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Landwirtschaft

Mit KI gegen Trockenheit und Schädlingsbefall

Bild: Shutterstock/Suwin

Der Klimawandel stellt auch die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Im Interview verrät der Biologe Ulrich Schurr, was getan werden muss, welche Rolle künstliche Intelligenz dabei spielt und wie eine neue Forschungskooperation mit Forschern aus Israel auch den deutschen Bauern helfen könnte.

Herr Schurr, in diesem Jahr erlebten die Menschen auf der Nordhalbkugel den heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Wie ging es der Landwirtschaft?

Die Landwirte mussten im Sommer besonders viel bewässern. Dieses Jahr mussten hierzulande teilweise sogar Möhre und Kartoffeln künstlich bewässert werden. Bis vor Kurzem brauchten solche Pflanzen das in Deutschland eigentlich gar nicht. Vor wenigen Jahren mussten in Deutschland nur knapp fünf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland künstlich bewässert werden. Diese Zahl dürfte mittlerweile deutlich größer sein – und sie wird weiter ansteigen. Das liegt vor allem am Klimawandel. Er führt dazu, dass der Niederschlag tendenziell abnimmt und die Trockenheit zunimmt.

Mit wenig Niederschlag und trockenen Boden hat Israel ja viel Erfahrung. Sicher wurde auch deshalb vor wenigen Tagen eine Forschungskooperation mit israelischen Wissenschaftlern gestartet?

Neben seinem für die Forschung „interessanten“ Klima hat Israel auch hervorragende Wissenschaftler. Wir glauben, dass wir gemeinsam der Landwirtschaft helfen können, sich auf den Klimawandel einzustellen. Deshalb haben das Forschungszentrum Jülich und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ ein Memorandum of Understanding mit dem Volcani Institut der israelischen Agricultural Research Organization (ARO) unterzeichnet. Gemeinsames Ziel der Kooperation ist die Verbesserung der Nutzung von Wasser und Nährstoffen in ganzen agrarischen Systemen. Dabei werden Pflanzen, Böden und der Wasserhaushalt, aber auch die Nutzung landwirtschaftlicher Reststoffe im Fokus stehen.

Kann man trockene Böden und Dürreperioden wie in diesem Sommer nicht einfach mit einer verstärkten künstlichen Bewässerung ausgleichen?

Bewässerung ist wichtig, aber sie hat auch Folgen auf den Wasserkreislauf. Da muss man vorsichtig sein, die Bauern entnehmen zur künstlichen Bewässerung nicht unerhebliche Mengen Grundwasser. Außerdem ist Trockenheit nur eine von vielen Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Es verbreiten sich langsam auch neue Insektenarten und Schädlinge in Regionen, in denen sie zuvor nicht leben konnten. Und die Menge an Kohlendioxid in der Luft steigt: Vor der Industrialisierung lag sie noch bei 250 parts per million, kurz ppm; das ist die dafür gebräuchliche Maßeinheit. Heute liegt sie bereits bei 400 ppm, und Ende des Jahrhunderts wird sie bei 800 ppm liegen.

Was macht das mit den Pflanzen?

Genau das beobachten wir zurzeit in Klein-Altendorf bei Bonn. Hier simulieren wir ein Stück weit die Zukunft: In den Feldern dort haben wir ein Experiment aufgebaut, in dem wir aus einem Kreis von Röhren mit fast 18 m Durchmesser CO2 freisetzen und damit beobachten, wie sich verschiedene Genotypen von Nutzpflanzen wie Getreide und Kartoffeln in Zukunft verhalten werden. CO2 an sich ist kein Problem für Pflanzen, schließlich brauchen sie es für die Photosynthese. Andere Faktoren wie Dürre, bestimmte Schädlinge oder auch die sich ändernden Bedingungen im Boden hingegen bereiten den Pflanzen erhebliche Probleme.

Was lässt sich dagegen tun?

