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Portrait

Die Erdbeobachterin

Dr. Ute Weber ist Projektleiterin des MOSES-Programms, das am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig koordiniert wird. Bild: UFZ

Hitzewellen, Hochwasser und Unwetter wird Ute Weber in den kommenden Jahren so genau wie nie zuvor unter die Lupe nehmen. Die Geologin leitet seit Anfang des Jahres 2017 das MOSES-Programm – ein weltweit einzigartiges Erdbeobachtungssystem mit einem ganzen Fuhrpark an Hightech-Messgeräten.

Dieser eine Eindruck von ihrer Arbeit damals im niedersächsischen Gorleben hat sich bei Ute Weber festgesetzt: Wie eng ihre Arbeit mit den großen gesellschaftlichen Debatten verbunden ist, das merkte sie dort zum ersten Mal. In den 1990er-Jahren war das, Weber hatte nach dem Geologiestudium ihren ersten Job angenommen und beteiligte sich an den Berechnungen darüber, auf welchen Wegen bei dem umstrittenen Atommüll-Lager Radionuklide in die Umwelt gelangen könnten. Ute Weber schmunzelt, wenn sie daran zurückdenkt: "Als frische Absolventin war ich damals natürlich nicht in den Sitzungen, in denen es ganz heiß herging", sagt sie – aber dass sie nah dran war an den wichtigen Fragen, das hat sie nachhaltig geprägt.

Ein hochmobiles System

Heute sitzt Ute Weber fast 500 Kilometer weiter südwestlich von Gorleben. Hier in Bonn arbeitet sie wieder an einer Schnittstelle, die gesellschaftlich von höchster Relevanz ist: Sie leitet den Aufbau eines Erdbeobachtungssystems, das in seiner Komplexität weltweit einmalig sein wird. 28 Millionen Euro fließen in den kommenden Jahren in das Programm MOSES; die beteiligten Forscher wollen erkunden, wie hochdynamische Ereignisse – seien es Ozeanwirbel, das abrupte Tauen von Permafrostböden, Hitzewellen und Trockenheit oder Starkregenfälle und Hochwasser – die Entwicklung unserer Umwelt nicht nur kurz-, sondern auch langfristig beeinflussen.

Wenn Ute Weber über ihre Aufgabe erzählt, klingt sie so begeistert wie James Bonds Waffenmeister Q – und ähnlich ausgefeilt ist auch der Fuhrpark, den Wissenschaftler für das MOSES-Programm entwickeln. Drohnen, Unterwasserfahrzeuge, Hightech-Bojen und Transporter voller Messgeräte werden zum Arsenal des Forschungsprojekts gehören – "ein hochmobiles System soll es werden", sagt Ute Weber, "und unsere Herausforderung in der ersten Phase ist es, zum einen neue Instrumente zu entwickeln und zum anderen bestehende Messgeräte so zu verkleinern, dass sie auf die verschiedenen Fahrzeuge draufpassen." Auch die Automatisierung spielt eine wichtige Rolle: Sogenannte Glider, die in unterschiedlichen Meerestiefen Proben nehmen, können selbstständig eine festgelegte Route abfahren, auch autonome Unterwasserfahrzeuge werden entwickelt.

Zahlreiche mobile Messsysteme wie Hightech-Bojen, Drohnen, Unterwasserfahrzeuge und Flugzeuge sind bei MOSES im Einsatz (wie hier bei einem Hochwasserszenario). Bild: ESKP

Forschungsmanagerin und Wissenschaftlerin

An dem Programm MOSES, das mit vollständigem Namen Modular Observation Solutions for Earth Systems heißt, sind neun Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft beteiligt. Die Federführung liegt beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, bei dem Ute Weber angestellt ist. Die 54-Jährige bringt jede Menge Erfahrung als Forschungsmanagerin mit – und als Wissenschaftlerin. Während ihres Geologiestudiums in Kiel und den USA spezialisierte sie sich auf Wassermanagement; das ist der Bereich, in dem sie nach ihrem Diplom in Gorleben arbeitete. "Die wissenschaftlichen Fragen dort haben mich dermaßen fasziniert, dass ich mich für eine Promotion entschied", erzählt sie. Am Forschungszentrum Jülich schrieb sie ihre Doktorarbeit, danach ging sie an die Universität Halle. Lange schien es, als sei ihr und ihrem Partner der Weg vieler Wissenschaftlerpaare vorbestimmt: "Mein Mann ist Physiker, und jeder von uns zog für seine Stellen mehrfach um", erinnert sie sich. Da entschieden sich die beiden noch vor der Geburt ihrer Tochter für einen Schnitt: Sie verließen die Wissenschaft, damit sie dauerhaft am gleichen Ort wohnen können. Ute Weber wechselte ins Forschungsmanagement. 1998 trat sie die Stelle der Programmdirektorin für den Bereich Wasserforschung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Bonn an.

