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Energienetz

Big Data hilft bei klimafreundlicher Stromversorgung

Bild: KIT

Detaillierte Wettervorhersagen sowie Verbrauchsdaten sind für eine ressourcenschonende Stromversorgung unverzichtbar. Netzbetreiber und Wissenschaftler arbeiten gemeinsam an einem intelligenten Netz, das mit den enormen Datenmengen umgehen kann.

In Deutschland kommt ein gutes Drittel des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Im Durchschnitt, denn die Ausbeute von Wind- und Solarkraftwerken hängt stark von der lokalen Wetterlage ab. Plötzliche Flauten oder Wolkenfelder können die Stromerzeugung in kurzen Zeiträumen drastisch reduzieren. Gute Wettervorhersagen mit hoher räumlicher Auflösung sind gefordert, um die Stromeinspeisung und damit Strompreise und Auslastung des Stromnetzes planen zu können. Bis zum Jahr 2050 soll der Anteil an grünem Strom gar auf 80 Prozent anwachsen. Neben Wettervorhersagen werden dann auch große Mengen an Verbrauchsdaten von Industrie und Haushalten für die Regelung der Stromversorgung unverzichtbar sein.

Die Netzbetreiber müssen permanant die Menge an eingespeisten mit dem benötigten Strom in der Waage halten. Gelingt dieser Balanceakt nicht zuverlässig, drohen Engpässe und im schlimmsten Fall sogar ein Kollaps des Systems, ein Blackout. Schnell reagierende Batterien oder Pumpspeicherkraftwerke können helfen, das Gleichgewicht zu halten. Doch die Kapazitäten dieser Strompuffer sind stark begrenzt. Die Netzbetreiber verlangen daher schon heute nach detaillierten Wetterdaten mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung.

Ideal wäre es, zu wissen, wie viel Strom jeder Windpark und jedes Solarkraftwerk nicht nur am kommenden Tag, sondern auch in der nächsten Viertelstunde produzieren wird. Stetig tasten sich Meteorologen an dieses Ziel heran. Beispielsweise arbeitet der Deutsche Wetterdienst DWD gemeinsam mit Forschern des Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel an der Verzahnung von Meteorologie und Energiewirtschaft. Im Rahmen des Projekts EweLiNe - Erstellung innovativer Wetter- und Leistungsprognosemodelle für die Netzintegration wetterabhängiger Energieträger - stehen optimierte mathematische Modelle im Vordergrund, um aus den heute schon verfügbaren Wetterdaten möglichst genaue Kurzfristprognosen für Sonneneinstrahlung und vorherrschende Winde zu entwickeln. "Entscheidend ist es, genau zu berechnen, wie die in Deutschland betriebenen Photovoltaik- und Windenergieanlagen das Wetter in elektrischen Strom umwandeln", sagt IWES-Forscher Malte Siefert. Kurzfristige Windprognosen vergleicht schon der Netzbetreiber TenneT mit den tatsächlich ins Netz eingespeisten Windstrommengen. Große Abweichungen von oft mehr als 70 Prozent sind bisher allerdings keine Seltenheit.

Daher sind noch mehr Wetterdaten von Satelliten und Bodenstationen nötig, um die Genauigkeit der Prognosen zu erhöhen. So wollen Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR ab 2021 mit den europäischen MetOp-Wettersatelliten aus 830 Kilometer Höhe aktuelle Temperaturen und die Abdeckung durch Wolken bis auf 500 Meter genau ermitteln. Möglich wird dies mit dem Instrument METimage, ein Radiometer, dass mit 20 Spektralkanälen vom sichtbaren bis in den Infrarotbereich Erdoberfläche, Atmosphäre und Wolken beobachten wird. Derzeit verfügbare Satellitenmessungen liefern über sechs Spektralkanäle nur eine räumliche Auflösung von mehr als einem Kilometer.

Allein mit immer mehr Wetterdaten und genaueren Prognosemodellen wird das Energiesystem der Zukunft allerdings nicht auskommen. Es gilt, nicht nur die Menge des produzierten Stroms, sondern auch den Verbrauch im ganzen Land möglichst exakt zu ermitteln und ebenfalls für kleine Zeitfenster Tage und Stunden im Voraus zu prognostizieren. "Von Verbraucherseite gibt es bisher allerdings kaum Daten", sagt Dirk Müller, der am Forschungszentrum Jülich und an der Technischen Hochschule RWTH in Aachen arbeitet. Im Rahmen der Helmholtz-Initiative "Energie System 2050" entwickelt er gemeinsam mit Kollegen weiterer Helmholtz-Zentren Techniken, um Verbrauchsdaten effizient zu sammeln, zu verarbeiten und beispielsweise Netzbetreibern zur Verfügung zu stellen.

Der Strombedarf großer Unternehmen etwa für Hochöfen von Stahlproduzenten oder Reaktoren der chemischen Industrie liefert dabei noch eine relativ überschaubare Datenmenge. Doch mit den Millionen an intelligenten Stromzählern, die in den kommenden Jahren in Privathaushalten installiert werden, schwillt die Datenflut enorm an. Diese Smartmeter werden nicht nur die Kilowattstunden für Kühlschrank oder Beleuchtung zählen, sondern zunehmend auch den Strom für das Laden von Elektroautos und elektrisch betriebenen Heizungen. "Denn die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmebereichs wird unweigerlich kommen müssen, um die deutschen Klimaziele erreichen zu können", sagt Müller.

Parallel mit der Verbreitung von Smartmetern werden Müller und seine Kollegen einheitliche Datenformate entwickeln. Dann lassen sich die Verbrauchsdaten effizient in Datenbanken sammeln, Prognose-Modelle erstellen und so für die Netzbetreiber und Stromversorger aufbereiten. "Damit wird dann eine genauere Steuerung der Energiesysteme einfacher werden", ist Müller überzeugt. In Zukunft könnten Smartmeter in jedem Haushalt sogar ein Preissignal empfangen, um Heizung oder Waschmaschine gezielt in Phasen niedriger Strompreise anzuschalten. Lastverschiebung nennen das die Stromexperten. Umgekehrt könnte gespeicherter Strom aus dem Akku des privaten Elektroautos zu Hochpreisphasen in das Stromnetz eingespeist werden. "Technisch ist das machbar und auch sinnvoll, um Lastspitzen zu vermeiden", sagt Müller.

Bis sich jeder Haushalt vom einfachen Verbraucher quasi zum dezentralen Stromhändler verwandeln kann, werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Zentrale Voraussetzung ist ein von der Tageszeit abhängiger Strompreis, an den nicht nur Industriebetriebe, sondern auch private Haushalte ihren Verbrauch anpassen können. Die Energieforscher der Helmholtz-Gemeinschaft werden dazu alle ihre Entwicklungen und Erfahrungen mit Prognosemodulen und Datenbanken öffentlich zugänglich machen, um die Entwicklung voranzutreiben, inklusive Quellcode der Software. "Wir planen eine sehr offene Politik", bestätigt Müller.

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