachte sie auch in Australien. „Die Felsen, an denen ich dort gearbeitet hatte, stammten aus einer Zeit, in der die australische Landmasse sich noch nahe des Südpols befand. Ich habe also streng genommen Polar-Geologie betrieben – wenn auch unter völlig anderen Umständen.“ Sie lacht auf und erinnert sich an die australischen Wüsten mit ihren ungemein heißen Tagen. Vermutlich, sagt sie dann schmunzelnd, zögen sie die Extreme einfach an.

„Das einzige, was ich nicht ausstehen kann, ist hohe Luftfeuchtigkeit. Im Tropenwald wäre ich also sicher keine gute Forscherin.“

Und welche Schwerpunkte will sie auf ihrer aktuellen Position als Direktorin der British Antarctic Survey setzen? Sie muss nicht lange nachdenken: „Wir wollen die Auswirkungen des Klimawandels auf die Antarktis verstehen und die Auswirkungen der Veränderungen in der Antarktis auf den Rest der Welt. Und wir bemühen uns, unseren Co2-Fußabdruck in der Antarktis zu verkleinern.“ Neue Formen der Energieversorgung auf der Forschungsstation und eine effizientere Logistik sind denkbare Optionen auf dem Weg dorthin.

Wenn Jane Francis heute in der Antarktis ist, auf einem dieser kurzen Besuche mit hochgestellten Gästen, nimmt sie sich jedes Mal die Zeit für einen einsamen Spaziergang. Wenn nichts mehr zu hören ist, kein einziges Geräusch, wenn die Sonne scheint und das Eis glitzert, dann fühlt sie sich wieder wie auf einer ihrer Expeditionen. Und manchmal erzählt sie den Gästen davon, wie es ist, wenn ein Schneesturm aufkommt: Tagelang kann man nicht aus dem Zelt; man mümmelt sich ein im Warmen, man blättert die Forschungsnotizen der zurückliegenden Wochen durch, man kann in Ruhe ein Buch lesen, Musik hören und Karten spielen mit den Kollegen aus dem Team. Das seien Momente der Ruhe und der Entschleunigung, von denen sie auch heute noch profitiere.

Zwischen September 2019 und Februar 2020 findet die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme statt.Jane Francis gehört zu dem hochkarätig besetzen Gremium aus internationalen, unabhängigen Wissenschaftlern, die die Programme unter die Lupe nehmen. Die Gutachter prüfen, ob die Forschungsprogramme richtig aufgestellt sind, und erarbeiten Empfehlungen für die Neuausrichtung der Helmholtz-Programme in den kommenden Jahren. 

Die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme

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