Der erste Schritt ist, zu verstehen: Was setzt die Pflanzen unter Stress, wie reagieren sie auf welche Veränderungen und Umweltreize? Ganz besonders wichtig sind hier die Wurzeln im Boden, aber darüber wissen wir ganz wenig. Sie lassen sich nur schwer untersuchen, ohne sie aus ihrem natürlichen Boden zu entnehmen oder diesen zumindest zu „stören“. Dazu benutzen wir ganz besondere Versuchsanlagen: Magnetresonanztomographen, kurz MRT, und Positronen-Emissions-Tomographen, kurz PET kennt man sonst eigentlich nur aus der Medizin. Damit durchleuchten wir regelmäßig die Bodensäulen. Mit unseren Geräten können wir ganz genau beobachten, wie die Wurzeln wachsen, wir können mit dem PET sogar den Transport von Kohlenstoff in den Wurzeln verfolgen. Wir gewinnen eine ganze Menge Daten, die es auszuwerten gilt. Dabei wird auch künstliche Intelligenz eingesetzt. Das Thema künstliche Intelligenz steht auch bei unserer gemeinsamen Forschung mit den Kollegen aus Israel im Zentrum.

Welche Erkenntnisse bringen solche Daten, und welchen Nutzen haben sie?

Der Biologe Prof. Ulrich Schurr leitet den Bereich „Pflanzenwissenschaften“ des Instituts für Bio- und Geowissenschaften am Forschungszentrum Jülich. Bild: FZJ

Wir erfahren zum Beispiel, wie genau wir bewässern müssen, damit die Wurzeln ideal wachsen. Und was Eingriffe von außen, auch von bestimmten Schädlingen, mit den Pflanzen machen. Dabei helfen uns, unter anderem, neue Technologien. Wenn wir zum Beispiel wissen, welche Schädlinge besondere Probleme machen, dann können wir diese gezielt ausschalten. Mittlerweile gibt es Experimente mit Schwärmen von Drohnen, die miteinander kommunizieren und ein Feld gezielt nach Schädlingen durchsuchen. Werden Schädlinge gefunden, dann werfen die Drohnen zukünftig automatisch mehrere Bodenroboter los, die an den entsprechenden Stellen eine gezielte Behandlung durchführen. Das klingt für Außenstehende wie Science Fiction, aber ich rechnen damit, dass Landwirte in fünf bis sieben Jahren solche Flotten von Drohnen und Robotern zur Verfügung haben werden.

Wieder künstliche Intelligenz und Technologie. Die Landwirtschaft wird technologisiert.

Ja, ein Stück weit, aber das ist nicht automatisch etwas Negatives. Durch die Drohnen zum Beispiel wird ermöglicht, dass Pestizide gezielter eingesetzt werden, und nicht mehr das ganze Feld behandelt werden muss. Insgesamt wird die Landwirtschaft auch biologischer. Damit meine ich nicht nur den Trend hin zum Bioanbau von Nutzpflanzen. Die Landwirtschaft spielt auch zunehmend eine Rolle bei der Gewinnung von Biomaterialien für die Industrie und den Alltag. Das in der Öffentlichkeit am meisten diskutierte Beispiel ist Biosprit, aber es gibt auch viel smartere Lösungen – zum Beispiel als Rohstoffe für biobasierte Materialen, Chemikalien und Arzneimittel.

Müssen dafür nicht die Pflanzen selbst verändert werden?

