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Helmholtz-Perspektiven 0215

Helmholtz Perspektiven März – April 2015 11TITELTHEMA tun. Das habe sich gründlich geändert, berichtet Schloter, heute betrachte man ökologische und ge- sundheitliche Aspekte zusammen. Eine folgerichtige Entwicklung, denn der Mensch sei für Mikroorga- nismen eines von vielen Ökosystemen, über deren Grenzen hinweg sie unentwegt miteinander kom- munizieren. „Die Mikrobiome von Menschen, Tieren oder Pflanzen tauschen sich ständig aus – das pas- siert praktisch bei jedem Atemzug und bei jedem Händedruck“, sagt der Wissenschaftler. Dabei seien bestimmte Interaktionsmuster zu beobachten, die man allerdings erst ansatzweise verstehe. Was Michael Schloter in München, Till Strowig in Braunschweig und viele ihrer Fachkollegen welt- weit eint, ist der Versuch, das sogenannte Kernmik- robiom exakt zu beschreiben. Unter diesem Begriff versteht man die mikrobielle Mindestausstattung, die ein Ökosystem braucht, um passabel zu funk- tionieren. „Im Pflanzenbereich sind wir schon sehr weit“, sagt Schloter, „beim Menschen stehen wir aber noch am Anfang.“ Ziel sei es herauszufinden, wie Geschlecht, Alter, Herkunft und Lebenswan- del das Kernmikrobiom beeinflussen. Mit diesem Wissen lassen sich künftig vielleicht individuelle Mangelzustände ermitteln und ausgleichen. Für die Medizin eröffnet das genauso neue Perspektiven wie für die Lebensmittelindustrie: Einige Konzerne forschen bereits intensiv auf diesem Feld. Große Visionen geben Kraft für das Kleinklein des Laboralltags. Der wird in nächster Zeit um zwei Fragen kreisen: Mit welchen Organismen haben wir es zu tun? Und was können sie? Von den richtigen Antworten hänge viel ab, sagt US-Infektiologin Ka- therine Lemon vom Forsyth Institute in Washington: „Wie man eine Lebensgemeinschaft stört, wissen wir; wie wir sie wieder in einen gesunden Zustand versetzen, müssen wir noch lernen.“  Lilo Berg Literatur • Bernhard Kegel: Die Herrscher der Welt. Wie Mikroben unser Leben bestimmen, DuMont Buchverlag, Köln 2015 • Hanno Charisius, Richard Friebe: Bund fürs Leben. Warum Bakterien unsere Freunde sind, Carl Hanser Verlag, München 2014 • Giulia Enders: Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ, Ullstein Buchverlage, Berlin 2014 • Gerhard Gottschalk: Welt der Bakterien. Die unsicht- baren Beherrscher unseres Planeten, Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2009 Das älteste Lebewesen der Erde ist ein Bakterium namens Bacillus permians: Es ist schätzungsweise 250 Millionen Jahre alt und wurde im Jahr 2000 in einer Höhle in New Mexico entdeckt. In einer Nährlösung begann es wieder zu wachsen. Das bisher größte Bakterium ist die sogenannte Schwefel- perle von Namibia (Thiomargarita namibiensis). Mit einem Durchmesser von bis zu 0,75 Millimetern ist der Einzeller mit bloßem Auge sichtbar. Temperaturweltrekordler ist Pyrolobus fumarii. Das Bakterium gedeiht bei Temperaturen von bis zu 113 Grad Celsius. Sinkt die Temperatur unter 90 Grad, kann es sich nicht mehr vermehren – es ist ihm einfach zu kalt. Bakterien der Art Clostridium botulinum produzieren die stärksten bekannten Gifte. Die tödliche Dosis liegt bei 0,4 Nanogramm, mit einem Kilogramm könnte man die gesam- te Menschheit auslöschen. Beim Zungenkuss werden rund 80 Millionen Bakterien übertragen. Extrem strahlenresistent ist das Bakterium Deinococcus radiodurans. Es übersteht sogar Megadosen von 10.000 Gray – ein Mensch würde bei 10 Gray sterben. Deino- coccus radiodurans wurde in der Antarktis entdeckt, es kommt aber auch im Kühlwasser von Kernkraftwerken und im menschlichen Darm vor. Überaus genügsam sind Shewanella-Bakterien: Sie ernäh- ren sich von Elektronen, die sie zum Beispiel aus Gestein herauslösen können. Evolution im Zeitraffer findet beim US-amerikanischen Langzeitversuch „Escherichia coli Long Term Evolution Experiment“ statt. Die in Nährlösung schwimmenden Bak- terien teilen sich alle vier Stunden und haben inzwischen mehr als 60.000 Generationen hervorgebracht. Im Laufe der Entwicklung vergrößerte sich das Zellvolumen der Mikroben, so ein Befund, und auch ihre allgemeine Fitness nahm zu. R E KO R D E

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