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Nachhaltige Landwirtschaft

Eine Frage der Erde

Bild: Pixabay/Catkin

Die Landwirtschaft steckt in der Zwickmühle: Sie soll die Menschheit ernähren und nachwachsende Rohstoffe liefern, zugleich aber steht sie als Klimawandeltreiber, Tierausbeuter und Insektenkiller am Pranger. Wie kann eine nachhaltige Landwirtschaft gelingen – und: Sind Biobetriebe wirklich die Lösung?

"Oh Gott! Das geht doch nicht!“ Landwirt Jochen Hartmann erinnert sich genau an seine erste Reaktion an jenem Januartag im Jahr 2017. An seinem Küchentisch hat sie gesessen, eine ganze Gruppe von Fachleuten, die auf ausgewählten Bauernhöfen Methoden testen wollte, um die Artenvielfalt in Agrarlandschaften zu erhalten. Was sie vorschlugen, widersprach vielem, was Jochen Hartmann einst gelernt hatte: Einen zwölf Meter breiten Blühstreifen solle er anlegen, Schafgarbe, Fenchel, Dill und weitere Kräuter, als Futterquelle und Rückzugsort für Tiere. Zwölf Meter Durcheinander, mitten im Feld. Aber der Landwirt ließ sich auf das Experiment ein: „Mir war klargeworden, dass sich etwas ändern muss in der Art, wie wir Landwirtschaft betreiben“, sagt er.  

Jochen Hartmann erklärt, wie Blühstreifen und Rückzugsinseln für Vögel mitten auf dem Acker für mehr Artenvielfalt sowie nachhaltige und hohe Erträge sorgen. Bild: Hof Hartmann

Die Ausgangslage ist klar: Die Biodiversität geht zurück, Methan- und Lachgasemissionen aus Viehzucht und Ackerbau treiben die Erderwärmung an und immer wieder sorgen erschreckende Zustände in der Tierhaltung für Schlagzeilen – dies sind nur drei Aspekte, die die Diskussion um die Zukunft der Landwirtschaft befeuern. 
Jochen Hartmann wollte nicht nur diskutieren, sondern etwas tun. Er bewarb sich beim Projekt F.R.A.N.Z. (Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft), zu dem sich von Ministerien über Wissenschaftler und Umweltschutzorganisationen bis zum Bauernverband viele Initiatoren zusammengeschlossen haben. Landwirt Hartmann mit seinem Hof nahe Lüneburg wurde ausgewählt und bald darauf am Küchentisch beraten. „Bei der Idee mit dem Blühstreifen habe ich kurz gezögert“, erzählt er, „aber dann zugestimmt.“ Die fehlenden Erträge gleichen die Landwirtschaftliche Rentenbank und das Bundesamt für Naturschutz aus. Heute ist Jochen Hartmann stolz auf den Streifen: Verschiedenste Insekten sind dort zu Hause, Feldlerche und Feldhase finden Schutz, die Vielfalt kehrt zurück. 

„Solche Maßnahmen sind dringend nötig“, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Halle. Biodiversität und funktionierende Ökosysteme seien grundlegend für die Nahrungsmittelversorgung. „Das beginnt bei Bestäubern, ohne die es keine Früchte gibt, und geht bis zu Lebewesen, die Schädlinge fressen oder den Boden locker und fruchtbar halten.“ Bezogen auf Deutschland sorgt er sich besonders ums Grünland – der Begriff umfasst Wiesen im weitesten Sinne. Seit 1991 sind mehr als 600.000 Hektar umgebrochen worden, meist zu Ackerland, das sind mehr als zehn Prozent. „Die verbleibenden Flächen werden oft intensiver bewirtschaftet“, sagt Josef Settele. Es werde häufiger gemäht, was Bodenbrütern wie dem Kiebitz zum Verhängnis wird, und es werde mehr gedüngt, sodass sich nur wenige schnell wachsende Gräser durchsetzten. Die einst bunten Wiesen seien verarmt, kaum ein Schmetterling sei noch zu sehen. „Wir stellen überall Artenverlust fest, aber beim Grünland gehen die Kennzahlen so deutlich nach unten wie bei keinem anderen Lebensraum“, sagt der Agrarbiologe. 

„Ideal wäre es, sinnvolle Ansätze von „bio“ und „konventionell“ zu vereinen. So ist eine Landwirtschaft möglich, die mit der Umwelt vereinbar ist und trotzdem hohe und sichere Erträge bringt.“

Eine komplette Umstellung auf Biolandbau, der ohne Pestizide und mineralische Dünger arbeitet, ist seiner Meinung nach aber keine unmittelbare Lösung. „Für die Biodiversität, für Böden und Gewässer ist er vorteilhaft, aber wir brauchen eine Umstellungsphase, bei der die Landwirte mitgenommen werden.“

Angesichts der rapide wachsenden Weltbevölkerung sei es wichtig, Ertragsstabilität zu erhalten, was zunächst konventionelle Erzeugung unbedingt erforderlich macht. Diese sollte aber auf mehr Nachhaltigkeit ausgerichtet werden, sagt Josef Settele.  

