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Müll im Meer

Die Plastik-Pest

Plastikmeer - Immer mehr Kunststoffabfälle belasten die Meere und die dort lebenden Organismen. Bild: Jurgen Freund/Nature Picture Library/Corbis

In den Weltmeeren schwimmen viele Millionen Tonnen Plastikmüll. Längst hat sich daraus ein Problem von globalem Ausmaß entwickelt. Wissenschaftler untersuchen die Folgen für die Meeresfauna – und suchen nach Ansätzen, um den Müll in den Griff zu bekommen.

Die Idee klingt abenteuerlich: 50 Kilometer lange Fangarme will ein niederländischer Erfinder im Pazifik installieren, um mit ihnen den Müll aus dem Wasser zu fischen, der auf den Wellen treibt. Im Internet warb er um Geld für seine eigenwillige Konstruktion. Ob der Müllstopper jemals funktioniert, steht noch nicht fest. Eines immerhin hat der Niederländer geschafft: "Er hat zusätzliche Aufmerksamkeit auf den Müll im Meer gelenkt", sagt Lars Gutow. "Und das ist erstmal positiv!"

"Wir wissen noch viel zu wenig darüber, wie sich der Müll unter dem Einfluss von Strömungen und Wind verhält"

Der Biologe Lars Gutow arbeitet am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), und beschäftigt sich mit dem Plastikmüll, der im Meer treibt. Dahinter steckt ein gewaltiges Problem: Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass inzwischen rund 100 Millionen Tonnen Müll im Meer gelandet sind, davon drei Viertel aus Kunststoff. Ob Pazifik, Atlantik oder Mittelmeer - die Verschmutzung ist global. Dennoch sei schwer zu beurteilen, wie viel Plastik sich wo in den Weltmeeren befindet. "Das ist absurd, weil Müll ja eigentlich etwas sehr Greifbares ist", sagt Gutow. "Aber wir wissen noch viel zu wenig, auch beispielsweise darüber, wie sich der Müll unter dem Einfluss von Strömungen und Wind verhält."

Resonator-Podcast - Müll im Meer

Auch in unserem Forschungspodcast geht es um die Plastik-Pest. Moderator Holger Klein hat Lars Gutow und seine Kollegin Melanie Bergmann im AWI besucht und mit ihnen über Müll im Meer und die hormonähnliche Wirkung von Mikroplastik gesprochen.  

Ursprünglich hat sich Gutow mit der Verbreitung von Organismen auf treibenden Objekten wie etwa Algen oder Bimsstein beschäftigt - bis er schließlich am Plastikmüll nicht mehr vorbeikam. Heute befasst er sich unter anderem damit, in der Deutschen Bucht das Ausmaß der Verschmutzung zu messen. Dazu nutzt er mit seinen Kollegen Forschungsfahrten auf Schiffen: Im Vorbeifahren sichten sie den Müll und rechnen die Mengen auf größere Flächen hoch. Auch wenn sie Proben nehmen, werten sie die Müllmengen aus: Als sie zuletzt mit Netzen arbeiteten, die über den Meeresgrund geschleppt wurden, fanden sie bei fast jedem Fang auch Plastikmüll.

Ins Meer gelangt der Müll auf verschiedenen Wegen. Häufig wird er über Flüsse angespült, wenn er irgendwo im Hinterland etwa von schlecht gesicherten Deponien verweht oder einfach in die Landschaft geworfen wird. Auch bei Naturkatastrophen wird Müll ins Meer gespült. Schiffsbesatzungen entsorgen Abfälle auf offenem Meer, teils gehen Gegenstände wie Fischereigeräte einfach verloren - die sind neben Verpackungsmaterial tatsächlich das größte Problem. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht, wenn das Plastik erst einmal im Meer gelandet ist: Selbst bei einer Plastiktüte dauert es nach heutigen Schätzungen 450 Jahre, bis sie sich zersetzt hat.

