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Klimawandel

Wie viel können die Meere noch schlucken?

Klimabedingtes Korallensterben: Forscher untersuchen neue Verfahren um die Kohlenstoffaufnahme des Ozeans zu fördern. Diese könnten auch die Korallenriffe retten (Bild:Jan Steffen/GEOMAR (CC BY 4.0))

Die Ozeane sind der größte Kohlenstoffspeicher der Erde. Doch der Klimawandel beeinflusst die Speicherkapazität. Daher wollen Forscher die CO2-Aufnahme künstlich erhöhen. Die Verfahren sind umstritten.

Frau Matthes, um die Erderwärmung zu bremsen muss der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre stabil gehalten, am besten reduziert werden. Die Ozeane könnten dabei eine bedeutsame Rolle spielen, nehmen sie doch an ihrer Oberfläche CO2 auf und lösen es im Wasser. Die genauen Mengen sind unklar, geschätzt werden zwei bis drei Gigatonnen Kohlenstoff im Jahr. Woher kommt die Unsicherheit?

Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen ist es die Vermischung von Wasser an der Oberfläche mit dem in der Tiefe. Wenn sich diese Zirkulation z.B. im Zuge des Klimawandels ändert, dann ändert sich auch die Aufnahme von CO2. Ein weiterer Aspekt ist das Abschmelzen der Eismassen in Grönland und der Antarktis. Das ändert den Salzgehalt des Meerwassers wie auch die Zirkulation. Dann gibt es noch einen dritten, vermutlich geringeren Faktor: Wenn Tiere oder Pflanzen absterben und in die Tiefsee gelangen und damit Kohlenstoff aus dem Kreislauf vorübergehend entnommen wird. Auch das beeinflusst die CO2 -Aufnahme des Ozeans.

Wie ändert sich diese im Zuge des Klimawandels?

Wie gesagt, die Wechselwirkungen sind komplex und ein wichtiges Forschungsziel. Insgesamt lässt sich aber sagen, dass mit steigender Wassertemperatur die Fähigkeit abnimmt, CO2 aufzunehmen. Das ist ein riesiges Problem.

Kann die CO2-Aufnahme der Ozeane gesteigert werden?

Ja, es gibt drei Ansätze: physikalisch, chemisch und biologisch. Physikalisch könnte man sich überlegen, die Zirkulation so zu beeinflussen, dass größere Mengen an Kohlendioxid in tiefe Wasserschichten transportiert werden.

Katja Matthes ist Klimaforscherin und Direktorin des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel (Credit: GEOMAR)

Klingt nach Science-Fiction ...

… absolut, das ist utopisch und keine Methode, die wir ernsthaft in Betracht ziehen. Anders ist das bei den chemischen Verfahren, wo versucht wird, die Kohlensäure zu neutralisieren und so „Platz zu schaffen“ für neues CO2. Konkret heißt das, Gestein an Land abzubauen und in den Ozean zu bringen, um die gewünschte Reaktion in Gang zu bringen. Damit würde man beispielsweise auch die Korallenriffe retten.

Welche Gesteine sind besonders geeignet?

Kalkstein und Basalt, auch weil sie recht häufig auf der Erde vorkommen. Man benötigt ungefähr eine Tonne gemahlenes Gestein pro Tonne CO2, die neutralisiert werden soll. Rechnerisch ließen sich mit der Methode mehrere Milliarden Tonnen CO2 entfernen.

Wie funktioniert der dritte, der biologische Ansatz?

Indem man Küstengebiete renaturiert, beispielsweise Seegraswiesen, die Salzmarschen an der Nordsee oder Mangrovenwälder in den Tropen, die auf natürliche Weise das CO2 binden. Wie die Pflanzen eines Waldes, nur unter Wasser. Das Potenzial ist aber geringer als beim chemischen Ansatz und beträgt schätzungsweise nur rund vier Milliarden Tonnen CO2 im Jahr.

