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Portrait

Die Lösung steckt im Boden

Michael Kühn

Michael Kühn ist Leiter der Sektion Hydrogeologie am Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. Foto: Karla Fritze

Michael Kühns Lieblingsthema heißt Geothermie. Der Potsdamer Chemiker ist überzeugt davon, dass die Energiewende ohne die Ressourcen aus dem Untergrund nicht zu schaffen ist.

Mehr erneuerbare Energien, weniger Treibhausgase und schon bald kein Atomstrom mehr: Mit seinem Energiekonzept von 2011 gilt Deutschland weltweit als Vorreiter. Die Strategie der Bundesregierung sieht vor, dass bis Mitte des Jahrhunderts rund 60 Prozent des Bedarfs an Strom, Wärme und Treibstoff aus regenerativen Quellen gedeckt werden. Und zwar allzeit zuverlässig und kostengünstig. Der Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid soll im Vergleich zum Jahr 1990 gar um bis zu 95 Prozent gesenkt werden. Doch werden diese ehrgeizigen Ziele allein mit Windenergie und Sonnenkraft zu erreichen sein?

„Ohne die Nutzung der Georessource Untergrund ist die Energiewende nicht zu schaffen“, sagt Michael Kühn. Am GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam leitet der studierte Chemiker die Sektion Hydrogeologie, an der Universität Potsdam bildet er den Geologen-Nachwuchs aus. Kühn ist begeistert von den Energiepotentialen des unterirdischen Raums und gern erläutert er Laien die Gründe dafür, sei es beim Berliner Industriegespräch oder bei Vorträgen im Deutschen Museum in München.

Wer dem Potsdamer Wissenschaftler zuhört, erfährt, dass im Boden gleich mehrere Lösungen für die Energiewelt von morgen stecken. Dort lassen sich nicht nur Wärme und Kälte, sondern auch Strom gewinnen. In unterirdischen Poren, Klüften und Kavernen kann zudem überschüssige Energie aus regenerativen Kraftwerken in Form von Methangas gespeichert werden. Derzeit müssen Windräder an stürmischen Tagen oft noch abgeschaltet werden, weil die Stromproduktion den Bedarf übersteigt und für den Überschuss nicht genügend Speicherkapazität bereit steht. An windstillen Tagen fehlt dann die entgangene Energie. Als Ausweg aus dem Dilemma bieten sich unterirdische Erdgasspeicher an: „Bis zum Jahr 2050 könnten sie rund 60 Prozent des Speicherbedarfs decken“, prognostiziert Kühn.

Eines seiner Lieblingsthemen ist die Geothermie, also die Produktion von Wärme und Kälte aus dem Boden. Geothermie sei überall verfügbar, schwärmt der 47-Jährige, sie stehe uns als klimaneutrale Ressource dauerhaft zur Verfügung und könne einen erheblichen Beitrag zur künftigen Versorgung leisten. Die flache Geothermie, gewonnen aus Tiefen von bis hundert Metern, wird heute schon vielerorts genutzt, um Gebäude zu heizen oder zu kühlen. Die Nutzung tiefer Geothermie, vor allem für Nah- und Fernwärme, beginnt bei rund 1500 Metern unter der Erdoberfläche. Wenn die Temperaturen in der Tiefe hoch genug sind, kann damit aber auch Strom produziert werden. Bisher geschieht das nur im Versuchsmaßstab: „Eine großtechnische Produktion von Strom durch Geothermie ist hierzulande noch Zukunftsmusik“, sagt Michael Kühn.

Welche Risiken mit geothermischen Projekten verbunden sind, zeigte das Erdbeben im Großraum Basel im Jahr 2006. Dort sollte eine Bohrung das Potential für die Energiegewinnung aus tiefen Schichten erkunden. Das Vorhaben wurde inzwischen wegen zu großer Unwägbarkeiten eingestellt. Zwei Jahre später stand im Breisgau plötzlich ein ganzes Dorf schief. Bei der Installation von flachen Erdwärmesonden war Wasser von einer Bodenschicht in andere Schichten gelaufen. Dadurch quoll die Gesteinsschicht auf und es kam zu Hebungen an der Oberfläche. Viele Häuser in der Gemeinde Staufen wurden beschädigt, einige mussten abgerissen werden. Schuld sei nicht die Geothermie an sich, davon ist Michael Kühn überzeugt: „Die Bohrung war einfach nicht gut gemacht.“

Ganz ausschalten lassen sich die Risiken beim Eingriff in den Untergrund nicht, aber durch sorgfältige Planung, Ausführung und Überwachung können sie minimiert werden. Die dazu nötigen Vorarbeiten will der Potsdamer Wissenschaftler erleichtern. Mithilfe von Computersimulationen versucht er, die Wechselwirkungen im Untergrund zu erfassen und Methoden zu entwickeln, mit denen sich die Energieressourcen der Tiefe wirtschaftlich, sicher und nachhaltig nutzen lassen. Dass das Potential in Deutschland groß ist, weiß man, wie viel an welchen Orten genau vorhanden ist, rechnet Michael Kühn mit seinem Team aus.

Für seine Forschung hat er wieder mehr Zeit, seit er vor drei Jahren die Sektion Hydrogeologie übernommen hat. Vorher war er für ein Pilotprojekt zur langfristigen Lagerung von Kohlendioxid im Untergrund verantwortlich. Der in der Öffentlichkeit umstrittene Versuch findet in dem westlich von Berlin gelegenen Ort Ketzin/Havel statt. Man habe bereits nachweisen können, dass eine sichere und verlässliche Speicherung des Treibhausgases möglich sei, sagt Kühn. Vor allem in Schwellenländern, in denen immer mehr Kohle verfeuert wird, sei die unterirdische Lagerung von Treibhausgasen eine klimaschonende Alternative.

„Der Umweltschutz lag mir schon früh am Herzen“, sagt Michael Kühn. Sein Faible für die anwendungsnahe Forschung habe er während seiner Doktorarbeit im Fach Geochemie an der Universität Bremen entdeckt. Nach akademischen Stationen in Bremerhaven, Hamburg, Australien und Aachen kam Kühn im Jahr 2007 ans GFZ. Neben Forschung und Lehre kümmert er sich als Leiter der institutseigenen Technologietransfer-Zentren vor allem um die praktische Umsetzung von Ideen aus seinen Forschungsfeldern.

In der knappen Freizeit veranstaltet Michael Kühn gern seinen privaten Triathlon und läuft, schwimmt und radelt für die Gesundheit. Täglich pendelt er zwischen Potsdam und Berlin, wo er mit seiner Frau lebt. Sie schreibt Drehbücher. Seine 28-jährige Tochter ist bald fertig mit der juristischen Ausbildung und der 26-jährige Sohn studiert Architektur. Wenn man sich trifft, berichtet jeder aus einer anderen Welt und die „Unterwelt“ gehört selbstverständlich dazu.

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