Gestalten und Neues schaffen

Die Konstante, die sich durch Ute Webers Lebenslauf zieht, ist die Arbeit an "gesellschaftlich aktuellen Themen", wie sie es selbst nennt. "Mir war es schon bei der Studienwahl wichtig, einen Bereich zu finden, in dem ich Gestaltungsmöglichkeiten habe", sagt sie rückblickend. Nach ihrem Abitur liebäugelte sie deshalb eine Weile mit einer Kombination aus Politologie und Ökonomie, auch das Bauingenieurwesen interessierte sie – "aber als ich dann an der Universität in Kiel die ersten Geologievorlesungen besuchte, wusste ich, dass ich mich richtig entschieden habe."

Als Ute Weber längst in Bonn bei der DFG arbeitete, wurde sie immer wieder auf eine Lücke aufmerksam: Für eine Erdsystemforschung, die auch die komplexen Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre, der Landoberfläche und den Ozeanen erfassen kann, gibt es bislang nur wenige Beobachtungskonzepte und Messsysteme. "Als das Angebot kam, das Programm MOSES aufzubauen, das genau in diese Lücke vorstoßen sollte, musste ich nicht lange nachdenken", sagt sie.

Einsatz in der Praxis

Zwei Jahre lang war sie zunächst mit der Konzeption des Programms beschäftigt, jetzt leitet sie dessen Aufbau. Und längst hat sie sich an die Frage gewöhnt, die natürlich immer wieder gestellt wird: Wie genau sehen denn die Einsätze in der Praxis aus? Das Beispiel, mit dem sie antwortet, hat seine Wurzeln im Jahr 2003: Damals war Mitteleuropa von einer ungewöhnlichen Hitzewelle betroffen, deren Auswirkungen bis heute zu beobachten sind. In einigen Regionen hat sich etwa die Zusammensetzung der Grasarten geändert, in Gewässern treten toxische Blaualgen häufiger auf als zuvor. Kurzfristige Auswirkungen waren der Ernterückgang um etwa 30 Prozent oder eine massive Freisetzung des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid in den betroffenen Regionen."Diese Einzelbeobachtungen haben wir dank langfristiger und meist stationärer Erdbeobachtungssysteme machen können", sagt Ute Weber. "Wir wollen mit unserem mobilen System künftig in dem Moment vor Ort sein, wenn solche Ereignisse auftreten." Flugzeuge könnten dann zum Beispiel mit speziellen Kameras den Vegetationsstress erfassen; Drohnen könnten in unterschiedlicher Höhe den Ozon- oder auch den Aerosolgehalt in der Luft messen, spezielle Rover könnten mithilfe von Neutronenstrahlung großräumig die Bodenfeuchte untersuchen, mit geophysikalischen Methoden lässt sich der Grundwasservorrat bestimmen und durch Hightech-Bojen die Wasserqualität in Flüssen und Seen ermitteln. Dank dieser Ergebnisse, davon sind Ute Weber und ihr Team überzeugt, können Forscher besser verstehen, was während einer Hitzewelle mit der Natur passiert. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf Wechselwirkungen und Langzeitfolgen zu. Vor dem Hintergrund, dass die Klimaszenarien für Europa eine Zunahme von Hitzewellen und Trockenheit sowie von Starkregen und Überflutungen nahelegen, ist MOSES ein besonders aktuelles Programm. Ähnliche Messkampagnen können die Wissenschaftler bei anderen hochdynamischen Ereignissen starten; die Instrumente sind dann jeweils genau auf die entscheidenden Fragestellungen abgestimmt. Eine Steuerungsgruppe von Forschern der unterschiedlichen Fachdisziplinen, so ist der Plan, soll entscheiden, wohin die Messteams im Einzelfall entsandt werden – die Vorwarnzeit reicht von einigen Wochen im Fall von Hitzewellen bis zu wenigen Tagen wie etwa bei Hochwasser.

Leidenschaft für Wissenschaft

Wenn sie sich die Möglichkeiten des neuen Messsystems anschaut, kommt ihre Leidenschaft für die Wissenschaft besonders zum Vorschein. "Ich finde es ungemein faszinierend, wie sich mein früherer Forschungsbereich weiterentwickelt hat, neben dem technischen Fortschritt bei den Sensorsystemen auch gerade wegen des Einsatzes von moderner IT", sagt sie begeistert. In ihrer Rolle als Forschungsmanagerin ist sie an diesen Entwicklungen nah dran, denn ab dem nächsten Jahr starten nach und nach die ersten Testläufe für das neue System: Eine Ozeanwirbel-Kampagne bei den Kapverdischen Inseln ist zum Beispiel geplant, in Kanada werden die Gerätschaften für den Einsatz im Permafrost getestet, in einem Observatorium in der Eifel wiederum für künftige Hitzewellen, im Einzugsbereich der Elbe jene Messinstrumente für Starkregen und Hochwasser. "Wenn möglich, bin ich natürlich mit dabei", sagt Ute Weber: "Da wird es ja erst richtig spannend!"

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