Natürlich ist ein wesentlicher Treiber des Fortschritts in der Landwirtschaft, Pflanzen perfekt an die Umgebung anzupassen – sei es für die Produktion von Materialien für Bioplastik oder für tiefer reichende Wurzeln zur besseren Wasserversorgung. Dazu versuchen wir Gene zu identifizieren, die für die jeweiligen gewünschten Eigenschaften verantwortlich sind. Ein Beispiel: Es gibt wilde Tomaten, die sind enorm resistent gegen Trockenheit. Die Kollegen haben Gene identifiziert – und versuchen nun Tomatensorten in diese Richtung zu züchten. Klar, am einfachsten wäre es, die neuen molekularbiologischen Verfahren wie CRISPR, deren Entdeckerinnen in diesem Jahr den Nobelpreis gewonnen haben, in die Gene einfach einzufügen. Aber das ist in Deutschland ja ein sehr sensibles Thema, man spricht dann schnell von genmanipulierten Pflanzen, und die Akzeptanz beim Verbraucher sinkt. Also züchten wir die Pflanzen weiter klassisch: Diejenigen Pflanzenlinien, die geeignete Gene aufweisen, selektieren wir. Das geht auch, es ist nur eben ziemlich aufwändig und dauert deutlich länger.

Apropos Verbraucher: Welche Rolle spielt er in der vom Klimawandel beeinflussten Landwirtschaft?

Der Verbraucher nimmt eine zentrale Stellung ein. Er ist der Treiber dafür, dass ein ständiger Druck herrscht, mehr Ertrag zu bekommen auf weniger Fläche. Denn die Landwirtschaft auf diesem Planeten muss eine wachsende Zahl an Menschen ernähren, die wiederum zunehmend mehr konsumieren – und die landwirtschaftliche Fläche schrumpft seit Jahren. Dieser Verknappung könnte der Verbraucher entgegenwirken, indem weniger Nahrungsmittel weggeworfen werden. In den Industrieländern wandern fast 40 Prozent des gekauften Obsts und Gemüses in den Müllkorb. Das wurde alles vorher aufwändig produziert.

Ein weiterer Ansatzpunkt, um die Landwirtschaft zu unterstützen.

So ist es. Das Klima, das Wetter, die Landwirtschaft und die Verbraucher – diese Faktoren sind direkt und indirekt miteinander verbunden. Zum Beispiel beeinflusst der Klimawandel nicht nur die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft beeinflusst und verstärkt auch den Klimawandel zum Beispiel durch Kühe, die große Mengen klimaschädlicher Methangase ausscheiden. Um bei Ernährung, Landwirtschaft und Klimawandel Probleme zu lösen und künftige Herausforderungen zu meistern, muss man alles zusammendenken.

Israelisch-Deutsche Forschungskooperation

Am 19. Oktober 2020 fand die vom Helmholtz Israelbüro initiierte Kickoff-Veranstaltung „Agricultural Innovation and Adaptation to Climate Change“ in Kooperation mit dem Volcani Forschungszentrum für Agrarwirtschaft und in Anwesenheit der Landwirtschaftsminister beider Länder im Online-Format statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurde die Kooperation zwischen dem Volcani Center und den Helmholtz-Zentren Forschungszentrum Jülich sowie dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ, in folgenden Forschungsbereichen bekanntgegeben:

Volcani & Forschungszentrum Jülich:

  • Verbesserung der Wasser- und Nährstoffnutzungseffizienz in Landwirtschaftlichen Systemen
  • Nachhaltige Nutzung der Ressourcen Boden und Wasser
  • Verbesserung der Eigenschaften von Nutzpflanzen, Pflanzenschutz und Phänotypisierung bei dynamischen Umweltveränderungen

Volcani & UFZ:

  • Nachhaltige Nutzung von Wasser- und Bodenressourcen
  • Inwertsetzung landwirtschaftlicher Abfälle

Das gemeinsam erklärte langfristige Ziel ist es, in 2021 Workshops zu den gemeinsam definierten Forschungsbereichen in Israel und in Deutschland auszuführen und somit das zwischen beiden Ländern im Jahr 2012 offiziell beschlossene bilaterale Abkommen zur bilateralen Zusammenarbeit im Bereich "Scientific-technical cooperation in the area of research on agriculture and nutrition" offiziell zu verlängern und diesem neue Impulse zu geben.

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