Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Helmholtz Perspektiven 1411

Helmholtz Perspektiven November – Dezember 2014 31FORSCHUNG 4000 – 6000 m wird wohl ins Guinness-Buch der Rekorde aufge- nommen: Die bis dahin älteste Flaschenpost war „nur“ 100 Jahre alt gewesen. So stand es in zahlreichen Zeitungen und In- ternetportalen, so wurde im Radio berichtet. Doch entspricht die Geschichte wirklich der Wahrheit? Einer, der das anzweifelt, ist Werner Paustian, ein gebürtiger Kieler, der viele Jahre auf dem Bau gearbeitet hat. Er wendet sich an die Helmholtz Perspektiven – und schildert seine eigene Erfah- rung: Ein Bierflaschenbügel, wie er damals üblich war, dürfte kaum so viele Jahre rostfrei überstanden haben, sagt er: „Ich habe auf Dachböden im Laufe der Jahre mehrere Bierflaschen gefunden, die Hand- werker beim Bau der Häuser hatten liegenlassen – die Bügel waren immer stark angerostet und die Gummidichtungen porös. Das dürfte unter Wasser kaum anders sein.“ Ein luft- und wasserdichter Verschluss könne so kaum möglich gewesen sein. Paustian verweist auf einen Taucher in der Region, der mehrere Hundert historische Flaschen aus der Ostsee gezogen habe – und keine von denen habe noch einen Drahtbügel vorweisen können. Übrig gewesen seien nur noch die Keramikpropfen. „So- was hält doch aber von alleine nicht derart dicht, dass ein Brief darin mehr als 100 Jahre überstehen könnte“, sagt Paustian. Tatsächlich berichtet auch Konrad Fischer nichts von einem Drahtbügel. Nur einen Ver- schluss erwähnt er: einen Porzellanpropfen, und der sei „beim Öffnen sofort zerbröselt“. Kann das sein? Carsten Blawert ist Korrosi- onsexperte am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Seine Einschätzung: „Unter bestimmten Umstän- den kann eine Flasche so lange dichthalten.“ Mög- lich sei es etwa, dass die Flasche unter Sauerstoff- abschluss im Schlamm gelegen habe. So sei der Bügel möglicherweise noch lange erhalten geblie- ben. „Und vielleicht hat sich dann die Gummidich- tung etwas verflüssigt und wie ein Kleber gewirkt.“ Selbst wenn sich der Bügel danach gelöst haben sollte, könne die Abdichtung gewährleistet gewe- sen sein. Solche Umstände seien möglich, sagt Blawert, könnten aber natürlich nicht bewiesen werden. Merkwürdig finde er allerdings, dass der Keramikpropfen zerbröselt sein solle. „Keramik hält sich über Jahrhunderte. Das klingt eher nach einem Korken, der von Seepocken besiedelt wird und dann beim Herausziehen auseinanderfällt. Dass das mit einem Keramikverschluss passiert sein soll, macht mich stutzig.“ Der Brief an sich wurde von Experten für echt befunden und liegt mittlerweile im Inter- nationalen Maritimen Museum Hamburg. Doch Werner Paustian glaubt, es könnte auch anders gewesen sein: „Vielleicht wurde die Post schon vor langer Zeit aus dem Wasser gezogen, als der Bügel noch hielt?“ Vielleicht habe ja jemand viele Jahre gewartet, bis aus dem Fund ein Sensations- fund geworden war? „Mir kann jedenfalls keiner erzählen, dass hartgebranntes Porzellan einfach so zerspringt!“ Ob wir jemals erfahren werden, wie es wirk- lich gewesen ist? Der Fischer hat mittlerweile eine vierstellige Summe für die Flaschenpost erhalten und konnte so seinen Kutter reparieren. Und was sich tatsächlich wann unter Wasser abgespielt hat, wissen wohl nur die Fische.  Marike Frick „Vielleicht wurde die Post schon vor langer Zeit aus dem Wasser gezogen”

Seitenübersicht