Die Renaturierung wäre vergleichsweise einfach gegenüber der großflächigen Gesteinsgewinnung. In Deutschland ist es schon schwierig, einen vorhandenen Kiestagebau zu erweitern, von neuen Steinbrüchen ganz zu schweigen. Diese Flächenkonkurrenz gibt es in vielen Teilen der Welt: wir müssen bald zehn Milliarden Menschen ernähren, haben großen Bedarf für die Bioökonomie, wollen zugleich die Ökosysteme bewahren. Wo sollen da noch viele Steinbrüche entstehen?

Ja, das ist der Knackpunkt. Wir können nicht überall abbauen. Selbstverständlich müssen wir die Konkurrenz der Flächennutzung berücksichtigen wie auch die Umweltauswirkungen von Abbau und Transport. Ich bin mir aber sicher, dass es regional durchaus möglich und sinnvoll ist.

Welche Auswirkungen hat es auf die Meeresumwelt, wenn gemahlenes Gestein ausgebracht wird?

Das Wasser könnte basisch werden, und wir wissen, dass Meereslebewesen sehr sensibel auf eine Veränderung des pH-Werts reagieren. Der eingetragene Gesteinsstaub könnte auch gefressen werden und die Lichtverhältnisse verändern. Das gilt es nun zu untersuchen, bevor man so etwas im großen Stil einsetzt.

Wo erforschen Sie das?

Im offenen Meer dürfen wir das nicht tun. Man darf laut Gesetz keine Stoffe in das Meer einbringen, auch keine Steine. Wir verwenden deshalb sogenannte Mesokosmen. Das sind große Plastikschläuche, die im Wasser hängen und wie ein Aquarium einen eigenen abgeschlossenen Raum bilden, in dem die Veränderungen im Meer erforscht werden können.

„Es könnte das kleinere Übel sein.“

Wenn es nicht einmal erlaubt ist, für Forschungen Gesteinsmehl ins Meer zu bringen, dann lässt sich erahnen, welche Schwierigkeiten noch kommen. Viele Menschen lehnen solche Methoden des Geoengineering ab. Wie überzeugen Sie Kritiker, dass dies der richtige Weg sei?

Grundsätzlich ist Geoengineering für mich keine Alternative zu den anderen Maßnahmen, um den Ausstoß an Treihausgasen zu reduzieren. Oberstes Ziel muss es sein, die Emissionen sehr stark zu verringern, aber das wird nicht genügen, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Wir müssen alle Optionen für eine aktive CO2 Entnahme aus der Atmosphäre zumindest näher anschauen. Konkret zum Einbringen von Gestein ins Meer: Es könnte das kleinere Übel sein. Wenn wir gar nichts tun und sich die Erde weiter erwärmt, werden die ökologischen und gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels womöglich noch größer sein. Wir sind sicher nicht daran interessiert, das Meer ins Ungleichgewicht zu bringen. Wenn sich zeigt, dass das Verfahren nicht gut ist, werden wir es auch verwerfen. Aber wir können es uns nicht leisten, nichts zu tun. Wir müssen zumindest diese Option erforschen – dann können wir eine fundierte Entscheidung treffen, ob wir sie anwenden.

Sie meinen wie im Fall von CCS, dem Einlagern von CO2  in tiefen Erdschichten?

Genau. Da gibt es mehrere Versuche dazu, bis hin zum industriellen Maßstab im Meeresboden vor der norwegischen Küste, die zeigen: Das Verfahren ist grundsätzlich einsetzbar. Fraglich ist nur, in welchem Umfang das global möglich ist, da gewisse geologische Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Die „Gesteinsdüngung der Meere“ ist noch nicht so weit. Wie viel Zeit benötigt die Forschung, um verlässliche Aussagen zu machen?

Für den Klimaschutz sind die nächsten zehn Jahre entscheidend. Es ist eine gewaltige Herausforderung, das Verfahren in dieser kurzen Zeit soweit zu erforschen und zu entwickeln. Im besten Falle werden wir aber eine Technologie haben, von der wir seriös sagen können, dass sie große Mengen CO2 aufnehmen kann.

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