Probennahme Die GAME-Studentinnen Valeria Hidalgo-Ruz und Vanessa Rüttler sind an einem Strand nahe Coquimbo, Chile, auf der Suche nach Mikroplastik. Bild: GEOMAR

Wenn das Plastik im Meer landet, wird es mit der Zeit von Organismen bewachsen und sinkt ab. Sterben die Organismen, steigen die Plastikstücke wie bei einem Jo-Jo-Effekt zunächst wieder auf. Wenn sie dann aber schließlich auf den Meeresboden gelangen, lagern sich Sedimente darauf ab und der Müll bleibt dort. Experten vom Umweltbundesamt schätzen, dass 70 Prozent des Plastiks auf den Meeresboden sinken, 15 Prozent an der Wasseroberfläche schwimmen und 15 Prozent an Strände gespült werden. Doch der Müll stört nicht nur den Ausblick an heimischen Stränden: Verlorengegangene Geisternetze fischen weiter in den Ozeanen, Tiere verhungern bei gefülltem Magen, weil sie Plastik mit Nahrung verwechseln, und in Küstennähe sammelt sich in einigen Regionen Müll in unvorstellbaren Mengen.

Ein spektakuläres Phänomen sind die enormen Müllstrudel im Pazifik: Entlang der natürlichen Meeresströme sammelt sich auf sehr großen Flächen Plastik, besonders ausgeprägt vor Japan und in der Region um Hawaii. Bis zu zweieinhalb Kilo - nach anderen Schätzungen fünf Kilo - Abfälle finden sich dort auf einem Quadratkilometer. "Pacific Garbage Patches" heißen sie in der Fachwelt, "Pazifische Müllflecke".

"Zum Zentrum der Strudel nimmt die Mülldichte deutlich zu - und das fernab menschlicher Zivilisation"

Man dürfe sie sich nicht so vorstellen, dass man dort über eine geschlossene Mülldecke hinweg schaue, sagt Biologe Lars Gutow: "Wenn Sie da rausfahren, sehen Sie zwar vor allem Wasser, aber zum Zentrum dieser Strudel nimmt die Mülldichte deutlich zu - und das fernab menschlicher Zivilisation." Wie bei einem Eisberg ist auch in diesen Strudeln nur ein Bruchteil sichtbar. Zudem ist das sogenannte Mikroplastik kaum zu erkennen: Es sind Plastikstücke, die bis zu fünf Millimeter groß sind - feine Industriegranulate etwa oder Gummiabrieb. Am häufigsten entsteht es jedoch, wenn größere Müllstücke durch UV-Licht brüchig und dann von Wellenbewegungen langsam zerrieben werden. Die riesigen Müllstrudel im Pazifik bestehen vor allem aus diesem Mikroplastik, und das nicht nur an der Wasseroberfläche, sondern auch in der Wassersäule, in einer Tiefe von bis zu 50 Metern. Der National Ocean Service der staatlichen amerikanischen Forschungsagentur NOAA vergleicht das Wasser in den Strudelregionen daher mit einer von Pfefferkörnern durchzogenen Suppe.

Wie stark die Meeresböden und die Küsten mit Mikroplastik belastet sind, lässt sich zumindest lokal ermitteln. "In Meeresgebieten wie dem Hawaii-Archipel, das in der Nähe eines ozeanischen Müllstrudels liegt, finden sich in einem Kilogramm Küstensediment bis zu 30 Gramm Mikroplastik", erklärt Mark Lenz vom GEOMAR, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er koordiniert das GAME-Programm, in dem Masterstudierende grundlegende Zusammenhänge in der Ökologie mittels eines globalen Ansatzes erforschen. Zwei Jahre in Folge widmete sich GAME zuletzt dem Mikroplastik. "Besonders wichtig für ein Ökosystem ist es, wie sich die Plastikverschmutzung auf Schlüsselarten, die zum Beispiel Lebensräume strukturieren, auswirkt. Wir haben deshalb an sieben Standorten weltweit untersucht, wie unter anderem Meereswürmer und Muscheln auf Mikroplastikpartikel reagieren." Das Resultat: Tiere, die ohnehin schon unter Stress stehen - etwa durch hohe Umgebungstemperaturen oder verschmutztes Wasser - reagieren empfindlicher. So filterten Grünlipp-Muscheln aus der Bucht von Jakarta, Indonesien, bei einer Belastung mit Mikroplastik weniger Wasser, produzierten weniger Haftfäden und starben letztlich früher. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Mikroplastik mit anderen Umweltstressoren in Wechselwirkung tritt", sagt Lenz.

