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Helmholtz Perspektiven 021_4

Helmholtz Perspektiven März – April 2014 25FORSCHUNG Wenn Sergej Nedospasow über die Reform der russischen Wissenschaft räsoniert, bleibt er seinem Forschungsgebiet treu: „Der Schwerkranke gesundet gerade mühsam von einer Tuberkulose- Infektion“, sagt der Moskauer Immunologe in einem Gleichnis, „da erfährt er, dass er sich auch noch mit einem Hepatitis-C-Virus angesteckt hat.“ Erkrankt ist hier die Wissenschaft, angegriffen durch den Tu- berkelbazillus der Reform der Russischen Akademie der Wissenschaften und zusätzlich ausgezehrt durch Hepatitis, das neue System der Projektfinanzierung. Nedospasow, der ein Labor an einem Institut der Akademie leitet und auch einen Lehrstuhl an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität (MGU) inne hat, steht diesen staatlich verabreichten Reformerregern skeptisch gegenüber. Den Abwehr- kampf einer großen Gruppe Wissenschaftler sieht er als natürlich an: eine „Immunreaktion“. Die Reform, die derzeit in Arbeit ist, soll das gesamte russische Forschungssystem umkrempeln. Ziel ist es, die Wissenschaft mit anderen Finanzie- rungs- und Begutachtungsansätzen effizienter zu gestalten – und für mehr internationales Prestige zu sorgen. Präsident Wladimir Putin peilt die Schaffung mehrerer „Forschungsuniversitäten von Weltrang“ bis zum Jahr 2020 an. Das ist eine Herkulesaufgabe, denn bisher findet die Forschung in Russland vor allem an den Akademie-Instituten statt. Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf Die Universitäten sind insbesondere für die Ausbildung zuständig – oft auf vergleichsweise schwachem Niveau. Selbst die führende russische Universität, die MGU, schafft es in verschiedenen internationalen Rankings nicht unter die ersten Hundert. Hinter den Kulissen aber tobt ein Kampf um die Wissenschaftsreform, in dem es um Macht, Eitelkeiten, Traditionen und vor allem um Geld geht. Die Grundlagenforschung wird künftig nicht mehr über einen allgemeinen Posten im Staatshaushalt finanziert, sondern über Projektgelder, für die sich Forscher im Wettbewerb beim Russischen Wissen- schaftsfonds bewerben müssen. Der Fonds soll die Forschungsprioritäten bestimmen. Die Akademie- mitglieder, die einst selbst über ihre Arbeit entschei- den konnten, sind in diesem Gremium nur noch Ratgeber. Zudem entzieht die russische Regierung der Akademie und ihren Institutsleitern das Recht, Grundstücke und Immobilien zu verwalten; dafür ist nun eine neu geschaffene Nationale Agentur zuständig. Die Vermietung war eine bedeutende Ein­nahmequelle für die Akademie, deren öffentliche Dotierung gerade einmal für Gehälter, Strom, Was- ser, Heizung und Müllabfuhr reichte. „Die Reform ist eine bittere, aber nötige Pille” Kritiker sehen in der Reform das Ende der Freiheit, wenn nicht gar den Todeskuss für die russische Wissenschaft. Die altehrwürdige Akademie werde ruiniert, während Ministerialbeamte das Sagen über Professoren und Reagenzgläser erhielten. Hinter der Agentur zur Verwaltung des Eigentums können aus der Sicht vieler Wissenschaftler nur dunkle Hinter- männer stehen, die Geschäfte machen wollen. Der Verdacht wird dadurch befeuert, dass die Autoren des Reformgesetzes im Verborgenen blieben und das Parlament nach einem Hauruck-Verfahren am 18. September vergangenen Jahres zustimmte. Sogar reformorientierte Wissenschaftler warnten vor der „Verwüstung der effektiven Organisation der Wissen- schaft“. Allerdings sind viele Kritiker zuletzt mit ihren Äußerungen vorsichtiger geworden. „Die Staatsma- schine bewegt sich nach eigenen Gesetzen“, sagt ein Moskauer Physiker der Internet-Zeitung gazeta.ru, „und wenn sie will, zerquetscht sie.“ Die Reformbefürworter halten dagegen, dass in Russlands Wissenschaftsbetrieb so viel nicht mehr zu verwüsten sei. Die Akademie bekomme viel Geld und biete wenig Leistung. Die Zahl der wissenschaft- lichen Veröffentlichungen sinke seit gut einem Jahr- zehnt kontinuierlich. Viele der Autoritäten, die heute in der Akademie sitzen, seien in der sowjetischen Zeit als Nomenklatura-Kandidaten dorthin aufge- stiegen und prägten ein Kasten-System. Es gehe vor allem um Macht statt um wissenschaftliche Erkennt- nisse. Da gilt die Reform als bittere, aber nötige Pille. Die unnachgiebige Annahme des Gesetzes habe die Akademie letztlich selbst verschuldet, indem sie jahrelang jede Reform von innen verweigerte. Dass der Entwicklungsstillstand in Russ- lands Wissenschaft überwunden werden muss, ist offensichtlich. Der Braindrain geht weiter, wenn- gleich nicht im selben Ausmaß wie in den neunziger Jahren. Zehntausende russischer Wissenschaftler arbeiten im Ausland, und die Mehrzahl von ihnen plant keine Rückkehr in die Heimat. Ein Universitäts- professor in den USA verdient leicht das Zehnfache seines MGU-Kollegen. Doch lockt keineswegs nur der bessere Verdienst. Vielmehr ist der bürokrati- sche Alltag gerade für junge Wissenschaftler ein wichtiges Argument, Russland zu verlassen. 

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