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Serie: 25 Jahre Mauerfall

Teilchen ohne Grenzen

Mit dem Mauerbau schuf die DDR einen unüberwindbaren Eisernen Vorhang. Doch nicht für die Forscher aus Zeuthen. Über eine Datenleitung zu DESY nach Hamburg arbeiteten sie mit ihren westdeutschen Kollegen zusammen – ohne Kontrolle durch die DDR-Organe. Der Elementarteilchenphysiker Thomas Naumann erinnert an diese Tage

Von Thomas Naumann

Nach fast vierzehnjährigen Verhandlungen wurde am 8. September 1987 anlässlich des Besuchs von Erich Honecker in Bonn das deutsch-deutsche Abkommen über die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Technik unterzeichnet. Das Abkommen beinhaltete eine Liste von 27 Projekten, wobei unter Punkt sechs  die „Hochenergieexperimente bei HERA und PETRA am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg“ aufgeführt waren.

Ich war damals am Institut für Hochenergiephysik (IfH) der Akademie der Wissenschaften der DDR in Zeuthen bei Berlin tätig. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten wir schon fast zwei Jahre mit unseren Hamburger Kollegen am sechs Kilometer langen Elektron-Proton-Speicherring HERA zusammen. Im Sommer 1988, noch vor der Wende, vereinbarten DESY und das IfH Zeuthen ein Abkommen über die Zusammenarbeit und legalisierten so im Nachhinein, was wir Physiker schon seit fast drei Jahren über den Eisernen Vorhang hinweg taten. Wir knüpften damit an die enge Zusammenarbeit an, die wir selbst über den Mauerbau hinweg retten konnten, allerdings nur bis ins Jahr 1968. Damals wurde unsere deutsch-deutsche Zusammenarbeit, die den kalten Krieg bis dahin überwunden hatte, von der ostdeutschen „Abgrenzungspolitik“ unterbrochen.

Bereits Monate vor dem Mauerfall etablierten DESY und das IfH eine Datenleitung zwischen Hamburg und Zeuthen. Damit konnten wir Software, Daten und andere Nachrichten direkt und ohne Kontrolle durch die „zuständigen Organe“ der DDR austauschen, während ein Telefonat mit dem Westen einer Genehmigung bedurfte. Für das Zeuthener Ende der Leitung stellte DESY Rechner und Drucker zur Verfügung, selbst wenn deren Prozessoren auf den Embargolisten der USA standen. Über diese Leitung konnte ich mich vom DESY-Zentralrechner selbst zum nächsten Gastaufenthalt nach Hamburg einladen. Eine derart enge Zusammenarbeit zwischen Ost und West war sicher nicht im Sinne besagter „Organe“ der DDR.

Thomas Naumann im Jahe 1989.

Die Wende selbst erlebte ich als Gast am DESY in Hamburg. Nach dem Mauerfall rief mich der damalige Vorsitzende des DESY-Direktoriums Volker Soergel zu sich und empfing mich mit den Worten: „Lieber Herr Naumann! Wir trinken eine Kleinigkeit - auf die deutsche Einigkeit.“ Dass mit dem beginnenden Untergang der DDR an diesem Tag die Vereinigung unserer Institute beginnen sollte, ahnte ich in diesem Moment nicht.

Danach ging alles sehr schnell: Wir besorgten uns renommierte internationale Gutachter, unter ihnen Nobelpreisträger, und das DESY-Direktorium bereitete mit dem Bundesministerium sowie den Ländern Hamburg und Brandenburg einen Staatsvertrag zur Vereinigung des DESY in Hamburg mit dem IfH in Zeuthen vor, der Anfang 1992 in Kraft trat.

Wenn also Menschen nur wollen, dann kann es ihnen durchaus gelingen, ihre Forschung auch unter widrigen politischen Bedingungen weiter zu führen. Es ist dem Geschick des DESY-Direktoriums sowie der Menschlichkeit und Toleranz aller Beteiligten zu verdanken, dass die Zusammenführung der heutigen DESY-Standorte in Hamburg und Zeuthen so hervorragend gelungen ist.

Das CERN vor 1989

Thomas Naumann war einer der Forscher aus der DDR, die vor dem Mauerfall am CERN forschen durften. Aber wie war das eigentlich möglich? Und welche Rolle spielt eigentlich Deutschland am CERN? Im Video erklären Forscher, wie sie in Zeiten des Eisernen Vorhangs am CERN arbeiteten: http://www.weltmaschine.de/e92/e245174


Thomas Naumann, geboren 1953 in Dresden, ist Elementarteilchenphysiker und arbeitet am DESY in Zeuthen und am Teilchenbeschleuniger LHC des Europäischen Zentrums für Kernforschung CERN in Genf.

Seine Erzählung ist Teil unserer Serie zum Mauerfall, in der Helmholtz-Forscher von ihren persönlichen Geschichten berichten. Eine Übersicht aller bisher erschienen Berichte gibt es hier: www.helmholtz.de/mauerfall

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