Mikroplastik Im Vergleich zu den allerkleinsten Partikeln sind diese Plastikreste aus dem Meer noch wahre Riesen. Bild: Stefanie Meyer/Alfred-Wegener-Institut

Auch Lars Gutow, der Biologe vom Alfred-Wegener-Institut, beschäftigt sich zusammen mit seinen Kollegen mit den Folgen des Mikroplastiks für die Fauna. Er konzentriert sich dabei auf kleine Organismen. "Wir wollen wissen, ob es ähnliche Folgen hat wie großes Plastik für manch größere Tiere." Eine eindeutige Antwort haben die Biologen, Ökologen und Ökotoxikologen des AWI bislang nicht gefunden: Meeresasseln schieden in Versuchen die Mikroplastikpartikel einfach wieder aus, bei Miesmuscheln hingegen gelangten die Partikel ins Gewebe und lösten dort Entzündungen aus. "Wir möchten eine Gefährdungsmatrix entwickeln, die uns zeigt: Was charakterisiert - salopp formuliert - den typischen Verlierer-Organismus?" Das hänge von der Fresstechnik, der inneren Anatomie der Tiere und auch vom Lebensraum ab, so Gutow. Doch die Forschung stehe bei diesen physischen Effekten noch relativ am Anfang.

Indes interessieren sich auch Behörden und Politik für die Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet. 2008 trat die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der Europäischen Kommission in Kraft, laut der die EU-Staaten bis 2020 einen "guten Umweltzustand der europäischen Meere" schaffen müssen. Was aber heißt das konkret? Um das zu umreißen, stellen Facharbeitsgruppen, an denen Wissenschaftler wie Gutow mitwirken, spezielle Bewertungskriterien auf und empfehlen politische Maßnahmen.

Ein konkreter Schritt auf politischer Ebene ist die EU-weite Regelung, die seit Anfang 2015 den Verbrauch von Einweg-Plastiktüten deutlich reduzieren soll. Allerdings werden sogenannte Oxo-Plastiktüten auch in Zukunft nicht grundsätzlich verboten. Ihnen sind Salzmetalle beigemischt, damit sie sich schneller zersetzen - auch dabei wird neues Mikroplastik frei.

Aus dem Meer lässt sich das Plastik kaum wieder herausfischen, soviel steht fest. "Mit dem Gros der Maßnahmen, die wir entwickeln, wollen wir daher vermeiden, dass weiterer Abfall ins Meer gelangt", sagt Meeresexpertin Stefanie Werner vom Umweltbundesamt. "Hierzu müssen wir Abfall- und Abwassermanagement, Freizeitaktivitäten auf See und an den Küsten, Schifffahrt, Fischerei und viele andere Faktoren bedenken." Obwohl es in Deutschland beispielsweise ein gutes Abfallmanagement gebe, würden derzeit auch hier nur 42 Prozent des Plastikmülls wiederverwertet - viele Kunststoff-produkte seien wegen Zusatzstoffen gar nicht recycelbar. Der Rest landet hauptsächlich in der Müllverbrennung. Um zu verhindern, dass der Müll in den Weltmeeren künftig weiter zunimmt, sei es wichtig, international zusammenzuarbeiten und zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Recyclingquote höher wird.

Der Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe unseres Magazins Helmholtz Perspektiven. Wenn Sie die Druckausgabe regelmäßig erhalten möchten, schreiben Sie eine Mail an perspektiven@helmholtz.de. Das Abonnement ist kostenlos.

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