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Permafrost

Gefahr aus der Kälte

Foto: Alfred-Wegener-Institut/Jaroslav Obu

Im gefrorenen Boden der Arktis schlummern Krankheitserreger vergangener Tage. Aufgrund der globalen Erwärmung können sie nun wieder gefährlich werden.

Ein Eichhörnchen brachte die Forscher auf die Spur der Riesenviren: Wie jedes Jahr hatte der Nager seine Vorräte im Erdboden vergraben – und sie anschließend vergessen. 30.000 Jahre später entnahmen Geologen an genau einer dieser Stellen eine Bodenprobe. Als der französische Genetiker Jean-Michel Claverie von der Universität Aix-Marseille/CNRS von der Besonderheit des Fundorts erfuhr, weckte ihn die Neugier: Die Probe war eine biologische Zeitkapsel. Sie stammte aus dem sibirischen Permafrost: So nennt man Böden, die das ganze Jahr über viele Meter tief gefroren sind und lediglich im Sommer an der Oberfläche kurz auftauen. Sie umfassen rund 20 bis 25 Prozent der Landflächen auf der Nordhalbkugel, die meisten davon in Russland, Alaska, Kanada und Grönland. Rund vier Millionen Menschen leben in diesen Regionen. Für sie ist das Auftauen im Sommer jedes Mal eine Herausforderung: Der ehemals harte Boden wird dann weich und macht Gebäude und Straßen instabil, die auf ihm liegen. Doch wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, ist das ist nicht die einzige Gefahr, die er birgt. 

So beschrieben Claverie und seine französischen Forscherkollegen im Sommer 2015 gleich zwei neue Arten von Riesenviren in der vergleichsweise kleinen Bodenprobe – für sie ein Beweis dafür, dass die Vielfalt von Viren und Bakterien in prähistorischen Zeiten größer war, als bisher angenommen. Bisher ging man davon aus, dass Viren grundsätzlich wesentlich kleiner als Baktierien sind. Riesenviren sind dagegen so groß, dass man sie bereits unter einem normalen Mikroskop erkennen kann. Welche Eigenschaften sie haben, lässt sich schwer vorausahnen – für Menschen und Tiere sind zumindest die Viren aus den bisherigen Funden nicht gefährlich.

Die Forscher um Claverie mahnen trotzdem zur Vorsicht: „Wir können nicht ausschließen, dass alte herpes- oder pockenähnliche Viren aus vorzeitlichen sibirischen Tier- oder Menschenpopulationen wieder auftauchen, wenn die arktischen Permafrostschichten schmelzen oder durch industrielle Aktivitäten gestört werden“, schrieben sie 2015 im Fachblatt PNAS. Gerade ein Pockenausbruch wäre verheerend: Die Krankheit gilt seit vierzig Jahren als ausgerottet. Seitdem werden Menschen nicht mehr gegen Pocken geimpft – ein potentieller Ausbruch würde zunächst auf schutzlose Opfer treffen. Auch das Milzbrand-Bakterium Bacillus anthracis ist ein Kandidat für das plötzliche Wiederauftreten einer Krankheit. Nur ein Jahr nach Claveries Bericht forderte es seinen Tribut.

Der Sommer 2016 war auf der nordsibirischen Halbinsel Jamal so heiß wie schon lange nicht mehr. Hier ist die globale Erwärmung deutlich zu spüren: In der Arktis schreitet die Klimaerwärmung etwa doppelt so schnell voran wie in anderen Regionen der Welt. Die ungewöhnliche Hitze taute den Boden so weit auf, dass ein altes Grab von Rentieren berührt wurde, das nach einem Milzbrand-Ausbruch vor vielen Jahren angelegt worden war. Der Erreger befällt vor allem Paarhufer wie Rentiere, kann aber auch auf Menschen übertragen werden, weshalb man von einer Zoonose spricht.

Das Milzbrand-Bakterium kann in gefrorenem Boden mehr als 100 Jahre überdauern. Bei dem Ausbruch im Juli dieses Jahres gelangte er durch die getaute Erde an die Oberfläche und infizierte über siebzig Menschen, ein Junge starb an der Erkrankung. Die Gefahr eines erneuten Ausbruchs besteht weiter, sagt Boris Revich, Epidemiologe an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. 2011 hatte er im Fachblatt Global Health Action einen Bericht zu den Begräbnisstellen von Rentieren in Sibirien veröffentlicht, in dem er die mangelnde Überwachung der Stellen anmahnt – was die ohnehin schwierige Versorgung in der Region erschwert. „Das Gebiet ist riesig“, sagt der Forscher. „Medizinische Einrichtungen sind von den Orten der indigenen Gruppen weit entfernt, die Kadaver der Rentiere, die an Milzbrand gestorben sind, liegen weit verstreut.“

Die globale Erwärmung sorgt aber auch über der Erde dafür, dass die Bevölkerung der Arktis vor neuen Herausforderungen steht. Krankheitsüberträger wie Zecken oder kleine Nager können weiter in den Norden vordringen und dort Menschen infizieren. So befindet sich beispielsweise die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) in Sibirien auf dem Vormarsch. „Mit dem Wandel der Ökosysteme werden auch Zoonosen und Krankheitskeime ihre Territorien ändern und in neue Gebiete vordringen“, sagt die schwedische Forscherin Birgitta Evengård, Leiterin der Abteilung Infektionskrankheiten am Institut für Mikrobiologie der Universität Umeå.

Als Infektionsmedizinerin mit dem nördlichsten Sitz ihres Metiers sorgt sie sich insbesondere um den Gesundheitszustand der arktischen Bewohner, die von den neu auftretenden Krankheiten betroffen sind. 2014 rief sie bei einem internationalen Kongress gemeinsam mit Kollegen wie Boris Revich zur Etablierung einer Arbeitsgruppe auf, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung in Permafrost-Regionen befasst. „In der Arktis gibt es viele indigene Völker“, sagt sie. „Es ist ihr gutes Recht und wir sollten dafür sorgen, dass sie ihren bisherigen Lebensstil fortsetzen können, vor allem, da der Klimawandel zum größten Teil in anderen Teilen der Welt vorangetrieben wird.“ 

Zum Weiterlesen:

Permafrost - "Da taut sich was zusammen"

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