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Portrait

Sonnenenergie für Fortgeschrittene

Thomas Klinger ist Professor für experimentelle Plasmaphysik an der Universität Greifswald, Direktoriumsmitglied am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und wissenschaftlicher Leiter der Fusionsanlage Wendelstein 7-X: Bild: IPP, Silke Winkler

Thomas Klinger ist Direktor eines der komplexesten deutschen Forschungsgeräte. Sein Ziel: die Kernfusion.

„Natürlich kenne ich die Bedenken, die manche bei unserer Forschung haben. Die Kernfusion komme schlicht zu spät – bis sie funktioniere, brauche man sie nicht mehr. Andere wollen lieber dezentrale Energiequellen als große Reaktoren, und manche sträuben sich auch schlicht gegen alles, was mit nuklearer Energie zu tun hat. Dabei kann das, woran wir forschen, ein wichtiger Beitrag zur Lösung der Energieprobleme auf der Welt werden. Kernfusions-Reaktoren sind nicht zu vergleichen mit klassischen Atomkraftwerken, in deren Reaktionskammern der Brennstoff tonnenweise lagert – die Brennkammer für die Kernfusion würde ein einziges Gramm Gas enthalten.

Es ist das gleiche Prinzip, nach dem die Sonne funktioniert: Leichte Kerne verschmelzen zu schwereren. Dass das klappt, ist schon lange nachgewiesen. Wir arbeiten jetzt daran, dass diese Fusionsprozesse möglichst häufig funktionieren. Dazu dient unsere Fusionsforschungsanlage Wendelstein 7-X in Greifswald. Im Innersten von Wendelstein 7-X befindet sich eine ringförmige Kammer, die Torus genannt wird. Sie sieht aus wie ein riesiger, verwundener Traktorreifen, elf Meter im Durchmesser. Darin erzeugen wir Wasserstoffplasma – ein Gas, das mehr als 100 Millionen Grad heiß ist. Um diese hohen Temperaturen zu erreichen, darf das Plasma nicht mit der Toruswand in Kontakt kommen. Deshalb halten wir es mit einem Magnetfeld, das wir mit starken Magneten erzeugen, in der Mitte der Kammer fest.

Leichte Kerne verschmelzen zu schwereren. Dass das klappt, ist lange bewiesen.

In einem künftigen Kraftwerk werden bei den hohen Temperaturen die Atome aus schwerem und superschwerem Wasserstoff zu Helium fusionieren. Quasi als Nebenprodukt der Fusion entstehen Neutronen, die sich vom Magnetfeld nicht beeinflussen lassen. Sie treten deshalb mit hoher Geschwindigkeit in spezielle Wandelemente des Torus ein und erhitzen diese durch ihre Bewegungsenergie. Aus dieser Wärme können wir Dampf erzeugen und mit Hilfe von Generatoren elektrische Energie herstellen. Das ist in Kürze das Prinzip, wie die Kernfusion funktioniert. Theorien und auch Experimente dazu gibt es schon seit den 1950er Jahren. Es sind immer neue Generationen von Versuchsanlagen entstanden, in die alle neuen Erkenntnisse eingeflossen sind. Unsere Anlage Wendelstein 7-X ist seit zwei Jahren in Betrieb, sie stellt die neueste Generation dar. Auf den heutigen Stand kamen wir nur dank des Fortschritts in anderen Disziplinen: Superrechner zum Beispiel und neue Erkenntnisse in der numerischen Mathematik waren die Voraussetzung dafür, dass wir die Anlage bauen konnten.

In unserem Wendelstein 7-X haben wir bereits Wasserstoff-Plasmen erzeugt. Unser nächstes Ziel ist jetzt, ein solches Plasma nicht nur für kurze Zeit zu erzeugen, sondern für eine halbe Stunde. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem künftigen Dauerbetrieb, wie er für die Energieerzeugung nötig wäre. Ich werde oft gefragt, ob unsere Generation noch einen Kernfusionsreaktor erlebt. Das hängt ein bisschen davon ab, antworte ich dann, wie gut wir uns pflegen. Aber ganz im Ernst: Unsere Arbeit ist Vorsorgeforschung für die zweite Hälfte des Jahrhunderts. Für unsere Generation reichen die vorhandenen Energiequellen noch locker aus. Aber ich fände es egoistisch, deshalb nicht zu forschen. Wir müssen heute die Grundlagen dafür legen, dass auch unsere Kinder und Enkel ausreichend Energie haben werden – und genau daran arbeiten wir.“

Mehr zum Thema:

Der Wendelstein 7-X: Resonator-Podcast mit Thomas Klinger

Kernfusion. "Der Spätstarter"

Kernfusion: "Das Sonnenprinzip" 

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