Schweine fühlen sich wohler, wenn sie in der Erde wühlen können. Das natürliche Kratzbedürfnis von Rindern hingegen kann mit sensorgesteuerten, rotierenden Bürsten gestillt werden. Bild: Pixabay/Michael Strobel

Besonders leidenschaftlich wird die Frage „bio“ oder „konventionell“ bei der Tierhaltung diskutiert. Hier die glücklichen Kühe auf der Weide, dort die geschundenen Hochleistungsrinder im Großstall, so das verbreitete Stereotyp. „Die Wirklichkeit sieht oft anders aus“, sagt Eva Gallmann vom Fachgebiet für Tierhaltungssysteme an der Universität Hohenheim. „Da gibt es durchaus noch Anbindehaltung in Biobetrieben, wo die Kühe nicht durch den Stall laufen können, und in Großanlagen haben Rinder verhältnismäßig mehr Platz zum Laufen und rotierende Bürsten, um sich zu reinigen oder abzulenken.“ Wo sich die Tiere wohler fühlten, sei nicht klar zu beurteilen, sagt die Expertin: „Entscheidend sind die Menschen – ob sie zum Beispiel rasch erkennen, wenn es einem Tier nicht gut geht, und dann handeln.“

Mit computer-gestützten Landmaschinen und Drohnen beobachten Landwirte den Zustand ihrer Pflanzen und können so beispielsweise bei Schädlingen gezielt eingreifen. Bild: Pixabay/Herney Gómez

Eva Gallmann zufolge lässt sich auch in der konventionellen Haltung mit wenig Aufwand viel für das Tierwohl erreichen. „Bei Schweinen kann man mit etwas Erde dem natürlichen Wühlbedürf-nis nachkommen oder Ruhezonen schaffen, wo sich die Tiere aneinanderkuscheln können.“ Auch ein Auslauf sei sinnvoll. Maßgeblich ist aber nicht nur die Haltungsform, sondern auch die Züchtung: Laut Milchindustrieverband gibt jede Kuh in Deutschland durchschnittlich 8.059 Kilogramm Milch im Jahr – das ist fast doppelt so viel wie 1984. Hochleistungskühe haben aber oft Stoffwechselprobleme oder schmerzende Beine“, sagt Eva Gallmann. Das ändere sich allerdings allmählich: Heute werde in der Zucht wieder mehr auf die körperliche Fitness der Tiere geachtet. 

Etliche Landwirte verzichten bewusst auf „Turbokühe“ und setzen auf eine schonende Tierhaltung. Doch ausgerechnet die ist fürs Klima schlechter als eine leistungsorientierte. „Wenn man sich die erzeugten Mengen an Milch oder Fleisch anschaut, ist die intensive Haltung weniger klimaschädlich“, sagt Klaus Butterbach-Bahl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Manche Rinder in Entwicklungsländern hätten eine deutlich schlechtere Bilanz an Treibhausgasen als ihre Artgenossen in den Großställen der westlichen Welt: Sie brauchen wegen knapper Nahrung viel länger, um zu wachsen oder eine bestimmte Menge Milch zu geben; dennoch stoßen sie zeitlebens Methan aus. „Das heißt nicht, dass ich Intensivhaltung super finde, aber diesen Zusammenhang sollte man kennen“, sagt der Biologe.

In Deutschland kommen rund sieben Prozent der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft, rund die Hälfte davon aus der Tierhaltung. Maßgeblich ist dabei Methan, das unter anderem aus der Verdauung von Wiederkäuern wie Rindern und Schafen stammt. „Wer etwas fürs Klima tun will, sollte den Fleischkonsum deutlich reduzieren und möglichst auf Wiederkäuer verzichten und Schwein oder Geflügel wählen“, sagt Klaus Butterbach-Bahl.  

Das zweite Problem neben Methan ist Stickstoff, der über Dünger auf die Felder kommt. Anstelle einer massiven Düngung im Frühjahr, wo noch kaum Pflanzen da sind, empfiehlt der KIT-Forscher, zwei- bis viermal pro Jahr aufs Feld zu fahren und den realen Bedarf zu decken. „Hinzu kommt: Ein Feld ist nicht homogen, über wenige Meter kann sich der Nährstoffgehalt im Boden ändern“, ergänzt er. „Mit Precision Farming, das Daten zur Pflanzengesundheit von Drohnen oder Satelliten nutzt, kann der Landwirt auf den Meter genau passend düngen oder Pflanzenschutzmittel ausbringen – da ist noch großes Potenzial.“ Hoffnung setzen Forscher auch auf moderne Züchtungsverfahren, die auf der Genschere CRISPR/Cas9 basieren. Mit ihnen können Gene gezielt ein- oder ausgeschaltet oder ins Erbgut eingefügt werden. „Die Methode ist preiswert und bereits bei gut 100 Pflanzen zum Einsatz gekommen, etwa bei Bananen, Maniok oder Kartoffeln“, sagt Matin Qaim, Agrarökonom an der Universität Göttingen. Kartoffeln etwa ließen sich so verändern, dass sie gegen Kraut- und Knollenfäule gewappnet seien – Probleme, denen Landwirte üblicherweise mit großen Mengen an Fungiziden begegnen. „So kann Pflanzengentechnik helfen, den Pestizideinsatz zu verringern, und zur Biodiversität beitragen.“ 

Dass die Gentechnik umstritten ist, weiß Matin Qaim nur zu gut. „Wir können hier in Europa auch ohne die Technologie wirtschaften und werden satt“, sagt er. „Aber in ärmeren Ländern könnte die Gentechnik vor allem bei fortschreitendem Klimawandel zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung beitragen.“ Landwirt Jochen Hartmann schließt Gentechnik nicht kategorisch aus, setzt zunächst jedoch auf Methoden, die er kennt und selbst gestalten kann – unabhängig davon, ob sie „bio“ oder „konventionell“ sind. „Dieser Streit bringt nichts“, sagt er. „Ideal wäre es, sinnvolle Ansätze von beiden zu vereinen.“ Kreislaufwirtschaft, Maßnahmen für mehr Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit, wenig Pestizide. „Dann ist eine Landwirtschaft möglich, die mit der Umwelt vereinbar ist und trotzdem hohe und sichere Erträge bringt.“ 

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